Jugendgewalt und Sprache:Jetzt kommt die Panik

Von Tag zu Tag verschärft sich der Ton, auch in den Medien: Die Jugendgewalt treibt zurzeit eine rhetorische Gewalttätigkeit hervor, die absolut irrational ist.

Andreas Zielcke

Die Jugendgewalt, derer man durch drakonische Strafen Herr werden will, treibt analog eine rhetorische Gewalttätigkeit hervor. Von Tag zu Tag verschärft sich der Ton der Debatte in einer Weise, die selbst in Zeiten des Wahlkampfs nur als irrational und gegenaufklärerisch zu begreifen ist.

Als Hauptsünder der Aggressionen in U-Bahnen und Stadtvierteln sind Jugendliche mit Migrationshintergrund ausgemacht. Damit hat man aber nicht nur die jungen Männer der islamischen Minderheit im Visier, sondern im nächsten Eskalationsschritt den Islam selbst.

Dass nun in Österreich eine FPÖ-Politikerin Mohammed als "Kinderschänder" verunglimpft, passt in diese Spirale der Anfeindungshysterie und setzt ihr die hässliche Krone auf.

Natürlich ist die aktuelle Jugendkriminalität nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Zu ihren Fakten gehört, dass ein bestimmter Typus des jugendlichen Aggressors - resistent gegen Sanktionen - statistisch zurzeit häufiger einer Einwandererfamilie entstammt statt einer "rein deutschen".

Die Furcht vor dem Islam

Zu den Tatsachen gehört aber auch, dass die Gefahr, die von diesen Minderheiten für deren städtische Umwelt ausgeht, von den einschlägigen Wahlkämpfern stark übertrieben wird. In Hessen etwa werden 90 Prozent der schweren Gewaltdelikte von Deutschen verübt. Der Übertreibung liegen, neben dem durchsichtigen politischen Kalkül, offensichtliche Ängste vor einem destruktiven Potential des Islam zugrunde. Der Islam löst in Mitteleuropa Schreckensvisionen aus, die in vielen Kreisen eine regelrechte Islamphobie nach sich ziehen.

Als vor zwei Jahren zwölf Autoren, unter ihnen Salman Rushdie und Ayaan Hirsi Ali, in einem Manifest vor "einer neuen weltweiten totalitären Bedrohung durch den Islamismus" warnten, galt dies noch als Ruf von einzelnen intellektuellen Alarmisten.

Überschaut man die jüngsten Leitartikel, Internet-Kommentare und Blogseiten, dann zeigt sich, dass die Ängste inzwischen grassieren. Selbst in der FAZ hieß es an diesem Dienstag, "dass die Mischung aus Jugendkriminalität und muslimischem Fundamentalismus potentiell das ist, was heute den tödlichen Ideologien des zwanzigsten Jahrhunderts am nächsten kommt."

Eine solche geradezu apokalyptische Prognose, die sich nicht scheut, die Übergriffe von Jugendlichen auf wehrlose Passanten mit den schlimmsten Massenverbrechen des Faschismus und Kommunismus zu assoziieren, veranschaulicht, wie panisch die Furcht vor der Aktivierungspotenz des Islam geworden ist.

Der wahrgenommene islamische Fundamentalismus gebiert einen Fundamentalismus des Anti-Islam.

Niemand wird mehr nach der Terrorgeschichte der letzten 15 Jahre die Gefährlichkeit islamistischer Zirkel abstreiten. Doch von dieser Einsicht zu schließen auf eine totalitäre Disposition ganzer islamischer Minoritäten, ist, um es vorsichtig zu sagen, unüberlegt. Schon ein Blick über den Atlantik macht klar, dass es vor allem soziale, kulturelle und auch nationale Ursachen sind, die muslimische Jugendliche kriminell werden lassen.

Jetzt kommt die Panik

In den USA werden Muslime weniger häufig straffällig als der Durchschnitt der Bevölkerung, sie zählen nicht vorwiegend zu den Geringverdienern, sie sind besser integriert und sie stoßen auf erheblich weniger Ablehnung in der eingesessenen amerikanischen Bevölkerung - trotz des US-Krieges gegen den Terror.

Der hiesige anti-islamische Reflex übersieht aber insbesondere, dass die Faktoren, die in der Tat Sorgen bereiten, vor allem weltliche Faktoren sind, keine religiösen: Die Etablierung einer Parallelgesellschaft, die nach abgeschotteten Regeln lebt; die überdurchschnittliche Geburtenrate der Einwanderer; schließlich die autoritäre, männlich dominierte Struktur in deren Familien.

Der anti-deutsche Affekt

Selbst der anti-deutsche Affekt ("Scheiß-Deutscher"), der manchen türkischen Jugendlichen zur Attacke auf Passanten und U-Bahn-Fahrer treibt, ist kein anti-christlicher, kein Affekt aus religiösem Wahn, sondern ein Affekt gegen die hegemoniale Mehrheitsgesellschaft.

In solchen Affekten drücken sich zu allererst Integrations- und Minderwertigkeitsprobleme aus. Sie können, wie man sieht, zu "Verbrechen aus verlorener Ehre" und asozialem Männlichkeitsdruck führen. Würde man diesen kriminogenen Kontext voll ausschöpfen, käme man mit dem Erklären (nicht Entschuldigen) der Jugendgewalt sehr weit.

Trotzdem setzen sich in der Mehrheitsgesellschaft, obwohl sie ihre emanzipative und ökonomische Überlegenheit täglich beweist, überproportionale Ängste fest, Ängste, die zur Flucht in die Islamphobie verleiten.

Diese besondere, ja dramatische Verleugnung der eigentlich vorhandenen Stabilität mag mit einem weitreichenden Prozess zu tun haben: In die befriedete mitteleuropäische Gesellschaft kehrt an den Rändern eine anarchische Form von Gewalt zurück. Mit ihr tut sich die Mehrheit auch deshalb so schwer, weil sie sich auf diffuse Weise mitverantwortlich weiß.

Offenbar wird die Frustration der jungen Männer, die ihre Gewalttätigkeit ausleben, durch ihre vormoderne kulturelle Herkunft, aber eben auch durch die überfordernde gastgebende Gesellschaft ausgelöst.

Bevor diese aber an sich selbst zweifelt, verteufelt sie die Gewalttäter als verblendete Eindringlinge von außen.

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