Kabarett:Reif für ein Plätzchen hinterm Mond

Mathias Tretter

Erdbeermund tut Wahrheit kund: Mathias Tretter gibt auch diesmal keine Schminktipps.

(Foto: Stefan Stark)

Mathias Tretter macht auch in seinem neuen Programm "Pop" politisches Kabarett, will eine Partei ohne Partei gründen und steht rätselnd aber immer locker vor den Merkwürdigkeiten unserer Zeit

Von Thomas Becker

Wer schon von Haus aus urkomisch ist, muss sich eigentlich nicht auch noch Lippenstift auf den Männermund malen. Mathias Tretter, der nun wirklich einen extra dicken Batzen Grundkomik abbekommen hat, macht das trotzdem, nennt sein sechstes Solo-Programm auch noch "Pop" - und führt uns damit endgültig in den Wald. Denn natürlich geht es in der Lach- und Schießgesellschaft nur am Rande um Gender-Themen und Andy Warhols Versprechen von den 15 Minuten Ruhm, sondern wie immer um das große Ganze. Der Monaco Franze würde sagen: "Mehr politisch, verstehen'S?"

Es soll ja Menschen geben, die politisches Kabarett so attraktiv finden wie Sauerbier. Schuld daran ist das Fernsehen: sogenannte Satire-Shows, in denen eine Handvoll Humoristen weitgehend zusammenhanglos je Fünf-Minuten-Schnipsel ihres neuen Programms raushauen und dabei nur allzu gerne das immergleiche Politpersonal durchnudeln. Mit Kabarett hat das eher wenig zu tun, und wer es nicht schafft, sich von der Couch aufzuraffen, wird auch nie erleben, wie unterhaltsam, erhellend und herrlich komisch so ein Kleinkunstabend mit politischem Kabarett sein kann. Tretter schafft es, über Transhumanismus, die Post-Post-Moderne, das Retro-Phänomen Windowing und den Fluch der Unsterblichkeit bei gleichbleibend hohem intellektuellen Anspruch in einem derart unverschämt locker-nonchalanten Duktus und Habitus zu reden und zu spielen, dass man in Gedanken noch kein halbes Mal abschweift.

Der Mann strickt sagenhaft hanebüchene Verschwörungstheorien, zeichnet das absurde Bild einer IS-Weltherrschaft, entlarvt das krude Weltbild der Identitären, schüttelt den Kopf über das Internet der Dinge ("E-Mails auf den Duschkopf, Frühstück aus dem 3D-Drucker"), zeigt die Entwicklung vom Bildungs- über den Wut- zum Hetzbürger auf und steht zuweilen staunend vor der Realität seines kleinen Sohnes: "Die Kindergärten sind heute wie das Cottbuser Tor: Da kriegst du alles!" Als Mittvierziger fühlt er sich in Sachen Zukunft längst reif für ein Plätzchen hinterm Mond: "Wir sind die Vergangenheit. Die Visionäre sind nicht in der Politik - sondern an der Macht." Als Chefs der Monopolisten Amazon, Google, Facebook & Co. Für Tretter sind das die Diktatoren unserer Zeit.

Und "Pop"? Ist die "Partei ohne Partei", die Tretters am Leben und den Drogen gescheiterter Philosophen-Kumpel Ansgar gründen will, nach dem Motto: Jeder kann alles, avanti dilettanti. Das passt in dieses Zeitalter des Amateurs, der getrieben ist vom Hass auf die Profis. Wie sonst sollte man die Wahl dieses US-Präsidenten erklären? Aber Witze über den "Lauchschädel" und Groß-Populisten Trump, über Lanz oder Helene Fischer? Das ist Tretter zu billig. "Das wäre ja unfair", sagt er, "ich bin nicht arrogant, ich bin einfach zu schlau."

Mathias Tretter: Pop; Samstag, 20 Uhr, Lach- und Schießgesellschaft, Ursulastraße 9

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