"John Irving und wie er die Welt sieht" im Kino:Extrovertierter Einzelgänger

An der Grenze zur Hofberichterstattung ist der Zuschauer hautnah dabei, wenn US-Erfolgsautor Irving in dem Kinofilm "John Irving und wie er die Welt sieht" das Handwerk des Romanschreibens erklärt.

Fritz Göttler

Der Ringer gibt sich gern als Clown in diesem Film, John Irving, der wohl meistgeliebte Ringer der Welt. Von den Ringer-Jahren sind ihm die kompakte Statur geblieben und vor allem die ausholenden Bewegungen - weit streckt er die Arme auseinander, wenn er auf der Bühne liest oder erzählt, so wie die Ringer es tun, wenn sie langsam, mit bärenhafter Herzlichkeit, an den Gegner sich herantasten.

Kinostarts - 'John Irving und wie er die Welt sieht'

Bildausschnitt aus "John Irving und wie er die Welt sieht": Der Literat schreibt seine Manuskripte noch mit Bleistift.

(Foto: dpa)

"The famous Gemütlichkeit was a little superficial", sagt er von der Stadt Wien, die in den frühen Romanen eine so wichtige Rolle spielt, in der er lange lebte und studierte, die Psychoanalyse, die mitteleuropäische Kultur, die typische Kleinstadt-Xenophobie.

Man sieht Irving viel unterwegs, auf Lese- und auf Recherchetouren, in Hamburg und Zürich und im Rotlichtviertel von Amsterdam, mit seiner Frau und mit den Ladies vom Diogenes Verlag. In diesen Momenten grenzt der Film von André Schäfer dann doch an Hofberichterstattung. Aber man lernt dabei eine Menge jener Leute kennen, die mit Irving "zusammenarbeiteten" - die er, der extrovertierte Einzelgänger, befragte und die dafür dann kleine Rollen in den Romanen bekamen.

Und man ist hautnah dabei, wenn John Irving uns das Handwerk des Romanschreibens erklärt, und er meint wirklich Handwerk, so wie auch das Ringen ein Handwerk ist. Geduldiges Wiederholen, die einzelnen Sätze schreiben und umschreiben, immer wieder, mit der Hand, mit einem Bleistift. Er zeigt seine Notizbücher, in die er, auf der rechten Seite, die Architektur der Romane festhält - die linke Seite bleibt frei für Zusätze, Korrekturen.

Kleine Sachen: "Vergiss nicht, dass diese Figur jene Figur treffen soll, vor Kapitel vier. Ausrufezeichen . . ." So hat die Konstruktion eines Romans bei John Irving nichts mit einem übermächtige Schicksal zu tun, aber mit einer Aura des Fatalen. Sie steckt im Sound der Sätze, ihren perfekt getimten Synkopen. John Irving hat sie ganz verinnerlicht - wenn er mit seinem Hund über die Terrasse geht, verfällt er plötzlich in einen kleinen Two-step, hüpft zweimal hintereinander mit dem selben Bein.

JOHN IRVING UND WIE ER DIE WELT SIEHT, D 2012 - Regie: André Schäfer. Kamera: Andy Lehmann. Schnitt: Fritz Busse. W Film, 93 Minuten.

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