Jubiläum:Zwei Türen

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Frech, manchmal kurzatmig, aber immer poetisch. Die deutsch-türkische Schriftstellerin Emine Sevgi Özdamar hat ihren eigenen dunklen Sound dem Alltag als Einwanderin abgetrotzt. Nun wird sie 70.

Von Tim Neshitov

"Großmutter, warum hängen deine Brüste unter deinem Bauch?" Diese Sprache ist manchmal großartig frech. Manchmal ist sie auch kurzatmig, fast asthmatisch, aber trotzdem poetisch: "Dann kam der Abend, der Abend starb. Ich und Ali nahmen, was wir aus der schwarzen Nacht klauen konnten, mit ins Haus hinein." Emine Sevgi Özdamar hat ihren eigenen, dunklen Sound, sie hat ihn dem Einwandereralltag abgetrotzt. Und nun, da sie siebzig Jahre alt wird, ist diese Sprache vielleicht das Wertvollste, was diese deutsch-türkische Künstlerin besitzt.

Vor zehn Jahren war Özdamar "tief erschüttert", wie die FAZ feststellte, sie befürchtete, ihre Lebensgeschichte sei ihr geklaut worden. Und zwar von ihrem ebenfalls deutsch-türkischen Schriftstellerkollegen Feridun Zaimoglu. In seinem gefeierten Roman "Leyla" (2006) beschrieb er sehr viel von dem, was Özdamar bereits 1992 in ihrem autobiografischen Roman "Das Leben ist eine Karawanserei hat zwei Türen aus einer kam ich rein aus der anderen ging ich raus" beschrieben hatte. Kindheit und Jugend in der Nachkriegstürkei. Das freche und das lyrische Zitat eingangs stammen aus dem "Karawanserei"-Roman. Zaimoglu beteuerte damals, er habe die Kindheit der eigenen Mutter geschildert, die fünf Jahre vor Özdamar in der gleichen anatolischen Gegend geboren wurde; es gab nie eine Plagiatsklage. Beklemmend war das Ganze auch für den Verlag Kiepenheuer & Witsch, in dem beide Bücher erschienen sind.

Nach ihrer Kindheit in der Türkei war Özdamar nach Deutschland gekommen, ohne Deutschkenntnisse, sie war 18 Jahre alt und arbeitete in einer Fabrik in West-Berlin. Sie lernte Deutsch, indem sie Zeitungsüberschriften auswendig lernte. Davon hatte sie bald genug und ging nach Istanbul, um eine Schauspielschule zu besuchen. Das war die eine Özdamar, die in das Theater Verliebte, auch in das deutsche. Nach dem Putsch von 1971 wanderte sie richtig aus, wurde Regieassistentin an der Volksbühne in Ostberlin, später in Bochum. Sie stand auch auf der Bühne und schrieb Theaterstücke.

Die andere Emine Sevgi Özdamar, die Romanautorin, schrieb fast drei Jahrzehnte später über die Zeit an der Volksbühne: "Von der Brücke fielen Eisklumpen auf den zugefrorenen Spreekanal, auf dem ein einsamer Mann einen Stock für seinen Hund warf. Der Hund rannte los, rutschte auf seinem Hintern und schüttelte sich. Auf dem Eis lag eine DDR-Zigarettenschachtel der Marke Cabinet. Diese Marke rauchte auch ich, ich kriegte immer Kopfweh davon, aber ich rauchte sie weiter, weil viele Schauspieler an der Volksbühne diese Marke rauchten. So hatten wir die gleichen Kopfschmerzen." ("Seltsame Sterne starren zur Erde", 2003).

Integration? Was für ein ödes Wort! Emine Hanım, doğum gününüz kutlu olsun. In anderen Worten: Alles Gute zum Geburtstag!

© SZ vom 10.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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