Jubiläums-James-Bond "Skyfall":Sehnsucht nach Exzess, Zerstörung und Todesmut

Fünfzehn geschrottete Audis und sechs kaputte Landrover für eine einzige Szene - der Stern von James Bond strahlt umso heller, je absurder die Spesenrechnung. Zum 50. Jubiläum seines Kinodebüts kehrt 007 aus einer Zwangspause zurück. Sein Weg führt wieder nach Istanbul.

Tobias Kniebe

Vorschlaghammer trifft auf schwarze, schimmernde, fabrikneue Audi-Limousine. Immer wieder in die linke Flanke. Die Einschläge klingen dumpf und ein wenig knirschend. Niemand tut was dagegen. Es schauen zu: Alte Frauen in Kopftüchern, Obstverkäufer hinter ihren Ständen, fliegende Händler mit gefälschtem Luxusgut. Besonders die Männer zucken bei jedem Schlag, als würden sie selbst getroffen. Dann knacken die Lautsprecher, oben auf den Minaretten der Yeni Camii Moschee. Der Muezzin ruft zum Mittagsgebet. Es hört sich an wie ein Klagelied auf den Irrsinn der modernen Welt.

Neuer ´Bond"-Film angekündigt

Zwei Filme habe er gebraucht, um zu lernen, James Bond zu sein, sagt Schauspieler Daniel Craig. "Es war eine Reise, aber jetzt bin ich angekommen. An einem guten Ort." Der neue Bond-Streifen wird "Skyfall" heißen und am 1. November in die deutschen Kinos kommen.

(Foto: dpa)

Der Vandale mit dem Hammer ist Mitglied eines hochbezahlten Stuntfahrer-Teams, und die erste und wichtigste Botschaft seines Zerstörungswerks ist klar: Hier werden weder Kosten noch Mühen gescheut. Alles andere wäre auch enttäuschend, wenn James Bond in Aktion tritt. Nullnullsieben ist wieder da, rechtzeitig zum fünfzigsten Jubiläum seines ersten Filmauftritts, auferstanden aus der Insolvenz seines Studios MGM.

Zum dritten Mal nach "Liebesgrüße aus Moskau" und "Die Welt ist nicht genug" macht er Station in Istanbul. Und weil sein Stern umso heller strahlt, je absurder die Spesenrechnung hinterher aussieht, hallen nun diese Schläge durch die Gassen des Ägyptischen Gewürzmarkts.

Nur: Was genau passiert hier? "Wir haben eine brillante Geschichte, die ich auf keinen Fall verraten werde", sagt James Bond alias Daniel Craig, die stechenden blauen Augen gesenkt, die Stimme zu einem rauen, nervösen Murmeln gedämpft, die Hände gefaltet und doch unter Hochspannung. "Wait and see", sagt Sam Mendes, streicht sich den graumelierten Bart und lacht: ein Oscargewinner im Bond-Regiestuhl, der erste seiner Art - offensichtlich genießt er den Zirkus. "Sorry", sagt Naomie Harris, das neue Bondgirl mit den jamaikanischen Wurzeln und dem rehäugigen Augenaufschlag. Sie alle tun so, als wären sie selbst beim Secret Service: Wir könnten es schon verraten, aber dann müssten wir Sie töten.

Dann kommt Alexander Witt, laut offiziellem Titel der Second Unit Director, tatsächlich einer der führenden Action-Choreografen der Welt - für Bond, Jason Bourne und Jack Sparrow, und immer wieder für Filme von Ridley Scott. Braungebrannt, Arbeiterschuhe, Jeanshemd. Er ist der Mann fürs Handfeste, und seinen Teil der Arbeit kann er durchaus erklären.

Menschen springen, Tauben flattern, Orangen und Melonen fliegen

In der konkreten Szene wird ein Audi, verfolgt von Bond in einem Landrover, durch die Gassen von Istanbul brettern, am historischen Postamt vorbei, über den Vorplatz der Yeni Camii Moschee und hinein in die Händlerbuden vor dem Gewürzmarkt, wo dann Menschen springen, Tauben flattern, Orangen und Melonen fliegen, Kochgeschirr rasselt und Teppiche davonrollen. Ein kurzes Feuergefecht, dann stehen da zufällig zwei Motorräder herum, und mit denen geht es weiter auf der Jagd durch die Stadt, bis hinauf sogar auf die Dächer des fünfhundert Jahre alten, kleinteilig verschachtelten Grand Bazaar.

Zwischendrin muss dieser Audi auf die Seite kippen und funkenstiebend über den Platz rutschen. Leider ist der aktuelle Stuntwagen beim letzten Versuch aufs Dach gerollt und jetzt nicht mehr zu gebrauchen. Also wird der nächste Audi so zugerichtet, dass der Anschluss wieder stimmt.

Wie viele Autos braucht man so als Actionregisseur, nur für diese eine Szene? Witt überschlägt das kurz im Kopf. "Fünfzehn Audis und sechs Landrover", sagt er schließlich. Im Übrigen erklärt er, dass der Trend in der Action-Regie sich gerade wieder wegbewegt von den chaotischen, superhektischen Schnittsequenzen, die eine Zeitlang Mode waren: "Letztlich wollen die Zuschauer doch sehen, was los ist."

Der Rausch des Kinos wird zum 1000-Teile-Puzzle

Im fertigen Film, "Skyfall" wird er heißen und am 1. November in die deutschen Kinos kommen, kann und darf das alles trotzdem nur wenige Sekunden dauern. Ein Sog soll entstehen: Hinein ins Getümmel der Stadt, ohne Rücksicht auf Sachwerte, Passanten, historische Architektur. Nur: Mit dem echten Istanbul darf niemand so umspringen - nicht mal James Bond. Die Pressemeldung ein paar Tage zuvor, ein Bond-Stuntman auf dem Motorrad habe aus Versehen einen 300 Jahre alten Laden demoliert - hier am Set beharren sie darauf, das sei eine Falschmeldung gewesen.

65th Cannes Film Festival - Berenice Marlohe Photocall

Berenice Marlohe beim Filmfest in Cannes. Die französische Schauspielerin wird in "Skyfall" eines der Bondgirls sein.

(Foto: dpa)

Tatsächlich ist es so, dass der halbe Markt, der halbe Platz und der Haupteingang der Moschee eine lebensechte Illusion sind: Die Stände, die Gemüsehändler, die afrikanischen Uhrenverkäufer, die Kopftuchmütterchen - alles vorhanden. Aber alles nachgebaut, gecastet, versichert. Jeder, der hier wegspringen muss, um sein Leben zu retten, ist ein gutbezahlter Experte.

Und wenn die Pyrotechniker für die nächste Einstellung dann wieder stundenlang an kleinen Sprengpatronen herumfummeln, die Kugeleinschläge simulieren sollen, dann passiert für diese 500 Statisten und die 250 Mitglieder des Filmteams: erst mal nichts. Schließlich kommt Daniel Craig, in Krawatte und scharfgeschnittenem grauen Tom-Ford-Anzug, dann heißt es Action, dann wird fünf Sekunden geballert, dann geht das Warten weiter. Drehtag Nummer 103, noch dreißig müssen bewältigt werden.

Man versteht das Wesen des modernen Kinoblockbusters besser, wenn man das einmal live gesehen hat. Warum das immer so teuer wird, zum Beispiel. Aber auch, wie sich die heftige Sehnsucht nach Exzess, Zerstörung und Todesmut in ihre kleinsten Bestandteile zerlegen lässt, um dann, durch tausend Schutzmaßnahmen abgesichert, scheibchenweise auf Film gebannt zu werden. Der Adrenalinrausch des Kinos, konvertiert in ein endloses Geduldsspiel, in eine Art 1000-Teile-Puzzle. Zweieinhalb Wochen lang wird nun auf diesem falschen Markt gefilmt - für vielleicht dreißig Sekunden Filmzeit.

Die Fortsetzung des westlichen Imperialismus

Die Besucher des Mittagsgebets, die den Eingang zu ihrer Moschee versperrt finden und von Sicherheitskräften umgeleitet werden - man hört sie grummelnde türkische Sätze murmeln, aus denen nur "James Bond" klar hervorsticht. So sehr die neue Türkei derzeit den Anschluss sucht, an Europa wie an die globale Popkultur, so sehr da ein wachsendes ökonomisches Selbstbewusstsein sich der Welt präsentieren möchte - für viele Türken ist dieser Bond-Dreh doch nur die Fortsetzung des alten westlichen Imperialismus mit anderen Mitteln.

Da werden dann Erinnerungen wach an die Zeit, fast auf den Tag genau vor 49 Jahren, als James Bond zum ersten Mal in der Stadt zu Gast war. In "Liebesgrüße aus Moskau" musste Sean Connery, schon damals explizit das männliche Sexobjekt, einer liebeshungrigen russischen Botschaftssekretärin zu Willen sein - um an die Codiermaschine des KGB heranzukommen. Istanbul, die erklärte Lieblingsstadt des Bond-Schöpfers Ian Fleming, hatte damals einen wirklich großen Auftritt, Bond schwärmte sogar selbst vom "Mondlicht auf dem Bosporus" - vor allem, um Miss Moneypenny zu quälen, die zu Hause bleiben musste.

"Bond-Filme beuten ihre Locations immer aus"

Von der Touristenführung in der Hagia Sophia über den Grand Bazaar, von der Bauchtanz-Show im Zigeunerviertel bis zur unterirdischen Bootsfahrt in der Yerebatan-Zisterne, schon damals hat Bond nichts ausgelassen. Auch die Verbrüderung mit einem lokalen Pascha, der sich vor sexhungrigen Geliebten kaum retten konnte, klappte perfekt. "Finden Sie nicht auch, dass das ein unglaublich orientalistischer Film war?", fragt eine junge türkische Journalistin nun spitz.

Das geht an den Regisseur Sam Mendes, der nicht gleich realisiert, dass "Orientalismus" unter türkischen Intellektuellen so ziemlich der schlimmstmögliche Vorwurf ist. Er schaut verblüfft, dann erklärt er, seit früher Jugend ein Bond-Fan zu sein, und nennt, sorry for that, "Liebesgrüße aus Moskau" einen seiner Lieblingsfilme. "Ehrlich gesagt", sinniert er dann, "beutet ein Bond-Film seine Locations immer aus. Aber er feiert sie auch. In ,Skyfall' wollen wir die historische Schönheit Istanbuls zeigen, aber auch die Moderne, ohne dabei in Klischees zu verfallen. Es geht um das Istanbul des Jahres 2012, nicht um eine Phantasie aus der Vergangenheit." Damit gibt sich die Fragestellerin erst mal zufrieden.

Ein echter Mann in einer realen Situation

Leute-News: Javier Bardem

Brilliert in seinen Rollen als Bösewicht: Javier Bardem, der James Bond in "Skyfall" als Oberschurke begegnen wird.

(Foto: dapd)

Auch mit anderen Fragen kann man den 46-jährigen Mendes, großgeworden in der Tradition der Royal Shakespeare Company, im Kino aber bekannt für seine Vorstadthöllen-Studien aus Amerika, ins Schwitzen bringen. Warum Bond? Was will er dem 23. Bondfilm hinzufügen, was noch neu und überraschend wäre? Und hatte er nicht - nach seinem Oscar 1999 für "American Beauty" - eine tolle Karriere im künstlerischen Film? "Ha!", ruft Mendes da. "Man beachte die Vergangenheitsform!"

Dann erklärt er, wahrscheinlich zum tausendsten Mal, dass er die alte Trennung zwischen Hoch- und Populärkultur nicht länger akzeptiere, dass auch im Rahmen eines Bondfilms heute ernsthaftes Erzählen möglich sei. "Daniel Craig hat diese Möglichkeit eröffnet", sagt er. "Plötzlich ist da wieder ein echter Mann in einer realen Situation."

Obwohl nicht mehr bekannt ist, als dass die Spitzenleute des Secret Service es diesmal direkt mit einem Killerkommando zu tun bekommen - ein paar Fakten gibt es doch, die für Mendes' Ambitionen sprechen. Der Spanier Javier Bardem zum Beispiel - in Istanbul nicht im Einsatz - wird Bonds oberster Gegenspieler sein. Wer je eine von Bardems Schurkenrollen gesehen hat, etwa seine oscargekrönte Performance in "No Country for Old Men" von den Coen-Brüdern, der weiß: Solche Aufgaben nimmt er sehr, sehr ernst.

Sodann wird Ralph Fiennes, auch kein Leichtgewicht, einen britischen Geheimdienstkoordinator spielen. Und in den Filmblogs verstummen die Gerüchte nicht, dass Dame Judi Dench als M, die Geheimdienstchefin, das Ende von "Skyfall" nicht erleben wird. "Ihre Vergangenheit wird sie einholen", lautet die offizielle, sorgsam verschlüsselte Formulierung.

Der Schauplatz in Istanbul hat inzwischen gewechselt. Gleißender Marmor, ein Himmel aus kostbarem Indigo, tanzendes Silber auf den Wellen des Bosporus. Hinten rechts liegt die Stadt, aus dem Dunst ragen die Moscheen; gegenüber grüßt Kleinasien. Der Çiragan-Palast stammt aus der Endzeit des osmanischen Großreichs, hier lebten die letzten Sultane, auch mal entmachtet und umnachtet oder unter Hausarrest. Dann fiel alles an die Kempinski-Gruppe. Hier wird nicht gedreht, hier werden nur noch Fragen beantwortet.

Bond muss nicht mehr sparen

Zum Beispiel die nach der Angst der Fans, dass in Zeiten der Weltschuldenkrise auch James Bond plötzlich zum Sparen gezwungen sein könnte. Da hilft die feudale Umgebung sehr. "Sehen Sie sich doch um", sagt Barbara Broccoli grinsend, die Tochter des legendären Produzenten Albert "Cubby" Broccoli, die zusammen mit ihrem Halbbruder das Franchise seit den neunziger Jahren als britisches Familienunternehmen weiterführt.

Tatsächlich hat Bond seine eigene Krise hinter sich, aber die spielte im Jahr 2010 und ist inzwischen überwunden. Metro-Goldwyn-Mayer, das Geldgeberstudio in den USA, musste damals restrukturieren und per Insolvenzverfahren umschulden, "Skyfall" wurde auf unbestimmte Zeit verschoben. Eilmeldungen liefen um die Welt, die schon voreilig das Ende der legendären Filmserie verkündeten, Sam Mendes stieg offiziell aus - aber im Verborgenen blieb er doch in Kontakt mit Daniel Craig. "Wir waren immer sicher, dass es weitergeht", sagt Craig heute. "Vielleicht war diese Verzögerung sogar ein Segen."

Daniel Craig hat gelernt, James Bond zu sein

Der 44-Jährige wirkt ernsthaft und komplett konzentriert, wenn er von seiner Arbeit als Bond berichtet - einer, der sich inzwischen restlos mit dem Unternehmen identifiziert. Entschlossenheit umgibt ihn wie eine dichte Aura - bei den Frauen im näheren Umkreis löst das starke Reaktionen aus, aber das scheint er bewusst zu ignorieren. "Wir hatten auf einmal Zeit, zu den Quellen bei Ian Fleming zurückzugehen, wirklich intensiv an unserem Drehbuch zu arbeiten", sagt er. "Das hat mir ein neues Vertrauen in die Rolle gegeben."

Zwei Filme habe er gebraucht, um zu lernen, James Bond zu sein, sagt er. "Es war eine Reise, aber jetzt bin ich angekommen. An einem guten Ort." Zusammen mit der Ansage, dass er Bond bleiben werde, solange Publikum und Produzenten ihn haben wollten, klingt das nach einem, der seinen Frieden gemacht hat - mit einer Rolle, die keiner, der sie übernahm, so recht wieder loswurde. Doch diese Deutung erschreckt ihn dann doch. "Stopp, das muss ich zurücknehmen. Ich bin nirgendwo angekommen, ich lerne jeden Tag. Wer sich in diesem Geschäft zu sicher fühlt, hat im Grunde schon verloren."

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