Journalist wird unfreiwillig Wahlhelfer:Tollhaus Thüringen

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Sonnige Erinnerungen, nebulöse Hintergründe: Hans-Ulrich Jörges, Mitglied der Chefredaktion des Sterns, schrieb für ein Heimatheft und wurde damit unfreiwillig zum Wahlhelfer für Dieter Althaus.

Marc Felix Serrao

Wenn sich Männer im gesetzten Alter an ihre Kindheit erinnern, wird es oft lyrisch. "Ich habe nur fünf Jahre meines inzwischen 57-jährigen Lebens dort verbracht - am Stück. Die ersten fünf. Doch sie waren so prägend, in der Erinnerung so golden, dass ich die Eindrücke nie vergessen habe." So beginnt ein Artikel (Überschrift: "Mein Herz so grün") von Hans-Ulrich Jörges, Mitglied der Chefredaktion des Sterns, der in diesen Tagen in einer Zeitschrift namens Tolles Thüringen nachzulesen ist. Ein Artikel, den Jörges nach eigenen Angaben lieber nie geschrieben hätte, zumindest nicht hier. Denn wie es scheint, ist der als politisch sehr strenger Kommentator bekannte Journalist mit seinem Text unfreiwillig zum Helfer des thüringischen Ministerpräsidenten Dieter Althaus (CDU) geworden, der an diesem Sonntag wiedergewählt werden will. Althaus kommt in dem vermeintlich unparteiischen Heft so unwahrscheinlich gut weg, dass sich inzwischen sogar die Bundestagsverwaltung mit der Publikation beschäftigt. Es geht um verdeckte Wahlkampfhilfe und den Verdacht illegaler Parteienfinanzierung. Aber der Reihe nach.

"Ich habe das Ding vorher nicht gesehen", sagtStern-Journalist Hans-Ulrich Jörges auf die Frage, wie sein Text insTolle Thüringengeraten konnte. (Foto: Foto: dpa)

"Sentimentales Verhältnis" zu Thüringen

"Ich habe das Ding vorher nicht gesehen", sagt Jörges auf die Frage, wie sein Text ins Tolle Thüringen geraten konnte. Er sei Anfang Juli, lange vor Wahlkampfbeginn, um den Artikel gebeten worden. Die Website zum Heft habe "eher unpolitisch" gewirkt, und er habe seit Kindertagen ein "sentimentales Verhältnis" zu Thüringen. Von einem CDU-freundlichen Magazin, dass im Wahlkampf eine Million Mal an thüringische Haushalte verteilt wird, habe keiner etwas gesagt. "Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich keinen Finger gerührt", sagt Jörges. Ein Honorar habe er nicht erhalten. Obwohl er sich getäuscht fühle, will der Stern-Journalist keine rechtlichen Schritte unternehmen: "Was soll ich machen? Es ist ja kein offizielles Wahlkampfblatt."

Das stimmt wohl. Aber ein kurzer Blick ins Heft, über dessen politische Schlagseite die Thüringer Allgemeine zuerst berichtet hat, spricht Bände. Die Titelgeschichte etwa ist ein "Exklusiv-Interview zu Gerüchten, Hoffnungen, Wünschen und zum Leben als First Lady" mit Katharina Althaus. Auf vielen Seiten wird die Gattin des Ministerpräsidenten zu brisanten Themen wie dem "Erfolgsgeheimnis" ihrer Ehe und der Zahl von Schuhen in ihrem Kleiderschrank befragt. Die thüringische Opposition findet im Tollen Thüringen deutlich weniger Platz, etwa in der dünnen Meldung "Kein Vertrauen in SPD-Führung". Die meisten Seiten verbrauchen bunte Geschichten über die große Heimatliebe von Miss Thüringen oder Mittelständler, die der Krise trotzen. Aus Thüringen, versteht sich.

Jedwede Parteilichkeit des Heftes abgestritten

Presserechtlich verantwortlich ist laut Impressum Jochen Dersch. Der 57-Jährige war mal Bild-, dann Welt-Redakteur und arbeitet seit 1996 als freier Journalist und "Consultant". Für Aufmerksamkeit sorgte Dersch vor ein paar Jahren, als er Literaturklassiker in sehr schlichtes Deutsch übersetzte ("Goethe als Groschenroman"). Für die Proximusverlag GmbH, die das Tolle Thüringen herausgibt, ist er nach eigenen Angaben als Geschäftsführer und Chefredakteur tätig.

Im Gespräch streitet Dersch jedwede Parteilichkeit seines Hefts ab. "Das Heft wirbt weder für die CDU noch für Herrn Althaus", sagt er - "sondern für Thüringen". Das sei auch Jörges so gesagt worden: "dass wir ein Magazin über Thüringen und seine schönen Seiten erstellen wollen". Dass der Stern-Journalist sich betrogen fühlt, könne er nicht nachvollziehen. Das gleiche gelte für den Vorwurf einer verdeckten Wahlkampfhilfe, den SPD, Linke und Grüne inzwischen erhoben haben. Er selbst sei kein CDU-Mitglied, und von den Geldgebern des Hefts - laut Dersch einige Thüringer Unternehmer und Privatpersonen, die aber anonym bleiben wollten - wisse er es nicht: "Das war aber auch nie ein Thema zwischen ihnen und uns." Von der Bundestagsverwaltung habe er bislang noch nichts gehört, sagt er. Den Ermittlungen sehe er "gelassen" entgegen.

Wenn er an Thüringen denke, schreibt Hans-Ulrich Jörges in dem Gastbeitrag, den er bereut, dann seien die Bilder in seinem Kopf "sonnig, im Wortsinn, alle, ohne Ausnahme". An dieses dunkle Wölkchen wird es sich vermutlich noch eine Weile erinnern.

© SZ vom 26.08.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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