John Lennon:Krieg und Frieden

An diesem Sonntag würde der Ex-Beatle seinen 65.Geburtstag feiern. Stunden vor seinem Tod war er endlich glücklich.

Willi Winkler

Morgens, vor der ersten Vorlesung, Phonetik und Phonologie muss es gewesen sein, kam der Unglücksbote, triumphierend, weil er das Entsetzliche bereits wusste: Am Abend davor war in New York John Lennon ermordet worden. Einfach erschossen. Auf offener Straße. Es war zum Weinen. Aber durfte man denn weinen?

John and Paul

John and Paul: Das Sondschreiberduo Lennon/McCarntey in einer Pause während der Aufnahmen in den Abbey-Road-Studios.

(Foto: Foto: AP)

An John F. Kennedy kann ich mich kaum erinnern, aber an die Schüsse von 1968 auf Martin Luther King, auf Rudi Dutschke und auf den jüngeren Kennedy. Die Mörder waren ständig unterwegs in den 60ern, und seit es den Fernseher gab, kam das Morden jeden Tag.

In Vietnam wurden Menschen bombardiert, Menschen oder Bäume, es war nicht zu begreifen. Nur dass der Krieg, von dem die Lehrer in der Schule mit nie nachlassender Begeisterung erzählten, doch nicht aus war, sondern ja immer weiter ging, jeden Tag. Der Polizeikommandant von Saigon, General Nguyen Ngoc Loan, konnte es am besten: Für die Kamera exekutierte er einen Vietcong. Das Gesicht verzog der Gefangene, und der General schoss ihm in den Kopf. Viele Jahre später sah ich einmal, wie der Film weiterging. Der Gefangene lag tot am Boden, aber von der Gewalt des aufgesetzten Schusses entströmte noch dem Leichnam eine gewaltige Fontäne, nicht anders als dem enthaupteten Johannes auf heute lieber versteckten Renaissance-Tafeln.

Kaum war John auf der Welt, kamen die Bomber

Und "Helter Skelter". Im Sommer 1969, eine Woche vor Woodstock, schickte Charles Manson seine Mordmädchen los, sie massakrierten in zwei Nächten mehr als ein halbes Dutzend Menschen. Mit Blut schrieben sie PIG an die Wand, denn die Schwarzen sollten es gewesen sein, damit die Weißen zum Endkampf anträten gegen jene Schwarzen. Befohlen hätten das die Beatles mit ihrem Song "Helter Skelter", sagte Manson vor Gericht. Dann Scorsese und Altman. In den 70ern - in "Taxi Driver" und "Nashville" - traten die Attentäter auf, sendungsbewusste Killer, sinnlos, aber wann war Morden sinnvoll?

John Lennon kam aus diesem ewigen Krieg und starb in ihm.

Seine Mutter Julia war schon über die Zeit, als sie ihn am 9. Oktober 1940 zur Welt brachte. Die Deutschen hatten eben angefangen, England zu bombardieren. An jenem Abend war Liverpool fällig. Als seine Tante Mimi zum Krankenhaus lief, sind "Granatsplitter vom Himmel gefallen, und Geschützfeuer war zu hören". Als sie den Neugeborenen in die Arme nahm, kam die nächste Sirenenwarnung. Patienten und Besucher mussten in den Keller, das Baby wurde einfach unters Bett gepackt und hat dort überlebt.

Sein Vater war, wie sich's für einen rechten Seemann gehört, weit weg in einem anderen Hafen, bei einer anderen Braut. Die Mutter gab den Sohn bald weg zur Schwester, bekam noch mehrere Kinder von Männern auf der Durchreise und schlug sich so durch die Nachkriegszeit. Seine Tante Mimi zog ihn auf, seine Mutter zeigte ihm mit der Mandoline, wie man Gitarre spielt. Als er siebzehn war, wurde die Mutter dann totgefahren.

John klaute manchmal, prügelte sich bei jeder Gelegenheit und litt wie James Dean in "Denn sie wissen nicht, was sie tun" an seiner Umwelt. Von den vier Beatles kam er aus einem für die ärmlichen 50er vergleichsweise wohlhabenden Haushalt und schien sich nichts sehnlicher zu wünschen als im Gefängnis zu landen. Aber im rechten Moment war Elvis erschienen, es gab vielleicht doch ein anderes Leben, und wer nicht ganz ertaubt ist, kann hören, mit welch religiöser Inbrunst John Lennon auf allen Aufnahmen Chuck Berrys ewige Hymne singt, nein, herausschreit: "Just lemme hear some of that rock and roll music . . . "

In der Schule? Fiel er auf, aber was sollte er da auch? Schon mit sechzehn trank er zuviel, aber er lernte rechtzeitig Paul McCartney kennen, seinen Freund, seinen Bruder; auch er hatte eben seine Mutter verloren. Kein vernünftiger Mensch mag Paul McCartney, aber er hat Lennon vor dem Knast bewahrt und ihn seine soviel besseren Lieder schreiben lassen. Beim ersten Zusammenspielen schrieben sie das Lied "One after 909". Erst zehn Jahre später nahmen sie es auf, im desaströsen Spätwinter 1969, zusammen mit einem neuen Song, "Two of us": Wir zwei, haben wir nicht einiges erlebt zusammen? Es war das Ende der Freundschaft, und es war das Ende der Beatles.

Jungfräulich mussten die Jungs sein

"Die Schule war ihm vollkommen egal", sagt seine erste Frau Cynthia über den jugendlichen Delinquenten. "Er wollte bloß immer die anderen ärgern." Das merkten die Lehrer und auch die Mädchen, die sich alle in das leicht verwahrloste Genie verliebten. Cynthia Powell bekam ihn - und natürlich behandelte er sie deswegen schlecht. (Er musste dafür bei der zweiten Frau büßen!)

Cynthia gebar ihm einen Sohn und wickelte ihn in Windeln, aber die Fans durften von Frau und Kind und Familie nichts wissen. Jungfräulich mussten die Jungs sein, die immerzu von der Liebe sangen und ob sie vielleicht biiiitte die Hand anfassen dürften. Ganz so harmlos ging es auf den Tourneen nicht zu. "Es waren Hunderte, Cyn!", prahlte Seefahrer John, als er wieder einmal im Heimathafen zu Besuch war.

Das wahre Leben begann in Hamburg, beim Gastspiel auf der Reeperbahn. Hamburg war in Grund und Boden bombardiert worden. Hamburg war so kalt, dass sie die Tapete in ihrem Wohnloch anzündeten. Astrid Kirchherr und Jürgen Vollmer fotografierten John Lennon als Halbstarken im Hafen und vor dem Hochbunker auf dem Heiligengeistfeld. Bestimmt gibt es noch Zeitzeugen, die wissen, wie John Lennon mit einer Klosettbrille um den Hals sein Publikum anschrie und mit "Heil Hitler!" grüßte.

Von Hamburg aus kamen sie über die Welt. Sie gaben den Rock'n'Roll auf, lernten das frenetische Haareschütteln vorm Mikro, den herzzerreißenden Diskant, aber bald konnte es jeder hören. In ihren Erinnerungen jammert Edith Piaf, die Ende 1963 starb, dass man jetzt überall dieses scheußliche Yeah, Yeah, Yeah höre, über das sich drüben auch Walter Ulbricht beklagte: "Mit der Monotonie des Yeah, Yeah, Yeah, und wie das alles heißt, sollte man doch Schluss machen."

Krieg und Frieden

Aber der Kapitalismus war einfach stärker, oder doch die Beatles. Es war die größte Musik, die es je gegeben hatte, und es gab kein Entkommen.

John Lennon, AP

John Lennon einen Tag vor seiner Ermordung

(Foto: Foto: AP)

Später würde John Lennon sagen, dass auch er nur ein Gefangener der Beatles war. War es so? Wenn sich die vier Beatles, wie immer auf der Flucht vor den Fans, in dem Film "A Hard Day's Night" im Gepäckraum zusammenfinden, und Lennon strahlend dieses eine, einzige Lied auf der Mundharmonika präludiert: "Aaaaaah should 'ave known better", dann wirkte er doch glücklich. Oder wie er sich, das ist schon im nächsten Film, von den anderen umringt, in den Sessel zurücksinken lässt, die Gitarre übergelegt hat und dann anhebt: "Hey, you've got to hide your love away."

Sie waren zwar immer nichts für die Mädchen, aber alle großen Lieder der Beatles sind von ihm, "I am the Walrus" und "Norwegian Wood" und "Yer Blues". Oder dieses eine: Nachts auf dem Kapitol ein Auto, das da sicher zu keinem humanistischen Zweck parkte, die Türen weit auf, und heraus kam diese unirdische Musik, jenseitig und wie vom Autor gewollt aus den Weiten des Alls: "Pools of sorrow, waves of joy are drifting through my open mind,/possessing and caressing me./Jai Guru De Va Om ...

Ja, schlimmschlimm, das waren die Drogen, anders ging es nicht. Die Drogen nicht, aber die Aktionskünstlerin Yoko Ono befreite ihn von den Beatles. Mit ihr ging er nach New York, hoffte auf Frieden für sein wildes Herz und begab sich in die nächste Gefangenschaft.

Das Ehepaar beteiligte sich an Demonstrationen, beschuldigte Regierung und Präsident der kurrenten Kriegsverbrechen, und deshalb konnte John Lennon die Vereinigten Staaten auch nicht mehr verlassen, wenn er nicht seine Aufenthaltsgenehmigung gefährden wollte. Weit fester noch band ihn die Ehe. Winston war das Kriegskind nach Churchill mit zweitem Vornamen getauft, und er hasste den Namen so sehr, dass er sich - erwachsen zwar, aber kaum weniger kindisch, auf einem Dach stehend - standesamtlich in John "Ono" Lennon umtaufen ließ. Die Beatles waren aufgelöst, ob Yoko nun schuld dran war oder nicht, niemand bedrängte sie mehr. Sie konnten Katzenmusik machen und im Bett bleiben, soviel sie wollten. Soviel Toleranz erträgt auf Dauer keine Liebesheirat.

Yoko, wozu nannte er sie schließlich "Mutter", schickte ihn fort. Er solle sich trollen, ruhig auch herumziehen und alles, nur weg, weit, weit weg. John trank sechzehn Monate lang und wurde wieder jung. Mit seiner unvergleichlichen Kater-Stimme nahm er sein großes Spätwerk auf, die Klassiker seiner Jugend, "Rock'n'Roll", und wieder steht er da in der Lederjacke aus Hamburg.

John wollte nicht mehr Lennon sein, sondern Brot backen

Der Fan meint es nicht gut. Der Fan schafft sich das Idol nach seinem Bild und Gleichnis und wird leicht böse, wenn er selbst dann nicht dem Ideal entspricht. Der Star, der Angebetete muss es büßen. Auch wenn er sich dem Idol nur auf den Knien seines Herzens naht, sinnt der Fan im Grunde dieses Herzens auf nichts Edleres als: Mord.

In New York, nach dem langen Wochenende mit den Saufkumpels und mit May Pang als Betthupferl, kehrte im Jahre 1974 endlich Frieden ein. Die Einwanderungsbehörde gab nach, er durfte in Amerika bleiben. Yoko Ono bekam nach mehreren Fehlgeburten ein Kind, das sie nun gemeinsam in Windeln legten und in eine Krippe betteten. John wollte nicht mehr John Lennon sein, sondern zu Hause bleiben, Brot backen, ein bisschen spinnen und sich sonst um Sean kümmern. Die neureiche Form der Vernachlässigung: das Kind soll alles haben. Der Vater war ja nicht viel anders. Das Kind scheint es einigermaßen überstanden zu haben.

Aber wen interessierte das schon? Der Musiker, der Held John Lennon war verschwunden. Erst gingen die Beatles auseinander, und dann Lennon in eine Art Howard-Hughes-Exil.

Ich habe die Beatles und Lennon nur mit meiner Schwester geteilt, die mich regelmäßig fragte, ob die Beatles denn nicht doch vielleicht wieder zusammenfänden. Jede Meldung in der Bravo hat sie mir gezeigt, dass er bei einer Party für einen bescheuerten Beatles-Film aufgetreten sei (teilweise auf Neuschwanstein gedreht!) oder mit Elton John "Whatever gets you thru the night" gesungen hatte. Oder Ringo ein Liedchen zugesteckt hatte für dessen neue Platte. Irgendwann wurde ihr das Warten zuviel, sie fiel dann doch ab vom Glauben und Abba zu, ein beispielloser Verrat, aber, na ja, die Mädchen.

1978 bin ich in New York um sein Haus herumgeschlichen, einer von vielen.

Es hieß Dakota und war schon vorher berühmt. Roman Polanski hatte hier "Rosemaries Baby" gedreht. Charles Manson ließ Polanskis schwangere Frau umbringen. Da saß John Lennon jetzt drin und privatisierte. Wenn er Besuch aus England bekam, wünschte er sich Süßigkeiten von daheim. Auf einer Karte schrieb er anderthalb Jahre vor seinem Tod an seinen älteren Sohn Julian: "Everyday everyway I'm getting better and better." Vielleicht stimmte das sogar.

Er wollte wieder Musik machen

Als er starb, im Dezember vor 25 Jahren, war Vietnam zu Ende und schließlich auch Kambodscha, aber in Teheran sprudelte der Blutbrunnen, starben die Basigi an der Grenze zum Irak, starben, weil sie mit ihrem bloßen Körper den Heiligen Krieg gegen Saddam Hussein gewinnen wollten, der allerdings über Giftgas verfügte, mit freundlichen Grüßen aus Deutschland und den USA. Die UdSSR war in Afghanistan einmarschiert.

Der Krieg ging weiter.

Am Nachmittag seines Todes noch hat John Lennon einer Reporterin erzählt, wie angstfrei es sich in New York leben lasse. "Ich kann hier einfach aus der Tür und in einen Restaurant gehen." Er wollte wieder Musik machen. Die neue Platte war nicht besonders, aber sie war von ihm. Er kam müde aus den 70ern und ahnte nicht, wie lächerlich bedeutungslos die 80er werden würden. Er schaute allen Ernstes nach vorn.

Mark David Chapman ließ sich eine Platte von ihm signieren, ging, kehrte zurück und schoss.

Chapman war ein wiedergeborener Christ, er hörte Stimmen und handelte logischerweise im göttlichen Auftrag. In der Zeitung hatte er gelesen, dass Lennon Millionär war, aber nicht alles den Armen gab. Chapman, ein Verrückter, ein Herostrat, konnte das nicht ertragen. Ein Schwächling wie wir alle. Die Witwe fotografierte die blutbespritzte Brille; gutes Bild für ihre nächste Platte. Wie er sich das Alter vorstelle, wurde der 30-jährige John Lennon mal gefragt. "Ich hoffe", antwortete er und schaute zu Yoko, "ich hoffe, wir sind dann ein nettes älteres Ehepaar, wohnen in einem Haus an der irischen Küste oder so und blättern das Skizzenbuch unseres Wahnsinns durch."

Der Hochbunker auf dem Heiligengeistfeld steht immer noch und wartet auf den Atombombenangriff. Die Reeperbahn ist da und die Große Freiheit. Manchmal versucht jemand ein Beat-Revival oder ein Veteranentreffen. Bloß John Lennon, der die Leute besoffen anbrüllte, ist nicht mehr da.

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