Kabarett-Wettbewerb:Ein depressiver Überraschungssieger

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Bestens ausgestattet mit scharfen Beilen: David Scheid, Thomas Steierer und Thomas Schreckenberger (v.l.). (Foto: Gerd Jacobi)

Thomas Steierer, David Scheid und Thomas Schreckenberger gewinnen in Passau die Scharfrichterbeile

Von Oliver Hochkeppel, Passau

Am liebsten hätte man als Zuschauer das riesige Beil für den ersten Platz beim vielleicht renommiertesten, heuer zum 35. Mal ausgerichteten Kabarett-Nachwuchswettbewerb im Passauer Scharfrichterhaus an den Moderator vergeben, so locker, witzig und empathisch führte Jess Jochimsen durch den Abend. Aber der hat "das Ding" (Olli Kahn) schon vor genau 20 Jahren bekommen und geht auch trotz seines nach wie vor jugendlichen Aussehens beim besten Willen nicht mehr als Nachwuchs durch. Was allerdings streng genommen auch für den dritten Platz galt, also den Gewinner des kleinsten Scharfrichterbeils: Thomas Schreckenberger aus dem Stuttgarter Raum wird nächstes Jahr 50, hat jahrelange Bühnenerfahrung und fünf Programme im Kreuz. Was ihn in Sachen Bühnenpräsenz eindeutig gegenüber manchen seiner im Schnitt 15 Jahre jüngeren Mitbewerber bevorteilte. Schreckenberger lieferte kluges, routiniertes Politkabarett ab, von der Geißelung des Jamaika-Gezerres bis zur Romeo-und-Julia-Parodie mit Seehofer und Merkel. Freilich war das alles auch recht konventionell. Es scheint, wie schon in den vergangenen Jahren, bei der Vorauswahl schwer gewesen zu sein, unter mehr als 60 Bewerbern ausreichend junge Hoffnungsträger zu finden.

Brandneu im Kabarett waren immerhin David Miesmer und Rainer Luttenberger, eines der vielen in Österreich nach wie vor stark im Blickfeld stehenden Duos. Sie spielten aber mit ihrem themenarmen, lahmen Schauspielschüler-Kabarett bei Publikum und Jury keine Rolle. Wie leider auch der Münchner Bumillo, der auf seine im Poetry Slam und Hip-Hop erworbenen sprachlichen Stärken weitgehend zugunsten einer eigentlich dennoch preiswürdigen Anti-Empörungs-Comedy ("Uns fehlt die Wurschtigkeit, der Salami- neben dem Like-Button") verzichtete. Nur beim Publikum auf der Rechnung stand die aus Moskau stammende Liza Kos, die ihre anfangs hinreißende "Intrigations"-Geschichte mit stark russischem Akzent leider am Ende mit belanglosen Liedchen auf Hochdeutsch selbst desavouierte.

Blieb der Wiener David Scheid, ein Kabarett-Neuzugang aus der DJ-Szene, der sich außer mit dem engagiertesten, durchdachtesten Öko-Exkurs zum Thema Wasserverbrauch mit wirklich neuartigen Sample- und Turntable-Einlagen (etwa der Chor der Wiener Vogerln im sonst wenig idyllischen Stadtteil Favoriten) den zweiten Platz sicherte. Was den Weg ebnete für den Überraschungssieg des Münchners Thomas Steierer alias "metromadrid". Bislang als Journalist, Werbetexter und Fotograf aktiv, stellte er in seinem noch taufrischen Debüt "Der urbane Dorfdepp. Galgenhumor 4.0" radikal minimalistisch eine gnadenlos depressive Figur auf die Bühne, wie man sie konsequenter und vor allem stets in der Rolle bleibend, klüger und nicht zuletzt witziger lange nicht gesehen hat. Ein Nico Semsrott mit anderen Mitteln. Obwohl Steierer das 20-Minuten-Zeitlimit mit elf Minuten deutlich unterschritt, hatte er am Ende dieses durchaus starken Scharfrichterbeil-Jahrgangs bei allen die Nase vorne.

© SZ vom 08.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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