Jürgen Vogel - nun auch mit Groove:... und Heike Makatsch musste weinen

Jürgen Vogel, der Schauspieler, wird Rockstar. Mit einer Band, die den unbedingten Willen zum Hit hat. Das geschieht aber nur für die Filmkamera - so glaubhaft allerdings, dass am Ende auch von den Mimen keiner mehr weiß, ob ein Groupie nun ein Groupie ist oder aber eine Statistin vom Ohnsorg-Theater. Ein Drehbericht von Tobias Kniebe.

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Es ist heiß und sehr voll im ¸¸Molotow", einem Club mit niedrigem Kellergewölbe direkt unter der Reeperbahn. Draußen werden die Leute schon abgewiesen, drinnen drängen sich auffällig hübsche Mädchen - hübsch auf die eher verträumte Art. Beides zeigt: Heute passiert etwas in der Hamburger Szene. Was genau, das wissen die hübschen Mädchen auch noch nicht. Auf dem Programm steht eine Band namens Hansen, die aber keiner kennt. ¸¸Präsentiert von Grand Hotel van Cleef", heißt es weiter. Das sagt schon mehr - so nennt sich Hamburgs jüngstes und sympathischstes Musiklabel.

Jürgen Vogel - nun auch mit Groove: Der Mann mit den interssantesten Zähnen der Filmgeschichte wird es - nicht nur, aber auch. Sicher! - damit nun wohl auch in die Hall of Fame des Rock´n´Roll schaffen.

Der Mann mit den interssantesten Zähnen der Filmgeschichte wird es - nicht nur, aber auch. Sicher! - damit nun wohl auch in die Hall of Fame des Rock´n´Roll schaffen.

(Foto: Foto: dpa)

Thees Uhlmann, der Großstadtpoet der Band Tomte, ist dort eine treibende Kraft, genauso wie Marcus Wiebusch, Sänger und Komponist von Kettcar. Beide, heißt es, stecken auch hinter Hansen. Und dann ragt da noch ein blonder Hühne aus der Menge heraus, der eine Handkamera auf der Schulter trägt. Das ist der Filmregisseur Lars Kraume. Er hebt den Daumen und grinst, was im Moment ungefähr so viel bedeutet wie: Let"s Rock"n"Roll.

Ein Treffen zwischen Kino und Pop, davon träumt der deutsche Film schon lange. Und der deutsche Pop wohl auch. ¸¸Das wäre verdammt spannend", sagt Thees Uhlmann, der ein bisschen wie eine Astrid-Lindgren-Figur aussieht: der netteste Troll der Welt.

¸¸Film und Musik sind ja doch recht fremde Welten." Jetzt aber werden sie zusammengeworfen. Hansen ist eine echte neue Band, einerseits. Thees und die anderen Musiker haben monatelang dafür geschrieben und geprobt - und echte Musikfans sind gekommen, um sie zu hören.

Der Sänger von Hansen ist aber, andererseits, Jürgen Vogel. Keiner dieser Schauspieler, die auch mal rocken wollen, sondern ein Mann, der eine Rolle spielt: Den fiktiven Musiker Markus Hansen, der Mitte dreißig beschließt, eine Band zu gründen, und zum ersten Mal auf Tournee geht. Begleitet wird er von seinem Bruder (gespielt von Florian Lukas), einem Jungfilmer, der die Konzerte mit der Kamera dokumentieren will, und dessen auch nicht echter Freundin (Heike Makatsch), die irgendwie zwischen beiden steht.

Eine falsche Musikdokumentation also - und ein echter, beinah dokumentarischer Spielfilm. Ein Drehbuch gibt es nicht: Die Darsteller haben die Anweisung, sich ins Bandleben zu stürzen, ihren Emotionen zu folgen, Texte zu improvisieren. Die Story entwickelt sich von selbst.

Oder fast von selbst. Denn natürlich greift Lars Kraume auch ins Geschehen ein. An der Bar im überfüllten ¸¸Molotow" sitzt zum Beispiel eine ältere Dame, mit Florian Lukas ins Gespräch vertieft.

Eine der drei Kameras, die jetzt laufen, hat sie im Blick. Hier spielt die Randgeschichte des Abends, eine neue Nebenfigur wird begleitet: die Mutter der beiden Hansen-Jungs. Laut Figurenbeschreibung hat sie ein schwieriges Verhältnis zu ihren Söhnen und ist zum Auftritt gekommen, weil sie eine Aussprache mit ihrem Ältesten sucht.

Außerdem ist sie angetrunken. Soweit die Konstellation, die Kraume arrangiert hat. Was gleich passieren wird, weiß er selbst nicht, und die Schauspieler wissen es auch nicht - alles entsteht aus dem Augenblick. Zunächst aber erklingen die ersten Hansen-Akkorde - der Sound geht nach vorne und gleich ins Ohr, die Band hat eindeutig Hitpotenzial.

Und dann ist Jürgen Vogel am Mikrofon, eine ernsthafte, unaufgeregte Präsenz auf der Bühne, die Menge akzeptiert ihn sofort. ¸¸Noch nie im Leben hatte ich soviel Lampenfieber wie vor diesen Auftritten", erzählt er später, ¸¸das ging bis zu echten Magenkrämpfen. Musik ist doch verdammt harte Arbeit."

Dabei ist dieser Abend fast schon Routine, ein echtes Heimspiel - die Tour hat bereits vor zwei Wochen begonnen. ¸¸Wir haben natürlich gehofft", sagt Kraume, ¸¸dass alle Schauspieler irgendwann das Spielen vergessen, dass die Dinge richtig persönlich werden."

Das hat auch geklappt - aber manchmal fast zu gut: ¸¸Es gab Augenblicke, da dachte ich, die Konfrontationen werden zu hart, jetzt fliegt mir der Film auseinander." Es ging dann doch immer weiter - und in den 200 Stunden Digitalmaterial, die schon aufgenommen sind, verbirgt sich nun eine düster-faszinierende Familiengeschichte.

¸¸Liebe, Sex, Verlust, Betrug - alles ist drin", sagt Vogel. Und natürlich, immer wieder, Musik. Als Frontmann der Band steht er zwischen Uhlmann und Wiebusch auf der Bühne, sie rahmen ihn ein und scheinen ihm Sicherheit zu geben. Das Publikum geht richtig mit. Dann ist alles vorbei, und die Mutter stürzt auf Jürgen Vogel zu. Der weist sie rüde ab.

In der Bar über dem Club kulminiert die Szene: Sie schreit herum, verliert einen Schuh und dann völlig die Beherrschung - bis Florian Lukas, der bravere der Söhne, sie in ein Taxi verfrachtet. ¸¸Tolle Szene", sagt Kraume danach. ¸¸Sowas könnte ich nie so glaubwürdig inszenieren." Und dann grinst er ein kleines bisschen sadistisch. ¸¸Ich weiß, dass Jürgen ein schwieriges Verhältnis zu seiner eigenen Mutter hat. Da musste was passieren."

Falls Kraume ein großer Manipulator ist, dann jedenfalls für einen noblen Zweck. Schnell, direkt, ganz nah am Leben soll sein Kino sein, ein Neuanfang nach dem teuren Flop ¸¸Viktor Vogel". Sein Hansen-Projekt, bisher noch ohne Titel, kostet kaum mehr als 500 000 Euro. Aber das passt zu den Jungs von Grand Hotel van Cleef, die ebenfalls ¸¸eine gewisse Echtheit" von sich verlangen und sich beim eigenen Label von niemandem dreinreden lassen. Wenn hierzulande etwas richtig Neues entstehen kann, denkt man sich - dann geht das nur so. Die Grundbedingung: Größter gegenseitiger Respekt. ¸¸Gedichte, die in ihrer Bedeutung schillern", seien Tomte- und Kettcar-Songs, sagt Jürgen Vogel.

Und Marcus Wiebusch erwidert das Kompliment. ¸¸Es gibt nur ganz wenige Schauspieler, für die wir das gemacht hätten - solche Sachen sind immer in Risiko. Jürgen Vogel ist bei den Proben wild über die Bühne gesprungen - das mussten wir ihm leider verbieten. Am Anfang konnte auch er überhaupt nicht singen. Aber eines war völlig klar: Der Mann packt das, der hat den richtigen Vibe."

Manchmal hat Lars Kraume sogar neue Schauspieler eingeschleust, ohne dass die anderen es wussten: Zum Beispiel der ältere Herr, der sich in Wilhelmshaven ungefragt an den Tisch setzte. Er erzählte so überzeugend von seiner verlorenen Liebe, dass Heike Makatsch weinen musste - erst hinterher erfuhr sie, dass er ein Mime vom Ohnsorg-Theater war.

Oder das süße Hippie-Girl, das sich in Hannover an Florian Lukas heranmachte. ¸¸Ich war schon sehr enttäuscht, als ich feststellen musste, dass Lars sie dafür bezahlt hat", grinst Lukas. Eine ¸¸wunderbare Erfahrung für jeden Schauspieler" nennt er das Projekt: ¸¸Man kann seine Gefühle rauslassen und sich doch hinter einer Figur verstecken." Eine gewisse Paranoia hat ihn dennoch ergriffen, und die macht auch vor dem Reporter nicht halt. ¸¸Ich weiß ja nicht einmal", sagt er, ¸¸ob Sie ein echter Journalist sind. Sie könnten auch ein Schauspieler sein, den Lars mir auf den Hals gehetzt hat. Bei diesem Film muss man mit allem rechnen."

Quelle: Süddeutsche Zeitung Nr.62, Montag, den 15. März 2004 , Seite 14

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