Journalismus in der Krise:Haltung bewahren!

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Der Kikeriki-Journalismus kräht sein eigenes Ende herbei. Dabei muss man vor Bloggern keine Angst haben. Denn die Zeitung ist wichtiger als die Deutsche Bank.

Heribert Prantl

Zeitungen sind systemrelevant. Sie sind systemrelevanter als die HRE-Bank, als die Deutsche und die Dresdner Bank. Sie sind sehr viel systemrelevanter als Opel und Arcandor. Die Süddeutsche Zeitung ist systemrelevant, die FAZ ist es, der Spiegel, die Zeit, die Welt, die Frankfurter Rundschau und die taz. Viele andere sind es auch. Das System, für das sie alle relevant sind, heißt nicht Marktwirtschaft, nicht Finanzsystem und nicht Kapitalismus, sondern Demokratie. Und die Presse in all ihren Erscheinungsformen, gedruckt, gesendet, digitalisiert, ist eine ihrer wichtigsten Gestaltungskräfte. Der Beweis für die Systemrelevanz der Presse ist 177 Jahre alt.

Nur zusammen sind wir stark! Der Journalist und die Bloggerin im Hollywood-Film "State of Play". (Foto: Foto: Universal)

Diese Geschichte der deutschen Demokratie beginnt 1832 auf dem Hambacher Schloss, bei der ersten deutschen Großdemonstration. Ihr Hauptorganisator war unser journalistischer Urahn Philipp Jakob Siebenpfeiffer, geboren im Revolutionsjahr 1789. Als die Regierung seine Druckerpresse versiegelte, verklagte er sie mit dem Argument: Das Versiegeln von Druckerpressen sei genauso verfassungswidrig wie das Versiegeln von Backöfen. Das ist ein wunderbarer Satz, weil darin die Erkenntnis steckt, dass Pressefreiheit das tägliche Brot ist für die Demokratie. Das Bundesverfassungsgericht hat das in großen Urteilen bestätigt. Im Spiegel-Urteil von 1966, im Cicero-Urteil von 2007.

Das täglich Brot kommt natürlich auch von den öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten. Die Anerkennung ihrer Systemrelevanz sind die Rundfunkgebühren. Verglichen mit dem, was sie schon an Rundfunkgebühren erhalten haben, ist das Milliardenkonjunkturpaket für die Wirtschaft der Jahre 2008/2009 gar nicht mehr so gewaltig. Aber für dieses Geld liefert der öffentlich-rechtliche Rundfunk ja nicht nur das täglich Brot, sondern auch allerlei Kleingebäck: Süßzeug, Hörnchen mit Quark und Plunder mit Frischkäse.

Aufgeregte Kräherei

Diese Darlegungen zur Systemrelevanz der gedruckten Presse sind kein Plädoyer für deren Staatsfinanzierung. Nein - keine Solidaritätsabgabe für die Presse, keine Staatsbürgschaft, kein Hilfspaket und keinen Notgroschen. Den Zeitungen fehlte es gerade noch, dass es bei ihnen zugeht wie beim ZDF - dass also die politischen Parteien glauben, sie könnten sich nicht nur den Chefredakteur beim ZDF, sondern auch noch den bei der taz aussuchen. Davon abgesehen müsste es, um ein staatliches Hilfspaket für die Zeitungen zu rechtfertigen, wirkliche Existenznot geben. Diese wird zwar allenthalben beklagt, doch es gibt sie so nicht. Die Existenzkrise, ja Todesnähe der Zeitungen oder gleich gar des professionellen Journalismus gehört zu den Hysterien, die in den Medien noch besser gedeihen als anderswo. Der Kikeriki-Journalismus, die aufgeregte Kräherei, kräht nun das eigene Ende herbei. Man schreibt sein eigenes Produkt schlecht, so lange, bis es alle glauben.

Selbst der Philosoph Jürgen Habermas und Dieter Grimm, der frühere, für die Pressefreiheit zuständige Bundesverfassungsrichter, haben für eine Staatsfinanzierung von Zeitungen geworben. Sie glaubten und glauben an die existentielle Not von Zeitungen - und ihre Antwort darauf ist eine fast verzweifelte demokratische Liebeserklärung. Doch die deutschen Zeitungen brauchen kein Staatsgeld. Sie brauchen Journalisten und Verleger die ihre Arbeit ordentlich machen. Sie brauchen Journalisten, die neugierig, unbequem, urteilskräftig, selbstkritisch und integer sind. Sie brauchen Verleger, die einen solchen Journalismus schätzen, die also von ihren Zeitungen mehr wollen als Geld, die stolz sind darauf, dass sie Verleger sind; und denen dieser Stolz mehr bedeutet als zwei Prozent mehr Gewinn. Und sie brauchen Leserinnen und Leser, denen die gute journalistische Arbeit etwas wert ist - womöglich viel mehr als die Abo-Kosten von heute, um so einbrechende Anzeigenerlöse auszugleichen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum man den Bloggern dankbar sein muss.

Die deutsche Publizistik hat sich von der US-Zeitungsdepression lustvoll anstecken lassen. Man tut so, als sei es gottgegeben, dass der "state of play" in den USA auch der "Stand der Dinge" in Deutschland ist. Das US-Zeitungswesen ist der Wall-Street-Theorie zum Opfer gefallen, wonach man den Profit dadurch maximiert, indem man das Produkt minimiert. Die US-Zeitungen sind an die Börse gegangen und dann an der Börse heruntergewirtschaftet worden. Der Wert der Zeitungen wurde von der Wertschätzung nicht der Leser, sondern der Aktionäre abhängig gemacht. An immer mehr Zeitungen haben die Investmentfonds wesentliche Aktienanteile gehalten.

Das war und ist der eine Grund für die US-Zeitungsmisere. Der andere hat vielleicht auch mit diesem einen zu tun: Die US-Zeitungen haben in der Bush-Ära fast komplett versagt. Die Blogs waren daher nichts anderes als eine demokratische Not- und Selbsthilfe. Blogger haben die kritischen Analysen und Kommentare gegen Bush und den Irak-Krieg geschrieben, die man in den Zeitungen nicht lesen konnte. Ein guter Journalismus muss wegen der Blogger also nicht das Zähneklappern kriegen. Er kann dem Blog dankbar sein, wenn und weil er Lücken substituiert und Fehler aufzeigt.

Man kann viel lernen aus der US-Zeitungsdepression. Vor allem, was man tun muss, um nicht in eine solche Depression zu geraten. Da muss man einiges tun: Vielleicht muss zuallererst an die Stelle von Larmoyanz wieder Leidenschaft treten. Und überhaupt: die Blogs, das Internet. Warum sollte man sich vor der digitalen Huffington Post fürchten? Sie macht das, was eine gute deutsche Zeitung auch macht: ordentlichen Journalismus. Man sollte endlich damit aufhören, Gegensätze zu konstruieren, die es nicht gibt - hie Zeitung und klassischer Journalismus, da Blog mit einem angeblich unklassischen Journalismus. Der gute klassische ist kein anderer Journalismus als der gute digitale Journalismus. Die Grundlinien laufen quer durch diese Raster und Cluster: Es gibt guten und schlechten Journalismus, in allen Medien.

Guter Journalismus hat große Zeiten vor sich: Noch nie hatten Journalisten ein größeres Publikum als seit der digitalen Revolution. Noch nie war Journalismus weltweit zugänglich. Und es gab wohl noch nie so viel Bedürfnis nach einem orientierenden, aufklärenden, einordnenden und verlässlichen Journalismus wie heute. Es ist nämlich so: Die Ausweitung des wissbaren Wissens durch das Netz wird auf Kosten ihrer Vertiefung verwirtschaftet. Die Datenmenge nimmt zu, aber die Datenverarbeitung bleibt aus. Da kommt dem Journalismus eine neue Aufgabe zu: Gegen Datentrash hilft nur Reflexion und Hintergrundbildung. Daher muss der Print-Journalismus auf die Medienrevolution auch mit der Erfindung neuer "Formate" reagieren, in denen er eine Aschenputtel-Aufgabe wahrnimmt: Die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen. Die Töpfchen, das sind die neuen Formate, in denen die Datenmenge des Web sortiert und bewertet wird.

Professioneller Griesgram

Der Amateur-Journalismus, der in den Blogs Blüten treibt, ist kein Anlass für professionellen Griesgram. Dieser Amateur-Journalismus bietet Chancen für eine fruchtbare Zusammenarbeit. Er ist ein demokratischer Gewinn. Diese Blogger erinnern an die bürgerlichen Revolutionäre von 1848/49, die Kommunikationsrevolution heute gemahnt an die vor 160 Jahren. Damals entstand durch die explosionsartige Ausbreitung der Presse und durch das neue Verkehrsmittel Eisenbahn ein neuer, größerer Erfahrungsraum. In Deutschland wurde auf diese Weise die Intellektuellen-Idee eines gemeinsamen deutschen Vaterlandes zu einer erfahrbaren Realität. 1848 steht also für einen politischen Lernprozess, der Hunderttausende Menschen einbezog und ihnen Möglichkeiten zur politischen Partizipation gab. Heute, 160 Jahre später, bietet die digitale Revolution diese Möglichkeit wieder. Blogs sind "mehr Demokratie" - bei allen Unwägbarkeiten. Soll da wirklich der professionelle Journalismus die Nase hochziehen, so wie es vor 160 Jahren die etablierten fürstlichen Herrschaften und die monarchischen Potentaten getan haben?

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie David Montgomery versuchte, der Berliner Zeitung den Journalismus auszutreiben.

Wie wird der Journalismus morgen aussehen? Wer über die Zukunft reden will, muss die Vergangenheit kennen. Henri Nannen, Rudolf Augstein, Axel Springer - bei allen Differenzen und Unterschieden wussten sie, dass der Journalismus eine Aufgabe hat, die über das Geldverdienen hinausgeht. Es ist wichtig, dass Journalistenschüler und Volontäre nicht nur lernen, wie der "Crossover-Journalismus" funktioniert, dass sie nicht nur lernen, wie man effektiv und schnell schreibt und produziert, sondern dass sie auch erfahren, dass es journalistische Vorbilder gibt - und warum sie es sind und wie sie es wurden. Warum? Weil sie nicht nur wunderbare journalistische Handwerker waren, weil sie nicht nur kluge Verleger waren - sondern weil sie eine Haltung hatten.

Haltung: das Wort ist aus der Mode gekommen. Haltung heißt: für etwas einstehen, Haltung heißt: sich nicht verbiegen lassen, nicht von kurzfristigen Moden, nicht von unrealistischen Renditeerwartungen, nicht von Bilanzen. Wenn die journalistische Bilanz der Zeitung, eines Medienunternehmens stimmt, dann stimmt langfristig auch die ökonomische. Zur angemessenen journalistischen Haltung heute gehört auch, sich gemeinsam zu überlegen, wie man auf "kreative" Weise sparen kann. Das heißt: Man muss sich darüber klar werden, was eine Presse braucht, die ihre Freiheit gegen die Ökonomisierung von Nachrichten- und Medienmärkten politisch verteidigen will. Es hat einen Grund, warum es das Grundrecht der Pressefreiheit gibt: Pressefreiheit ist Voraussetzung dafür, dass Demokratie funktioniert. Wird dieser Grundsatz nicht mehr geachtet, wird das Grundrecht grundlos. Dann verlieren Zeitungen wirklich ihre Zukunft.

Geist mutiert zu Geistlosigkeit

Zuletzt hat sich in Deutschland David Montgomery bemüht, der Berliner Zeitung den Journalismus auszutreiben und aus der Zeitung eine Benutzeroberfläche zu machen, auf der immer weniger von dem platziert wird, was Geld kostet (gute Artikel), aber immer mehr von dem, was Geld bringt (Product-Placement). Das Muster kennt man aus den USA: Journalisten werden entlassen, Korrespondenten eingespart, Redaktionen aufgelöst, eigene Texte durch solche von Agenturen ersetzt oder billig eingekauft. Die Chefredaktion verwandelt sich in eine Geschäftsführung. Geist mutiert in Geistlosigkeit. Man spart, bis die Leser gehen. Es ist wie eine absonderliche Version des Märchens vom Rumpelstilzchen: Es wird - aus Geldsucht und Unverstand - Gold zu Stroh gesponnen. Bei der Berliner Zeitung hat sich das Blatt nun hoffentlich zum Besseren gewendet. Montgomery ist weg, trotzdem muss man befürchten, dass sein Beispiel Schule macht.

Die gute Zukunft der Zeitung sieht anders aus: Die Tageszeitung wird sich des Internets wegen verändern - sehr viel mehr, als die Konkurrenz von Rundfunk und Fernsehen sie verändert hat. Der Inhalt der Zeitung wird ein anderer sein, aber die Zeitung wird erst recht Zeitung sein: Die Texte, die dort stehen, werden Nachrichten im Ursinne sein müssen, Texte zum Sich-danach-Richten. Es wird Texte und Formen geben, die den Datentrash des Internets sortieren, ordnen, bewerten. Das kriegt man nicht umsonst, das kostet. Ein Billigjournalismus ist zum Wegwerfen, nicht zum Lesen.

Viele Zeitungsleute reden über das Internet wie von einem neuen Hunneneinfall. Die Hunnen kamen vor 1500 Jahren aus dem Nichts, schlugen alles kurz und klein und verschwanden hundert Jahre später wieder. Das Internet schlägt gar nichts kurz und klein. Das ist die Lehre aus jeder mediengeschichtlichen Revolution: Kein neues Medium hat je die alten Medien verdrängt. Es kommt zu Koexistenzen. Das Internet ersetzt nicht gute Redakteure, es macht gute Journalisten nicht überflüssig; im Gegenteil: Es macht sie wichtiger als bisher.

Es wird mehr denn je gelten: Autorität kommt von Autor und Qualität kommt von Qual. Dieser Qualitäts-Satz hängt zwar in der Hamburger Journalistenschule, gilt aber nicht nur für Journalistenschüler. Er meint nicht, dass man Leser und User mit dümmlichem, oberflächlichem Journalismus quälen soll. Qualität kommt von Qual: Dieser Satz verlangt von Journalisten in allen Medien, auch im Internet, dass sie sich quälen, das Beste zu leisten - und er verlangt von den Verlegern, dass sie die Journalisten in die Lage versetzen, das Beste leisten zu können.

Der Text referiert in Auszügen den Eröffnungsvortrag, den Prantl bei der Jahrestagung der Journalistenvereinigung Netzwerk Recherche vergangenen Samstag in Hamburg gehalten hat.

© SZ vom 08.06.2009/kar - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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