Junge deutsche Fotografie:Bis es weh tut

Erfrischend düster: Die Ausstellung "Gute Aussichten - Junge deutsche Fotografie" in Hamburg zeigt die besten Arbeiten junger deutscher Fotoschul-Absolventen.

Till Briegleb

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Erfrischend düster: Die Ausstellung "Gute Aussichten - Junge deutsche Fotografie" in Hamburg zeigt die besten Arbeiten junger deutscher Fotoschul-Absolventen. Die Bilder.

Es ist eine wunderbare Paradoxie der Dokumentarfotografie, dass sie durch Distanz Nähe herzustellen vermag. Die Dreieinigkeit aus zeitlicher, räumlicher und persönlicher Distanz, die der Fotograf zwischen Aufnahme und Präsentation herstellt, erlaubt dem Betrachter ein Interesse für andere Menschen ohne emotionale Komplikationen. Obwohl dieser Voyeurismus frei von Verlegenheit ist, entbindet die Darstellung den Fotografen nicht von einem sensiblen Umgang. Schock, Effekt, plakative Inszenierungen rauben dem Bild des Menschen leicht die Würde, machen ihn zu einem Objekt ohne Geheimnis. Gerade beim Thema "Essstörungen" ist ...

Text: Till Briegleb/SZ vom 26.1.2011/sueddeutsche.de/kelm/rus

Foto: Rebecca Sampson. Aus der Reihe "Aussehnsucht", www.guteaussichten.org

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... die drastische Darstellung von verhungerten oder fetten Körpern die vordringlich verwendete Strategie, obwohl sie vermutlich weniger aufklärend als denunzierend wirkt.

Die Fotografin Rebecca Sampson hatte einst selbst mit Essstörungen zu kämpfen, was es schwierig hätte machen können, die nötige Distanz zum Gegenstand herzustellen. Doch offensichtlich erlaubte ihr die persönliche Erfahrung genau das Zwischenreich zu treffen, wo Anteilnahme und Abstand zu Intensität führen. Für ihre Porträtserie "Aussehnsucht - When emotions fall silent" mit 49 Patienten einer Fachklinik, die sie jetzt im Rahmen der Ausstellungsreihe "Gute Aussichten - Junge deutsche Fotografie" in den Hamburger Deichtorhallen zeigt, rückte sie den Menschen mit der Kamera so nah, wie man es im Alltag als Überschreiten der Privatsphäre empfinden müsste.

Foto: Rebecca Sampson. Aus der Reihe "Aussehnsucht", www.guteaussichten.org

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Ein Mädchen mit blutunterlaufenen Augen blickt durchdringend von unten in die Kamera; eine Frau mit vielen Narben - Folgen von Selbstverletzungen - schaut scheinbar gelassen; Tränen fließen; Bäume werden umarmt; Menschen kauern nah an Wänden. Die Fotografien liefern eine Ahnung der Ängste, die hier wirken. Und vermittelt durch das trennende Medium gewinnen diese Menschen, die verzweifelt um Normalität kämpfen, Individualität und Geschichte. Denn Sampson illustriert kein Problem, indem sie kranke Körper abbildet, sie zeigt Persönlichkeit, bis es "weh tut".

Dass Sampson auf dieser Talentplattform für Absolventen von Fotografieschulen, die zum siebten Mal stattfindet, so heraussticht ...

Foto: Rebecca Sampson. Aus der Reihe "Aussehnsucht", www.guteaussichten.org

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Quelle: Helena Schätzle

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... liegt auch am Faible für Abstraktionen ihrer Mit-Preisträger. Von den sieben Gewinnern aus 96 Einreichungen der diversen deutschen Hochschulen weist selbst die andere dokumentarische Arbeit eine Vorliebe für Struktur vor Inhalt aus: Helena Schätzles Reise auf den Spuren ihres Großvaters, der 1946 aus russischer Kriegsgefangenschaft geflohen war.

Foto: Helena Schätzle. Aus der Reihe "Die Zeit dazwischen" - 2621 Kilometer Erinnerung, www.guteaussichten.org

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Quelle: Helena Schätzle

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Schätzle fotografierte graue Landschaften und bröckelnde Industrieruinen längs der 2621 Kilometer, die der Soldat nach Hause gewandert war, und kontrastiert diese melancholischen, kalten Skizzen farbarmer Landstriche mit stillen Porträts alter Menschen auf Betten und Sofas, die das Jahr nach dem Krieg erlebt hatten.

Foto: Helena Schätzle. Aus der Reihe "Die Zeit dazwischen" - 2621 Kilometer Erinnerung, www.guteaussichten.org

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Auch Katrin Kamrau arbeitet am liebsten trendig düster, wenn sie in einer Raum-Installation die Arbeit des Fotografen mit unterschiedlichen Ausschnitten, Inszenierungen und Darstellungsmethoden reflektiert. Stephan Tillmans hat Röhrenfernseher beim Ausschalten ins Bild gebannt, wobei die letzten Zuckungen des Kathodenstrahls in schwarzem Nichts hübsche Muster zeitigen.

Foto: Stephan Tillmans. "Leuchtpunktordnungen", www.guteaussichten.org

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Quelle: Christine Reimer

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Und André Hemstedt und Tine Reimer konstruierten eine sehr erklärungsbedürftige Serie fotografischer Metaphern zu Instabilität und Gleichgewicht in starken Schwarz-Weiß-Kontrasten, die wie konstruktivistische Modefotografie oder Standbilder von einem Franz-Ferdinand-Video aussehen.

Foto: André Hemstedt & Tine Reimer. "Konstruktion von Bewegung", www.guteaussichten.org

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Obwohl diese Auswahl im Gegensatz zu den früheren Preisträgern als Ganzes sehr grau, depressiv und wenig spielerisch auftritt, zeugt sie von einer sehr lebendigen Szene junger Fotografen, die ihre Motive mehr suchen als finden. Weniger das Abbild der sogenannten Wirklichkeit fordert diese Bildermacher heraus, vielmehr die Umsetzung einer vorher entwickelten Idee von Welt mit den Mitteln fotografischer Arbeit. Dass der Mensch in diesen Welten so selten vorkommt, mag eine Reaktion auf die Schnappschuss-Gier der Medien sein, auf jeden Fall reagiert diese Generation ganz offensichtlich auf den schnellen Verbrauch von Gesichtern mit einem Rückzug in langsame Entwicklungsprozesse. Und das zeigt wiederum Persönlichkeit, die guttut.

Foto: Jan Paul Evers. "Modernismus fängt zu Hause an", www.guteaussichten.org

Deichtorhallen Hamburg, bis 27. Februar 2011, danach in Stuttgart, Washington, Burghausen, Freising, Frankfurt am Main

© SZ vom 26.1.2011/kelm
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