Jugendtheater:Jungs heulen doch

Beim Spielclub Junges Gärtnerplatztheater heißt es lieber "Hashtag" statt "hasch mich": Der Andrang der Bewerber ist groß, die Produktion im letzten Jahr lief äußerst erfolgreich in der Reithalle.

Von Barbara Hordych

Sechs Jungs grölen auf der Bühne lauthals Grönemeyers musikalisch gestellte Frage: "Wann ist ein Mann ein Mann?" - dazu nehmen sie martialische Posen ein, wie man sie von antiken Heldenstatuen und Münzprägungen her kennt. Jetzt treten sechs junge Frauen hinzu: "Euer Rivalitätsscheiß hört auf, oder wir sind weg", hauen sie den erstaunten Kerls um die Ohren und rauschen von der Bühne ab. Die Jungs blicken wenig später verständnislos auf ihre Smartphones, tatsächlich: "Die Weiber gehen nicht an ihre Handys!". Irritiert blicken sie von einem zum anderen. "Boys don't cry" ermahnen sie sich gegenseitig. Das ist witzig, selbstironisch, und entbehrt dennoch nicht der Ernsthaftigkeit. Schließlich wird auf der Bühne eine Geschichte verhandelt, die mitten hinein in das Unglück des Krieges führt.

In der Schreibwerkstatt der Gärtnerplatzjugend beginnen die Arbeiten zu "Je suis Faust"

"#LYDIA_theEND", eine Neufassung von Aristophanes' 2000 Jahre alter Komödie "Lysistrata", war 2015 die erste Produktion des Jungen Gärtnerplatztheaters unter der Leitung von Susanne Schemschies. "Beim Kennenlerntreffen hatte ich den Jugendlichen die erste Szene aus Aristophanes' Stück Lysistrata kopiert, ohne Titel, so dass sie gar nicht wussten, um welchen Text es sich handelt", erinnert sich die Musikpädagogin bei einem Treffen in der neu eröffneten Kantine des Gärtnerplatztheaters. Sie schmunzelt noch heute über ihren Einfall. Damit wirklich niemand den 2000 Jahre alten Stoff identifizieren konnte, änderte sie die Namen der Akteurinnen - die Titelheldin Lysistrata benannte sie kurzerhand in Lydia um. Und so kam es, dass einige Monate später der Krieg zwischen Athen und Sparta zum Krieg zweier rivalisierender zeitgenössischer Gangs mutierte. Einerlei, ob Antike oder Gegenwart - beide Male ist es die forsche Lydia beziehungsweise Lysistrata, die alle Frauen beider Lager zusammenruft, um dem Krieg ein Ende zu bereiten. Mit einer sehr effektiven Maßnahme: Sie verweigern sich ihren Männern so lange, bis die endlich Frieden schließen.

"Die Textfassung erarbeiteten die Teilnehmer in der Schreibwerkstatt selbst, sie übersetzten das Stück sozusagen in ihre eigene Sprache und gestalteten die Szenen so, dass sie zu ihrem Alter und in die heutige Zeit passten", sagt Schemschies.

Eine Schreibwerkstatt wird auch wieder am Anfang stehen, wenn die Gärtnerplatzjugend im Januar nächsten Jahres mit "Je suis Faust" ihre vierte Produktion in Angriff nimmt. Den thematischen Anstoß gab das für 2018 geplante Münchner "Faust-Festival". Sie werde sich mit den Jugendlichen allerdings nicht das ganze Stück vornehmen, sondern nur einige Ideen daraus aufgreifen. "Wie viel Faust, wie viel Gretchen, wie viel Mephisto steckt in mir? Das sind so Fragen, die ich ihnen und die sie sich selbst stellen sollen", sagt Schemschies. Bewerben für die Produktion könne man sich von sofort an unter der Adresse jugend@gaertnerplatztheater.de. Was ist die Besonderheit genau dieser Gruppe? "Dass es ein musikalischer Jugendclub ist", erklärt Susanne Schemschies. "Soviel ich weiß, gibt es außer uns nur noch eine andere Münchner Institution, "Imal", die ein solches Angebot hat". Denn neben Schauspiel lernen die Teilnehmer zwischen 15 und 20 Jahren auch Singen und Tanzen, "sie werden in allen drei Disziplinen geschult", so Schemschies. Zum Team gehören deshalb auch ein musikalischer Leiter und die Tonabteilung. Eine wichtige Funktion hat auch der Choreograf inne. Für "Je suis Faust" übernehme Roberta Pisu, eine Tänzerin des Gärtnerplatztheater-Ensembles, diese Aufgabe; sie hat auch schon die Dancesoap "Minute Made" choreografiert.

Ist es denn schwierig, heutzutage noch junge Leute für das Musiktheater zu gewinnen? Keinesfalls, beteuert Susanne Schemschies. Die 24 Plätze in ihrem Club seien immer rasch besetzt. "Es muss ja bei uns niemand befürchten, in einer Strumpfhose über die Bühne hüpfen zu müssen". Die moderne Tanzsprache der Haus-Company gelte genau so auch für den Jugendclub. Der setze sich zu zwei Dritteln aus "Wiedergängern" zusammen, ein Drittel caste sie jedes Jahr neu. Wobei man mit dem Begriff "Casting" vorsichtig sein müsse, sie veranstalte keine Heidi-Klum-Show, betont Schemschies. Bei ihr singen und sprechen die Bewerber zunächst in kleinen Gruppen vor. Bei einem zweiten Treffen erhalte jeder ein persönliches und differenziertes Feedback. Wer sich dann verbindlich für den Club anmelde, verpflichte sich auch, die Termine einzuhalten. Geprobt wird jeden Freitag Nachmittag, später kommen die Samstag-Vormittage hinzu. Wichtig seien besonders die Proben in den Ferien. Wer also schon wisse, dass er über Ostern oder Pfingsten verreist sei, dem müsse sie leider absagen.

Was aber offensichtlich niemanden abschreckt. Im Gegenteil. Ein Problem hatte sie, als sie im vergangenen Jahr bei der Produktion "De Amore" nach Platons Erzählung von den "Kugelmenschen" 32 Jugendliche aufgenommen hatte. Das Stück selbst lief sehr erfolgreich in der Reithalle, wurde auch zum Treffen der bayerischen Jugendtheaterclubs in Nürnberg eingeladen. "Aber im Nachhinein hieß es: Bitte nimm beim nächsten Mal nicht mehr so viele Leute auf, dann kannst du dich nicht so gut um alle kümmern". Für viele sei sie halt doch so etwas wie eine "Mama", sagt Schemschies. Weshalb sie auf die Frage, ob sie Kinder habe, immer antworte: Meinen Jugendclub.

Junges Gärtnerplatztheater, Bewerbungen für die Produktion "Je suis Faust" möglich unter der Adresse jugend@gaertnerplatztheater.de

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