Junge Musikerinnen:Wer den Hit hat, muss für die Platte nicht sorgen

U.S. singer Banks performs during the opening ceremony of the 21st Life Ball in Vienna

Die New Yorker Rapperin Azealia Banks bei einem Auftritt.

(Foto: Leonhard Foeger/Reuters)

Genug vertröstet: Immer mehr junge Popkünstlerinnen sind es leid, dass der Ankündigung ihres ersten Albums oft keine Veröffentlichung durch die Labels folgt. Sie nehmen als "Girls on fucking YouTube" ihre Karrieren selbst in die Hand.

Von Annett Scheffel

Ja, es ist wieder eines dieser Rap-Videos, mit Bikinimädchen und Poolparty, Straßenkreuzer und Dachterrasse. Nur mit dem Unterschied, dass der Zeremonienmeister diesmal eine Frau ist und ein buntes Matrosenkostüm trägt, eines, wie man es aus den Manga-Hallen der Frankfurter Buchmesse kennt. Dabei hat Azealia Banks, die 22-jährige New Yorker Rapperin, die in diesem Video zu ihrem Song "ATM Jam" mit Glitzerstaub wirft, eine gefährliche, blitzschnelle Zunge. "You a bad ass bitch", attestiert ihr Pharrell Williams im Refrain des Stücks. Der Pop-Superheld ist der einzige Mann, der an der ausufernden Session teilnehmen darf.

Ein Insidertipp ist Azealia Banks nicht mehr. Vor zwei Jahren brachte sie mit dem Internet-Hit "212" die Popwelt zum Vibrieren, donnerte zu Dance-Beats ihre Großmaul-Raps heraus. Nahezu jeder sprach Ende 2011 über die junge Frau aus Harlem, das britische Magazin "New Musical Express" kürte sie gar zur "Coolest Person in Music". Banks, die sich als bisexuell outete und mit Trash-Talk-Posts auf Twitter einen Online-Streit nach dem anderen lostrat, wurde zum Prototyp neuer weiblicher MCs. Ihr Feminismus ist jener der Explicit Lyrics, eben der einer "bad ass bitch".

Mehr als eine Zufallstreffer-Phrase

Doch etwas fehlt ihr bis heute. Das, was in der Geschichte der Popmusik ausnahmslos als Eintrittsbillett für große Künstler und Gestalten gilt: das Album. Das große musikalische Statement, das als Beweis dafür gilt, dass ein Sänger mehr zu sagen hat als eine Zufallstreffer-Phrase. Dass er eine eigene Welt bewohnt.

Azealia Banks hat zwar eine EP mit vier Stücken herausgebracht, außerdem ein Mixtape, eine eher informelle Sammlung von Einzelstücken und Fragmenten also, wie sie vor allem von HipHop-Künstlern zum Download ins Netz gestellt werden. Doch ihre wahre Initiation in die Popkultur - sie wird verschoben und verschoben. Zuletzt hieß es, "Broke With Expensive Taste" solle im März erscheinen, nachdem auch der angekündigte Januartermin wieder geplatzt ist. Ein "Next Big Thing" in der Warteschleife, Ausgang ungewiss.

Natürlich gab es immer Musiker, die nie über ein paar Singles oder Mixtapes hinauskamen, sei es aus wirtschaftlichen, lebenspraktischen oder konzeptuellen Gründen. Im Herrschaftsbereich der Platten-Labels ist das allerdings die Ausnahme: Der Aufbau eines Künstlers ist hier immer eine Investition, die entsprechende Erlöse erwartet. Selbst in den 90er-Jahren, als im Wochentakt Techno-CD-Singles auf den Markt geworfen wurden, durfte jeder Tanzbär mindestens ein Album machen - umso auffälliger ist es nun, dass sich in letzter Zeit die Fälle häufen, in denen bereits bekannte Figuren mit großem Potenzial am langen Arm verhungern.

Verschleppter Durchbruch

Zum Beispiel kündigte die australische Trailerpark-Rapperin Iggy Azalea schon im Dezember 2011 ihr Debütalbum "The New Classic" an, das nach unzähligen Verschiebungen nun ebenfalls erst im März erscheinen soll. "Dirty Gold", das Erstlingswerk der heiß gehandelten HipHop-Heldin Angel Haze aus Detroit, war für 2012 angekündigt, auch da wurde erst einmal nichts draus. Noch zwei Frauen also, die wie Azealia Banks den von maskulinen Komplexen durchdrungenen Rap-Betrieb erst nur als YouTube- und Soundcloud-Girls und lediglich als Versprechen an die digitale Zukunft des Pop konterkarieren. Ist das der Grund, warum sich ihr Durchbruch so verschleppt?

Aufschlussreich ist die Causa Angel Haze. Nach langem Streit mit der Plattenfirma über die hinausgezögerte Veröffentlichung des offenbar fertigen Albums lud die New Yorkerin im Dezember 2013 die Platte einfach auf ihr Soundcloud-Konto. "So sorry to Island/Republic Records, but fuck you", schrieb sie dazu - ein Mittelfinger ans Marketing. Am Ende willigte die Firma ein, Angel Hazes Musik in den USA und Großbritannien bereits Ende Dezember 2013 in die Download-Shops zu stellen. Als physischer Tonträger wird "Dirty Gold" erst im Frühjahr erhältlich sein, auch die versprochene Werbung gibt es erst dann. Immerhin ein Teilerfolg für die vertraglich gefesselte Künstlerin.

Raee'n Wahya Wilson, so der Geburtsname von Angel Haze, stellte ihre Raps jahrelang als Gratis-Mixtapes ins Netz. "Ich scheiße auf Marktfähigkeit und Platinstatus", behauptet sie in einem selbstgedrehten Video, was natürlich nur eines von zwei widersprüchlichen Zielen ist. Angel Haze will beides, professionell Musik machen und die Freiheit eines "girl on fucking YouTube" behalten. Ihre offizielle Einführung ins Musikgeschäft hat sie nun nach eigenen Regeln geformt - um die Dateien auf Geheiß der Geldgeber dann doch wieder aus dem öffentlichen Ordner zu entfernen.

Ein Song reicht

Vielleicht muss man die Frage ja auch anders stellen: Brauchen junge Musiker überhaupt noch ein Album? Klar ist in jeden Fall, dass junge, netzaffine Musiker das Spektakel, das Plattenfirmen um einen Veröffentlichungstermin herum veranstalten, längst unter eigener Federführung in sozialen Netzwerken und Videoportalen ähnlich publikumswirksam inszenieren können - ein Album, den großen Tätigkeitsnachweis, brauchen sie dafür gar nicht. Ein Song reicht. 63 Millionen Mal etwa wurde der YouTube-Clip zu Azealia Banks Smashhit bis heute angeschaut, immerhin neun Millionen Mal Iggy Azealeas Musikvideo zu "My World", Hunderttausende folgen ihnen auf Facebook und Twitter. Der große Moment, auf den das traditionell gesinnte Publikum angeblich wartet: Er ist längst passiert.

Genau daran liegt es auch, dass der Weg vom ersten Hit bis zur endgültigen Initiation so ungeheuer lang anmutet. Junge Künstler können im Netz schon sehr früh in ihrer Karriere Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Hätte schon im August 1960 jemand die ersten Hamburg-Auftritte der Beatles bei Youtube hochgeladen, wären sie im März 1963, bei Veröffentlichung ihres ersten Albums, wohl schon lahme Enten gewesen.

Vielleicht hat ja Iggy Azalea auf ihrer Demo-Sammlung "Ignorant Art" auch schon alles gesagt, was sie sagen wollte. Noch vor dem Karrierestart. Futur II nennt man das in der Grammatik: es ist die Popzukunft der Vorzeitigkeit.

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