Jüdisches Museum Frankfurt:Palmen, Provisorien

Lesezeit: 2 min

Das Jüdische Museum in Frankfurt ist momentan wegen Bauarbeiten geschlossen. Um dennoch ausstellen zu können, platziert es ein Pop-up-Boot am Schaumainkai. (Foto: Noerbert Miguletz/Jüdisches Museum Frankfurt)

Da es saniert und erweitert wird, sticht das Museum Judengasse nun in See: auf einem Pop-up-Boot.

Von Volker Breidecker

Als das Jüdische Museum Frankfurt einmal die Besucher einlud, Objekte für eine Ausstellung "Geschenkte(r) Geschichten" beizusteuern, stiftete ein Laienkurator eine Sampler-CD mit den Klängen jüdischer Rockmusiker und schrieb dazu im Katalog: "Vielleicht gibt es ein mutiges Museum, das eines Tages eine Ausstellung über 'Jews who rock' macht".

So kam es. Mit Ausstellungen wie "Jukebox Jewbox!", "Stars of David" oder "Amy Winehouse" hat der Sound des 20. Jahrhunderts Einzug in die jüdischen Museen gehalten. Diese sind in der Gegenwart einer lebendigen jüdischen Kultur angekommen und bewahren zugleich die Erinnerung an die reiche, unter der Schoah abgerissene Geschichte und Kultur des deutschsprachigen Judentums.

Am Frankfurter Museumsufer ist das Stammhaus des Jüdischen Museums - der ersten Neugründung nach dem Holocaust - für die Sanierung und Errichtung eines Erweiterungsbaus bis 2018 geschlossen. Auf den Fundamenten des einst großen jüdischen Siedlungsareals am Rande der Altstadt erstrahlt seit dem Frühjahr das Museum Judengasse in neuem Glanz und präsentiert Sammlungen bis 1800. Und während am Bauzaun vor dem Haupthaus ein großformatiger Comic von Volker Reiche die Passanten über den Fortgang der Arbeiten am Museum informiert, hat am gegenüberliegenden Schaumainkai bis zum 14. Oktober ein schwimmendes Labor als "Plattform für das neue Jüdische Museum" festgemacht.

Mitte Oktober fährt das Schiff von dannen. Bis dahin bietet es Geschichten, Exponate, Gespräche

So steht es in roten Lettern am Bug eines "Pop up Boats". "Pop up", das heißt hier soviel wie: Hier ist etwas im Werden, was allmählich Gestalt annehmen soll. Gemeint ist die künftig neu geordnete Schausammlung für die Zeit nach 1800, und zwar nicht nur als Bühne für Exponate, sondern auch als Ort des Austauschs von Erzählungen und der Zwiesprache mit dem Publikum.

Dazu präsentiert sich das Museum vorübergehend am Flussufer, das in den vergangenen Jahren an wohltuender Urbanität gewonnen hat. Der Bankenstadt fehlt diese nämlich sonst immer noch. Das Provisorium einer hölzernen Hütte auf dem Schiffsbug mit ausgewählten Exponaten im Inneren erinnert an die jüdische Tradition temporärer Architekturen, wie sie unter Berufung auf die Wüstenwanderung der Israeliten nach dem Exodus aus Ägypten schon seit Langem entstehen. Daran wird mit dem Laubhüttenfest (Sukkot) erinnert, das wie auch auf dem mit Liegestühlen und Fächerpalmen bestückten Boot unter freiem Himmel und hölzernen, mit Palmzweigen geschmückten Provisorien gefeiert wird.

In diesem Jahr wird der Sukkot Mitte Oktober begangen, und mit ihm wird das Pop-up-Boat zunächst wieder von dannen ziehen. Bis dahin können Besucher und Passanten das Schiff besichtigen, zu festgelegter Stunde Kurzvorträgen der Kuratoren lauschen und sich in Workshops mit dem Museumsteam im labormäßigen Umgang mit Exponaten zum Anfassen üben. Ausgestellt sind neben Bildern und Zeremonialobjekten auch Kuriosa wie die gelbe Krawatte von Ignatz Bubis oder eine Gugelhupfform aus dem Hause Rothschild, aber auch antisemitische Bildpostkarten als Diskussionsanstoß dazu, ob ein Jüdisches Museum auch Antisemitica ausstellen sollte. Zur Debatte innerhalb der Bürgergesellschaft stehen damit die Kriterien, nach denen dieses Museum überhaupt sammelt und künftig weiter sammeln und ausstellen sollte.

So bleibt vorläufig alles im Fluss. In einer Zeit, da Flüchtlingsboote mit ihrer Menschenfracht im Mittelmeer versinken, steht das Boot beinahe selbstredend auch sinnbildlich für die aus der jüdischen Geschichte und Erinnerung nicht wegzudenkenden Erfahrungen von Migration und Exil, von Verfolgung und Flucht. Neben einem Abendprogramm an Musik und Lesungen, an Theater, Tanz und Performance, steht - als zentrale Aufgabe der Arbeit jüdischer Museen - auch die krisenhafte Gegenwart zur Debatte, mit Diskussionen über "Religiosität und Feminismus" oder über "Jüdische Perspektiven auf die Flüchtlingskrise in Europa".

© SZ vom 06.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: