Justin Timberlake auf Tour:Es werde Pop

Justin Timberlake in Köln

Justin Timberlake am 20. April in Köln.

(Foto: dpa)

Mit üppigen Big-Band-Arrangements und allen erdenklichen Soul-Spielarten zelebriert Justin Timberlake seine "20/20 Experience"-Tour. Auch beim Konzert in Berlin gibt er den leichtfüßigen Alleskönner, der zeigt, wie man sich von der Last seiner Vorbilder befreit.

Von Annett Scheffel, Berlin

Es ist vor allem dieser Charme des ungezwungenen Alleskönners - dieses glücklichen Leichtfüßlers, der uns da singend und tanzend als fleischgewordene Publikumsphantasie über die gierigen Augen wischt. Alles wirkt so leicht: Die zwischen federnder Eleganz und Entschlossenheit austarierten Schritte. Die akrobatischen Handgriffe, mit denen er den Mikrofonständer hin und her wiegt wie eine Tanzpartnerin. Und immerfort grinst er herausfordernd. Sofort will man ein Bier mit ihm trinken gehen, mit diesem Mann, der da als kleiner Punkt in der Ferne auf Zehenspitzen über den Bühnenboden wischt. Paradoxon Justin Timberlake. Nähe und Unerreichbarkeit verschränken sich bei ihm ganz selbstverständlich.

Dass diese Leichtigkeit in Wirklichkeit harte Arbeit ist, das ist natürlich sofort klar. Und das Anstrengendste daran ist es wohl, das Schuften und Schwitzen im Maßanzug so gar nicht anstrengend aussehen zu lassen. Außer Pharrell WiIliams gibt es in der internationalen Popmusik derzeit wahrscheinlich keinen Star, der diesen Gegensatz so spielerisch meistert wie Justin Timberlake.

Mit seiner 15-köpfigen Band The Tennessee Kids gastierte der Sänger am Donnerstagabend mit seiner Bühnenshow zum aktuellen Doppelalbum "The 20/20 Experience" in Berlin. Mit mehr als zwei Millionen wurde die erste der beiden Platten in den USA zum bestverkauften Album des Jahres 2013. Bereits in der ersten Woche nach der Veröffentlichung hatten sich 900 000 Einheiten verkauft.

So viel zu den Zahlen. Erklären lässt sich das Phänomen Timberlake damit nur unzureichend. In seiner Kunst geht es, wie bei jedem guten Popstar im 21. Jahrhundert, um die großen Mythen der Popkultur. Bereits der Eröffnungssong "Pusher Love Girl" ruft mit seinen üppigen Big-Band-Arrangements ein erstes großes Vorbild Timberlakes auf den Plan, der sich in den folgenden zwei Stunden an so ziemlich allen Soul-Spielarten der vergangenen Dekaden abarbeitet. Zuerst aber gibt er, umkreist von schmetternden Bläsern, den Frank Sinatra in bester Las-Vegas-Manier, versetzt mit breitwandigen Beat-Synkopierungen und heulender Blues-Gitarre.

Es folgen alte und neue Hitsingles - "Rock Your Body", "Future Sex / Love Sound", "My Love", "Cry Me A River", "Sexy Back" und "Suit and Tie" - und während man sich noch wundert, wie viele große Popsongs der erst 33-Jährige auf gerade mal vier Alben angesammelt hat, setzt er die Liste auch schon fort, mit "What Goes Around . . . Comes Around", "Summer Love", "Señorita" und "Mirrors". Dann hangelt er sich schon weiter schwerelos durch sein atemloses Bühnenspektakel. Nur selten gibt es zwischen den Stücken Pausen. Die Songformate, die auf dem Album "The 20/20 Experience" ohnehin das gängige Dreiminutenformat sprengen, fließen ineinander und verschmelzen zur nahtlosen Performance.

Zeitgemäßer Entertainer

Als zeitgemäßer Entertainer ist er der Könner und Comedian, Hexenmeister im Laser-Spektakel und cooler Verführer. Er ist diese Art Sexsymbol, das nie zu viel oder zu wenig macht, das sich ganz subtil zwischen zwei Songzeilen über den Schritt streichelt und doch immer jugendfrei bleibt. Und bei all dem Multitasking gelingt ihm dann auch das Kunststück, diesen höchst sympathischen Typ zu geben, den Best Buddy für Jedermann.

Perfektioniert hat er das bei seinen selbstironischen Auftritten im amerikanischen Fernsehen, bei der Sketch-Sendung "Saturday Night Live", vor allem bei der "Late Night" von Jimmy Fallon, mit dem er regelmäßig die Illusion schafft, sie seien eigentlich nur zwei Kumpel, die sich über das Showbusiness und den Pop lustig machen. Und so säuselt und rappt er im Konzert mit souveräner Lässigkeit, spielt Akustikgitarre und Klavier und bekommt dann die Ansprachen ans Publikum auch noch mit dem richtigen Personalpronomen und samtweichen "ch" hin: "Ich liebe euch."

Nicht, dass man es anders erwartet hätte. Das Leistungsprinzip des amerikanischen Showbusiness ist - das zeigt Timberlakes Konzertprogramm eindrücklich - immer noch oberste Maxime. Mühen und plagen soll man, muss man sich für den Erfolg. Keiner weiß das besser als der ehemalige "Mickey Mouse Club"-Moderator, der schon mit zwölf vor der Kamera stand und dann nacheinander die Traumata des Teenie- und Boygroup-Stars abarbeitete, um sich seit dem Album "Justified" von 2003 als reifer Solokünstler zu etablieren.

Auf den Spuren Michael Jacksons

Immer verlief die Karriere dieses Jungen aus Memphis, Tennessee, auch auf den Spuren Michael Jacksons. Natürlich sind dessen Alben "Off The Wall" und "Thriller" die Fluchtpunkte von Timberlakes Musik. "Take Back The Night" etwa, Lead-Single des zweiten Teils von "The 20/20 Experience", ergänzt Jacksons Sound der frühen Achtziger mit technoiden R'n'B-Spielarten und akustischen Stop-and-go-Gimmicks von Produzent Timbaland. Beide eint aber auch die schier unendliche, hitzige Energie, mit der sie ihre Selbstermächtigung als große Alleinunterhalter betrieben. Timberlake spielt mit den Bildern, die von seinem großen Vorbild überliefert sind, mit Moonwalk und Falsettgesang. Er kann diese Bilder aber mit eigenem Charisma ausfüllen.

Einer der großen, der ikonischen Michael-Jackson-Momente im kollektiven Popgedächtnis ist sein Auftritt beim TV-Tribute "Motown 25: Yesterday, Today, Forever" aus dem Jahre 1983: Nachdem er mit seinen Brüdern brav ein paar alte Jackson-5-Hits vorgetragen hat, steht er alleine auf der leeren Bühne. Da ist nur er, sein Hut, ein Mikrofonständer. Ein unermesslicher Freiraum tut sich auf, den Jackson mit all der fiebrigen Willenskraft füllt, mit der er sich in den Vorjahren aus der klaustrophobischen Enge der Kinderstar-Karriere befreit hat.

Drei Jahrzehnte später ist da Justin Timberlake alleine auf der Arenabühne - seine Band ist kurz im Unterbau verschwunden - und singt den tollen Refrain von "Holy Grail", seinem Duett mit Jay-Z. Er steht einfach nur da und singt und vereinnahmt jeden Quadratzentimeter der Bühne. Poptheoretiker Diedrich Diederichsen würde das als außermusikalische Aura bezeichnen, als Einlösung des Versprechens von Popmusik, auch wenn er in seinem Standardwerk "Über Pop-Musik" vielmehr einen abgehalfterten Blues-Sänger wie Johnny Winter im Sinn gehabt zu haben scheint. Justin Timberlakes Auftritt ist aber genau das: Der Moment, in dem die Musik und der Musiker zu etwas Größerem werden. Der Moment der Pop-Werdung.

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