Junge deutsche Literatur:Krasse Story, aber hey, geile Bilder

Kids of Sodom - Elektroschrott in Ghana

Hinterhof der Globalisierung: Computer-Müllkippe in Ghana.

(Foto: Kai Loeffelbein/laif)

Innerlich ausgeschabt, äußerlich chromverspiegelt: Wolfgang Flenders Debütroman "Greenwash, Inc." scheitert daran, den Zynismus der Konsumwelt zu entlarven.

Von Alex Rühle

Die Welt ist schlecht, der Mensch erst recht. Er hat aber mittlerweile immerhin ein schlechtes Gewissen, weil er weiß, dass er sich permanent schuldig macht, indem er zu viel konsumiert, reist, Fleisch isst. Insofern sind die schlechtesten Menschen die Werber, denn sie verdienen an Lügen, genauer gesagt daran, uns einzelne Dinge in dieser schlechten Welt als gut zu verkaufen. Weil sie uns vormachen, es gebe ein richtiges Produkt im falschen Leben, nämlich dasjenige, an dem ein Fairtrade-Label klebt.

Mars und Jung ist eine Werbeagentur, die sich auf Nachhaltigkeitskampagnen und moralisches Greenwashing spezialisiert hat: Ihre Firma hat schlechte Nachrichten produziert? Ihnen ist in einem der Hinterhöfe der Globalisierung ein Malheur passiert? Wir hauen Sie da raus. Indem wir Ihnen mittels raffinierter Kampagnen ein neues Image verpassen.

Es gibt sie nicht, die guten Dinge - Fairtrade ist stets eine Lüge

Thomas Hessel ist ein junger, neuer Mitarbeiter, eine Art Feuerwehrmann für virales Marketing und rührselige "Hope-Stories". Dieser Hessel ist karrieregeil wie nur was, in seinen Augen sind Moralvorstellungen so etwas wie zu lange Nasenhaare oder Pickel, etwas Unästhetisches, Überflüssiges, wovon man sich spätestens befreit haben sollte, wenn man das erste Mal aus dem SMV-Zimmer und den Abiturträumen ans grelle, harte Tageslicht stolpert. Natürlich hatte auch er selbst mal hochfliegende Pläne, aber mittlerweile weiß er, alles Quatsch und jede Behauptung, nachhaltig zu produzieren, ist eh gelogen. Es gibt sie nicht, die guten Dinge.

Auch sonst verpasst der Autor Karl Wolfgang Flender diesem Hessel die üblichen Attribute eines außengeleiteten Menschen: Körperkult (Work-out und Sonnenbräune), ein Faible für Modekollektionen und schicke Fahrräder, und diesen eiskalten Rasterblick, mit dem schon Bret Easton Ellis' Patrick Bateman oder Frédéric Beigbeders Werbe-Ekel Octave ihre Mitmenschen abgescannt haben. "American Psycho" und "39,90" dürften genauso Pate gestanden haben für die Hauptfigur in Flenders Debütroman "Greenwash Inc." wie der Erzähler aus Christian Krachts "Faserland". Fragt sich, was Flender, der literarisches Schreiben in Heidelberg studiert hat und die Literaturzeitschrift Bellatriste mitleitet, diesem altbekannten Tefloncharakter Neues mitzugeben vermag.

Zunächst kommt man gar nicht dazu, über solche Fragen nachzudenken, Hessel ist sofort im Einsatz, er muss eine Anti-Brandrodungskampagne managen, bei der er für die mitgereiste Presse hinter den Kulissen heimlich ein echtes Feuer inszeniert. Das Feuer gerät außer Kontrolle, Hessel hält mit seiner Handykamera drauf, die gecastete Hauptdarstellerin, die eine arme Bäuerin spielen soll, erleidet schwere Brandverletzungen, ihr "Kind" (natürlich ebenfalls gecastet aus einem Waisenheim) stirbt beinahe. Krasse Geschichte, aber hey, sehr, sehr geile Bilder, Hammerklickzahlen auf Youtube, insofern hoch die Tassen, und Thomas Hessel ist für kurze Zeit der neue Star im Unternehmen.

Dieser Anfang liest sich recht geschmeidig, besonders die Konkurrenzbeziehung zu Hessels engstem Mitarbeiter und Schicksalsgefährten Christoph ist schön rausgearbeitet.

Auch die beiden nächsten Aktionen, die Hessel inszenieren oder beaufsichtigen soll - eine im indischen Sweatshop-Elend, die andere in Agbogbloshie, der Müllkippe in Ghana, auf der unser aller Computerschrott landet - laufen desaströs aus dem Ruder, und da ihm von Anfang an ein Investigativreporter auf der Spur ist und er den eigenen Alltag aus Lügen, Hektik, Reisen und dauerndem Konkurrenzkampf nur mithilfe von Tranquilizern und Alkohol übersteht, ahnt man doch recht früh den tiefen Fall. Und spätestens im dritten Hotelzimmer fragt man sich dann leise: War das alles? Oder um im Marketingsprech zu bleiben: Where's the beef? Was ist jetzt der Spin, der der Story neuen Drall gibt?

Der Chef - natürlich ein strahlender Rundumwiderling

Tja. Leider kommt nicht viel mehr. Im Gegenteil, Flenders Hauptfigur ähnelt selbst eher einem Konsumgegenstand als einem Charakter; je mehr Seiten und Zeit man mit ihm verbringt, desto mehr langweilt man sich mit ihm, und je stärker Flender erzählerisch auf die Tube drückt, desto weniger Neues kommt dabei raus. Die Banalität des Zynischen hat man schließlich schon bei Hessels erstem Blick aus einer voll klimatisierten Limousine auf das Elend der Dritten Welt verstanden.

Man fragt sich irgendwann, ob das Ganze als Farce geplant war oder als zeitdiagnostischer Roman, der unsere grünen Wohlstandslügen bloßstellen soll, Hashtag es gibt kein richtiges Leben im Bioladen? Fürs eine sind die Charaktere nicht drastisch, lustig, interessant genug, aber auch für den großen entlarvenden Roman sind das Personal und die Story zu dünn und eindimensional. Die Werbebranche hat eindeutig interessantere, komplexere, widersprüchlichere Charaktere zu bieten als diesen Smartass, der trotz seines Vielfliegerdaseins von der ersten bis zur letzten Seite auf der Stelle tritt.

Zudem wird die Handlung immer unplausibler. Hessels frisch promovierte Freundin Marina, die gerade noch im ethnologischen Postgenderdiskurs zu Hause war und das Werbertreiben kritisch beäugte, fängt ziemlich schnell eine Affäre mit Hessels Chef an und wechselt auch ansonsten überraschend geschmeidig die Positionen. Der Chef selbst ist natürlich ein strahlender Rundumwiderling, Surfer mit Riesennarbe, Squashmeister, der seine Mitarbeiter reihenweise vernichtet. Wenn all das wenigstens auf eine überraschende Volte hinausliefe. Aber nein, der Schluss ist leider dermaßen unplausibel, dass man sich angeschmiert vorkommt wie von einer billigen Werbekampagne.

Wer sich den hedonistischen Spiegel vorhalten will, der lese Kathrin Hartmanns "Ende der Märchenstunde". Darin hat die Journalistin schon vor sechs Jahren gründlich herausgearbeitet, dass es nahezu unmöglich ist, Konsumismus und Moral, Egoismus und Gesellschaftsveränderung zu vereinbaren. Wer wirklich fiese Charaktere kennenlernen möchte, innerlich ausgeschabt, äußerlich chromverspiegelt, der lese Bret Easton Ellis, das verschafft noch immer schmerzhaft-krasse Ekelgefühle. Alle anderen: weniger konsumieren. Und bei diesem Verzicht kann man leider gleich mal mit diesem Roman beginnen.

Karl Wolfgang Flender: Greenwash, Inc., Roman. DuMont Buchverlag, Köln 2015. 392 Seiten, 19,99 Euro. E-Book 15,99 Euro.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: