Jubiläum:Im Dickicht

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Genauer Beobachter Afrikas: Nuruddin Farah.

(Foto: Tony Karumba/AFP)

Wer Afrika besser verstehen lernen will, der lese seine Romane: Dem somalischen Schriftsteller Nuruddin Farah zum 70. Geburtstag.

Von Tobias Zick

Afrika zu verstehen, das ist ein Anspruch, an dem man als Europäer nur scheitern kann. Man kann sich dem übergroßen Ziel allenfalls nähern, und dafür gibt es jede Menge Sachbücher, die einem wahlweise erklären, warum Afrika unmittelbar vor dem großen Boom steht oder aber zur ewigen Düsternis verdammt ist. Hilfreicher und wohltuender ist es mitunter, Romane von Nuruddin Farah zu lesen. Farah beschreibt zum Beispiel die Hinterlassenschaft des Kalten Krieges in Afrika nicht mit ökonomischen oder soziologischen Großtheorien, sondern so: "Die zwei großen fetten Katzen waren weg, jetzt begann die Stunde der Ratten."

Wenn Nuruddin Farah immer wieder als einer der wichtigsten Schriftsteller Afrikas genannt wird, dann liegt das vor allem daran, wie unermüdlich er die windungsreichen Lebensläufe in seinem Heimatland Somalia abschreitet, ihre Entwicklungen in den Spannungsfeldern von Tradition, Familie, Clan, Religion und Gewalt. Tyrannei ist das Thema, das sich durch sein gesamtes Werk zieht; in entlarvender Lakonie legt er nicht nur bloß, was fette Katzen und Ratten ganzen Staaten antun, sondern vor allem die alltäglichen Muster der Tyrannei im Kleinen, in einer Gesellschaft, in der so ziemlich jeder, wie er sagt, "ein kleiner Diktator" ist.

Seinen ersten Roman, "Aus einer gekrümmten Rippe", schrieb Nuruddin Farah Ende der Sechzigerjahre aus der Perspektive eines Nomadenmädchens, das vor seiner Familie flieht, um der drohenden Zwangsheirat zu entgehen, und auf seiner Reise auf männliche Gewalt und Unterdrückung in immer neue Spielarten stößt. Wohlmeinende Kritiker nennen Farah seither einen "Feministen"; er selbst lässt offen, wie er zu diesem Prädikat steht.

Wer sich darauf einlässt, die Gesellschaft am Horn von Afrika zumindest kennenzulernen, der findet in Nuruddin Farah einen kundigen, scharfsinnigen Reiseleiter durch das Dickicht - allerdings keinen, der dabei mit der Machete vorangeht, um eine lichte Bahn freizuschlagen. Statt dessen schleicht Farah unbewaffnet und auf Zehenspitzen voran, nimmt selten Abkürzungen, führt statt dessen durch Irrungen und Wirrungen. Es sind schweißtreibende Wanderungen, man begegnet einer verstörenden Vielzahl von Figuren, verliert immer wieder das Ziel aus den Augen oder bekommt Zweifel, ob es überhaupt eines gibt - allzu viel zu lachen gibt es auch selten.

Afrika ist komplex, Somalia ist nach afrikanischen Maßstäben besonders komplex, und Nuruddin Farah wird dieser Komplexität dadurch gerecht, dass er niemals der Versuchung zur Vereinfachung oder Zuspitzung - etwa im Sinne einer Insider-Islamkritik - nachgibt, sondern dem Leser Widersprüche und Spannungsfelder rücksichtslos zumutet. Wer sich beispielsweise für die Lebensläufe junger Dschihadisten interessiert, der findet Einblicke, die über Afrika hinausweisen, in "Gekapert" (2013), dem bis dato letzten auf Deutsch erschienenen Roman von Nuruddin Farah.

Seit er 1974 vor dem Regime des damaligen Diktators Siad Barre floh, lebt Nuruddin Farah im Exil. Seit 1999 beobachtet er vom vergleichsweise friedlichen Kapstadt aus weiter sehr genau das Innenleben seiner Heimat. "Wenn meine Liebste ins Koma fällt, sehe ich nicht weg", so hat er die Beziehung zu Somalia einmal beschrieben: "Ich sitze neben ihr, halte ihre Hand und spreche mit ihr." An diesem Mittwoch wird Nuruddin Farah siebzig Jahre alt. Sein nächster Roman, an dem er zur Zeit arbeitet, soll vom Leben somalischer Auswanderer in einem zunehmend ablehnenden Europa handeln.

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