Joseph Haydn:Es werde Licht

Joseph Haydn: Carl Czerny regelt in seinem Klavierauszug Haydns Chorforte und Orchesterfortissimo zum Fortississimo hoch.

Carl Czerny regelt in seinem Klavierauszug Haydns Chorforte und Orchesterfortissimo zum Fortississimo hoch.

(Foto: oh)

Die Welt verändert sich ständig, nicht aber die großen Fragen. Der Komponist Joseph Haydn findet in seinem Oratorium "Die Schöpfung" im Chaos das Paradies.

Von Helmut Mauró

Möglicherweise ist das Verhältnis von Chaos und Ordnung immer das gleiche, und nur die Wahrnehmung variiert. Unordnung verängstigt viele, Anarchie ist ein Schimpfwort. Umgekehrt wird Ordnung oft mit Gewalt und Abgrenzung verbunden. Natürlicherweise gibt es Leben nur mit Grenzen, allerdings mit durchlässigen: Zellwand und Haut betreiben Osmose und Wärmeaustausch. Niemand ist Nordkorea. Die feine Differenz von Abgrenzung und Ausgrenzung ist überlebenswichtig. Es geht um den schönen Widerspruch eines geordneten Chaos als Grundlage allen Seins. Der aufgeklärte religiöse Komponist Joseph Haydn hat 1798, zu Zeiten der Französischen Revolution, in seinem Oratorium "Die Schöpfung" solch ein Chaos komponiert, das auf dem bestürzenden Höhepunkt der Verwerfungen umschlägt in eine freundlich friedliche Welt. Das Chaos ist Ausgangspunkt für das Paradies. "Am Anfange", so der Text aus der Genesis, "schuf Gott Himmel und Erde; und die Erde war ohne Form und leer". Die Leere zeigt sich in der Partitur dadurch, dass alle dasselbe spielen - in der Musik der Ausnahmefall; das musikalische Leben beginnt wie überall sonst durch Abweichung, Abspaltung, Verschiedenheit und spannungsvollem Bezug zueinander. In Haydns "Schöpfung" sind es nicht energetische Strahlungen, sondern die Geigen, die Verwirrung stiften und den in sich ruhenden Orchesterklang melodisch, harmonisch und rhythmisch aufbrechen. Chaos auf allen Ebenen bahnt sich an, schmerzvoll schräge Klänge legen sich über die unruhig pulsierenden, schließlich stockenden Bassstimmen. Bis Gott das Licht anknipst. Haydn schiebt den Gesamtklang in einer schlichten Kadenzwendung aus dunklem c-Moll-Pianissimo in ein gleißendes C-Dur-Forte. Seit Jahrzehnten tobt ein Dirigenten- und Chorwettbewerb darüber, wer das langsamste Largo durchhält und das leiseste Pianissimo, schließlich das lauteste "es werde LICHT" herausbrüllt. Im Englischen heißt die Aufklärung Enlightenment, in deutschen Radioansagen gerne auf "Enlightment" verkürzt.

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