Jugendschutz in den Medien:Enthaupten und Ausweiden - frei ab 12 Jahren

Attila Blood Burning

In "Attila: Blood & Burning" geht es brutal und explizit zur Sache. Das Spiel ist ab zwölf Jahren freigegeben.

(Foto: Attila: Blood Burning)

Prüfer geben Filme und Computerspiele, die extreme Gewalt zeigen, oft ab 12 frei. Dabei soll das System Kinder schützen.

Von Markus C. Schulte von Drach

"Dieses Paket fügt dem Spiel Bluteffekte, Enthauptungen, Gliedmaßenabtrennung, Ausdärmen und vieles mehr hinzu." Wer die Entwicklung von Computerspielen beobachtet, ist von solcher Prosa nicht überrascht. Werden die Folgen von Gewalt auf drastische Weise gezeigt - und darum geht es in dem Programm "Blood & Burning", für das der oben zitierte Satz wirbt -, erhöht sich der Realitätsgrad der virtuellen Welt. Damit wächst auch das Gefühl der Bedrohung. Manchen wird davon übel. Andere aber mögen den Schock und den Nervenkitzel, den realistische und detaillierte Darstellungen von virtuellen Gegnern auslösen, die von Kugeln zerfetzt und deren Köpfe und Gliedmaßen abgetrennt werden - Blutfontänen und freigelegte Innereien inklusive.

Wenn Erwachsene das spielen wollen, ist das ihre Sache. Überraschend ist jedoch, dass "Blood & Burning" ab zwölf Jahren freigegeben ist. Es ist ein Zusatzprogramm für "Total War: Attila", ein militärisches Strategiespiel, in dem Armeen aufgestellt und Soldaten in riesige Schlachten geschickt werden. Dank der technischen Entwicklung lässt sich heute bis in die Schlachtenreihen hinein zoomen. Mit dem Zusatzprogramm ist dort zu sehen, wie Gliedmaßen und Köpfe abgeschlagen werden, wie Menschen sich brennend auf dem Boden wälzen und Blut spritzt.

Stoff für Zwölfjährige? Dieser Meinung war ein Prüfgremium bei der halbstaatlichen, von der Industrie finanzierten Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK), die die Alterskennzeichnung für Videospiele vergibt. Die Entscheidung ist ein weiterer Schritt hin zu immer mehr Gewaltdarstellungen in den Medien, die Kindern offiziell zugemutet werden dürfen. Vergleichbare Spiele sind früher erst ab 16 freigegeben worden.

Die Gewalt ist "zurückhaltend und bei den Bluttexturen unrealistisch dargestellt", fanden die Prüfer

Es ist eine Entwicklung, die parallel zu der bei Filmen verläuft. So war es etwa vor einigen Jahren noch undenkbar, dass schon Zwölfjährige mit dem Segen der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) hätten zuschauen können, wie Scarlett Johansson in "Lucy" einem Bösewicht gut sichtbar die Hände mit Messern auf die Tischplatte nagelt. Oder wie der Roboter "Chappie" im gleichnamigen Film Menschen ersticht oder halbiert - "drastische Gewaltszenen", wie selbst die FSK auf ihrer Homepage einräumt.

Eltern kritisieren diese Entwicklung seit Jahren. Schließlich ist der Sinn der Labels mit den Altersangaben, sie darüber zu informieren, welche Spiele "die Erziehung von Kindern und Jugendlichen bestimmter Altersgruppen zu eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeiten beeinträchtigen" können, wie es im Jugendschutzgesetz heißt. Und für FSK und USK gehören drastische Gewaltdarstellungen offiziell zu den Faktoren, die beeinträchtigend wirken können. Wie kann es dann zu solchen Entscheidungen kommen wie bei "Blood & Burning"?

Lidia Grashof, die als Vertreterin der Obersten Landesjugendbehörden der Bundesländer in der USK sitzt, verteidigt die Altersfreigabe. Einhellig hätten die Prüfer festgestellt, die Gewalt sei in dem Spiel "eher zurückhaltend und bei den Bluttexturen unrealistisch dargestellt", sagt sie. Außerdem sei "die Darstellung von Gewalthandlungen in einem Spiel nur ein Aspekt von vielen, die bei der Alterseinstufung eines Spiels ausschlaggebend sind." Und, so fährt sie fort, "Spieler der Altersgruppe ab zwölf haben aufgrund ihrer kognitiven Entwicklung und ihrer Medienerfahrung keine Schwierigkeiten, das Spiel mit aktiviertem Zusatzprogramm zu verarbeiten und können es aufgrund ihrer Schulbildung historisch einordnen."

Bei der FSK rechtfertigt man sich für die Freigabe brutaler Bilder ähnlich. "Es ist wichtig, in was für eine Geschichte solche Darstellungen eingebettet sind", sagt Folker Hönge, Ständiger Vertreter der Obersten Landesjugendbehörden. "Eine erkennbar fiktive Welt ermöglicht Kindern eine Distanz zum Geschehen. Ruhige Phasen oder ein absehbares Happy End können für Entspannung sorgen. Und wenn Gut und Böse klar zu unterscheiden sind, dann sind das Muster, an denen sich Kinder orientieren." Bei der FSK werde aber trotzdem darauf geachtet, "ob Darstellungen, auch Einzelbilder, Kinder oder Jugendliche überfordern können."

Die Hürden für Gewaltdarstellungen scheinen also hoch. Aber wie viel realistischer und authentischer sollte die Darstellung der Gewalt wie in "Total War: Attila" noch sein, um sie Zwölfjährigen nicht mehr zuzumuten? Und nehmen diese die Bilder tatsächlich so wahr? Sagen sie: Das ist alles nur fiktiv, Gewalt ist abzulehnen?

Die Prüfkriterien von FSK und USK klängen plausibel, sagt die Sozialpsychologin Barbara Krahé von der Universität Potsdam. "Aber dabei wird die Wirkung des Gewaltgehalts zu wenig berücksichtigt. Jüngere Kinder bekommen durch Gewaltdarstellungen Angst. Bei der Gruppe ab zwölf oder 13 ist das anders. Diese Kinder fühlen sich wegen des Angstkitzels, den die Bilder auslösen, zu gewalthaltigen Medien hingezogen." Ihr zufolge wollen sich vor allem Jungen mit solchen Filmen und Spielen sogar gezielt abhärten.

Das bestätigt Maya Götz vom Internationalen Zentralinstitut für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI) in München. Sie wies nach, dass Kinder selbst durch Filme, die für ihre Altersgruppe freigegeben sind, Albträume bekommen können und relativ häufig Angst haben. "Wenn die Gewalt dank der heutigen Computertechnik realistisch dargestellt wird, ist das für Kinder und Jugendliche schwer zu ertragen", sagt sie. Selbst Erwachsene schlafen ja nach Filmen wie "The Walking Dead" manchmal schlecht. Außerdem würden Jugendliche durch solche Filme tatsächlich lernen, Schmerzen besser auszuhalten. Das aber dürfte kaum die Wirkung sein, die sich Eltern wünschen.

Die Figuren kommen mit Gewalt ans Ziel

Abgesehen davon, dass Kinder drastische Gewaltdarstellungen also wohl nicht so gut verarbeiten, wie es FSK und USK meinen, gibt es einen weiteren Punkt, der bei vielen Filmen und Spielen Bauchschmerzen bereitet: Die fragwürdige Botschaft, die sie vermitteln, wenn die Identifikationsfiguren oder die spielenden Kinder selbst mit Gewalt zum Ziel kommen. In den Freigabebegründungen der FSK etwa ist dazu regelmäßig zu lesen, dass Zwölfjährige in der Lage seien, das Gesehene angemessen zu verarbeiten.

"Was heißt verarbeiten?", fragt Barbara Krahé. "Kinder wissen mit zwölf natürlich, dass die Gewalt, die sie sehen oder spielen, sich nicht eins zu eins im realen Leben wiederfindet, und dass sie sie auch nicht nachmachen dürfen." Doch was lernen sie dabei? "In diesen Filmen und Spielen steckt die Botschaft: Gewalt ist erfolgreich, Gewalt ist lustig, Gewalt ist normal." Wenn stattdessen von Einordnung und Verarbeitung gesprochen wird, dann suggeriert das Krahé zufolge, die Gewaltdarstellungen seien für Kinder oder Jugendliche harmlos. "Das aber wird bei der Altersfreigabe nicht überprüft."

"Was gezeigt wird, geht über das, was Kinder verkraften, immer weiter hinaus", sagt eine Expertin

Das untersuchen dagegen die Psychologen. Deren Studien sprechen zwar nicht dafür, dass Kinder durch Filme oder Spiele zu brutalen Verbrechern werden, wie es nach den Amokläufen an der Columbine High School oder am Gutenberg-Gymnasium in Erfurt von manchen behauptet wurde. Aber "Kinder und Jugendliche, die regelmäßig Medien konsumieren, in denen Gewalt vorkommt, finden sie eher normal und akzeptabel. Langfristig wird das zu einer positiveren Bewertung von aggressivem Verhalten führen", sagt Krahé.

Ähnlich sieht es Nadine Kloos vom JFF - Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis in München. "Gut gegen Böse, der rettende Superheld - das ist einfach zu verstehen und einzuordnen. Das kommt den Kindern entgegen", sagt die Medienpädagogin, die zu dem Team gehört, das auf flimmo.de Eltern Orientierungshilfen für Film und Fernsehen gibt. "Aber wir wissen, dass solche Geschichten sie beim Lösen von Konflikten beeinflussen. Sie identifizieren sich mit dem Helden. Und dass der Gewalt ausübt, gilt als in Ordnung. Deshalb sind diese Geschichten eben nicht völlig harmlos."

Auf die Frage nach der Botschaft, die von solchen Filmen und Spielen ausgehen kann, sagt Folker Hönge von der FSK: "Wir wollen den Kindern nicht unterschwellig vermitteln, Gewalt als Konfliktlösungsmittel sei okay. Wenn ein Film eine moralisch fragwürdige Botschaft hat, dann sage ich, er wird nicht freigegeben." Er räumt ein, nicht mit allen Entscheidungen einverstanden zu sein. In den Gremien von FSK und USK wird oft kontrovers diskutiert. Immer wieder legen Unternehmen gegen Entscheidungen Berufung ein - häufig mit Erfolg.

Wie solche Prozesse ablaufen, zeigt das Beispiel des Films "300" (2006), bei dem es um eine historische Schlacht der Griechen gegen die Perser geht. Der erste Prüfungsausschuss der FSK befand, der Film könne bei Jugendlichen zu Desensibilisierung und Abstumpfung führen, und verweigerte die Jugendfreigabe. Nachdem Berufung eingelegt wurde, gab eine andere Gruppe von Prüfern ihn ab 16 frei. Später überprüfte die FSK diese Entscheidung mit einer Umfrage unter 16- bis 18-Jährigen. Man fand keine Hinweise auf Desensibilisierung oder Abstumpfung.

"Gewaltverherrlichend, aber irgendwie schön anzusehen"

Stattdessen konstatierte man, alle Jugendlichen hätten "Distanz zum kriegerischen Treiben auf der Leinwand" aufgebaut und sich von der Gewaltästhetik abgegrenzt. Die Gewalt hätten sie "im Wesentlichen als abstoßend" empfunden. Allerdings klang das bei einigen so: "Es war zwar gewaltverherrlichend, aber irgendwie war's schön anzusehen." Oder: "Es sieht einfach gut aus, obwohl es eigentlich gar keine gute Handlung ist, Menschen zu töten."

Auch wenn man bei FSK und USK widerspricht - die Freigabe ist hinsichtlich von Gewaltdarstellungen immer liberaler geworden. Was ihnen auf der Leinwand und auf dem Bildschirm gezeigt wird, "hat sich von den Möglichkeiten der Kinder, zu verkraften, was sie sehen, mittlerweile ziemlich weit entfernt", meint eine Jugendschutz-Expertin, die anonym bleiben möchte.

Sie vermutet, dass die Prüfer, die Tag für Tag etliche Spiele oder Film bewerten müssen, der Frage der "Wirkungsvermutung" irgendwann nicht mehr in aller Sorgfalt nachgehen. Stattdessen berufe man sich darauf, dass ähnliche Filme ja ebenfalls ab zwölf oder 16 freigegeben worden seien. Mit jeder liberalen Entscheidung lockern die Prüfer die Maßstäbe, an denen sie sich später orientieren. "Rating Creep" nennt man diesen Effekt in den USA.

"In der Wirklichkeit ist nur die grafische Auflösung besser", meint ein früherer Al-Qaida-Anhänger

Sowohl FSK als auch USK bestätigen diese Veränderungen letztlich selbst, wenn sie regelmäßig auf die heute deutlich größere Medienerfahrung und -kompetenz bei Kindern und Jugendlichen verweisen. Dabei behauptet niemand, die Entwicklung der kindlichen Psyche verliefe heute anders als früher. "Es mag sein, dass die Kinder schon in jüngerem Alter mehr Gewalt gewohnt sind", sagt Psychologin Barbara Krahé. Das bedeute aber nur, dass sie sich an Darstellungen von Gewalt gewöhnen. "Es wird damit die Toleranz der Kinder gegen Gewalt gefördert, aber nicht ihre Verarbeitungsfähigkeit oder Werteentwicklung im positiven Sinne."

Selbst auf die Enthauptungen und Verbrennungen in den IS-Videos sind manche Jugendliche durch die Bilder in Filmen und Spielen offenbar schon gut vorbereitet. "Wir wachsen auf mit Videospielen, die uns verrohen und abstumpfen lassen. In der Wirklichkeit ist nur die grafische Auflösung besser als auf dem Monitor und der Kick, etwas Echtes zu sehen und zu fühlen, größer", schreibt Irfan Peci, ein ehemaliger Al-Qaida-Propagandist, über seinen Weg in die Terrorszene. "Die Hemmschwelle ist längst überwunden."

Kinder, vor allem Jungen, sind ab einem bestimmten Alter von Gewalt fasziniert. Das war in der menschlichen Geschichte wohl nie anders. Es ist eines ihrer Mittel, spielerisch die Kontrolle über eine oft bedrohliche Welt zu bekommen. Zugleich versuchen wir, ihnen beizubringen, dass Gewalt eigentlich nichts Gutes ist. Schließlich wünschen wir ihnen eine friedliche Welt.

Vielleicht müssen wir also Kompromisse mit unseren Kindern schließen, die ihre Zimmer nun mal gerne mit Piraten, Ninjas und martialischen Kriegswerkzeugen füllen wollen. Müssen und wollen wir aber akzeptieren, dass Kinder und Jugendliche immer mehr und immer härteren virtuellen Gewaltdarstellungen ausgesetzt werden?

Was an furchtbaren Bildern und Botschaften in die Kinderzimmer schwappt, ist schlimm genug. Bei Kinobesuchen, DVDs und Videospielen können Eltern aber immer noch Einfluss nehmen. FSK und USK könnten mit ihren bunten Alterskennzeichen dabei eine große Hilfe sein. Verlassen kann man sich auf sie nicht.

Nachtrag: Kurz nach veröffentlichen dieses Textes hat die USK das Zusatzprogramm (DLC) "Blood & Burning" noch einmal gesichtet. Wie Geschäftsführer Felix Falk Süddeutsche.de mitteilte, "hat eine Nachprüfung bei uns ergeben, dass der derzeit verfügbare Inhalt nicht mehr der gekennzeichneten Version entspricht". Das heißt, der Publisher muss das Programm verändert haben, nachdem die Freigabe feststand. Das DLC verfügt damit derzeit über keine USK-Altersfreigabe. Der Anbieter wurde von der USK aufgefordert, den Hinweis auf ein USK-Kennzeichnen zu enfernen - und ist dem mit mehreren Wochen Verzögerung nachgekommen.

Das DLC "Blood & Burning" ist demnach auch den USK-Prüfern zu brutal für Zwölfjährige. Der Fall belegt allerdings ein Problem im System. Außerdem stellt der Entzug der Altersfreigabe für dieses Spiel allein nicht infrage, dass Filme und Videospiele trotz immer brutalerer Gewaltdarstellungen zunehmend für Jugendliche und Kinder freigegeben werden.

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