Fotograf Jim Rakete: 60. Geburtstag:Immer unter Strom

"Für mich ist die analoge Fotografie fast eine Religion": Seine Portraits von Musikern und Schauspielern haben Jim Rakete berühmt gemacht. Ein Gespräch über Besonnenheit, Emphatie - und Berlin.

Daniel Hofer

Am 1. Januar wird der deutsche Fotograf Jim Rakete 60 Jahre alt. Seit über 40 Jahren prägt er mit seinen vornehmlich in Schwarzweiß gehaltenen Portraits das Bild der Musik- und Filmszene in Deutschland und international. Sein aktuelles Projekt, eine Zusammenarbeit mit dem Filmmuseum Frankfurt am Main, stellt herausragende deutsche Filmschaffende in den Fokus. Die in Farbe fotografierte Serie zeigt zahlreiche Schauspieler und Regisseure mit Requisiten ihres eigenen Schaffens. Aus dem Projekt ist eine Ausstellung entstanden, deren Vorab-Premiere zur Berlinale Anfang Februar in der Kunsthalle Koidl stattfinden wird. In vollem Umfang kommt sie dann im Juni nach Frankfurt zur Wiedereröffnung des Deutschen Filmmuseums. Im Interview wehrt sich Jim Rakete gegen die reine Rückschau - er blickt lieber in die Zukunft. Auf Starkult und Selbstbeweihräucherung hat er keine Lust. Er schwärmt stattdessen von anderen Fotografen.

sueddeutsche.de: Herr Rakete, Ihre Fotografie verbinde ich besonders mit den Begriffen Gelassenheit, Ruhe und Konzentration.

Jim Rakete: Ruhig bin ich überhaupt nicht bei der Arbeit, eher hektisch und unter Strom. Ich weiß nicht, wie man den Job sonst anders machen sollte. Ich wünschte, ich hätte die Ruhe, aber eigentlich bin ich eher rastlos. Es bringt auch nichts, wenn man zu ruhig ist vor der Kamera, denn beide Seiten müssen sich auf den Moment hin konzentrieren, sonst wird's unscharf und ungenau. Ich habe das Fotografieren die ganzen Jahre über ziemlich hektisch betrieben, denn ich wollte, dass meine Arbeit ein Querschnitt durch Deutschland und auch durch meine Vergangenheit wird.

sueddeutsche.de: Ihre Arbeiten wirken trotzdem eher entschleunigt. Wollten Sie mit Ihrer Bildsprache einen Gegenpol zu Leistung und Geschwindigkeit setzen?

Rakete: Mir geht es um Qualität in meinen Bildern. Nicht um Multiple Choice und Beliebigkeit, sondern darum, ob man mit klarem Kopf die beste Möglichkeit findet. Ich bin ein glühender Verfechter der Besonnenheit, so fotografiere ich auch, ich bin ja kein Anfänger.

sueddeutsche.de: Warum fotografieren Sie hauptsächlich prominente Persönlichkeiten?

Rakete: Es war ein großer Zufall, dass viele von den Menschen, die ich portraitierte, prominent wurden. Es waren einfach herausragende Leute, Künstler, Musiker, Schauspieler... Dass sie später bekannt wurden, okay, das war ein Glücksfall, ich habe aber nicht gewartet, bis die Prominenz da war. Darum geht es mir auch gar nicht, das würde mir eher entgegenstehen.

sueddeutsche.de: Würden Sie, wenn man Sie beauftragte, auch eine Reportage über "normale" Menschen fotografieren?

Rakte: Ich habe auch schon solche Projekte gemacht, zum Beispiel eine Ausstellung über die Berliner Philharmoniker, 138 Musiker. Oder ein Projekt über Obdachlose. Was mich an prominenten Personen reizt - solche, die aus der Masse herausragen - ist der öffentliche Maßstab, den diese Leute haben, an dem man sich messen kann. Wenn jemand kommt und ein Foto von mir macht, und jemand anderes macht ein anderes Foto, dann spielt das keine Rolle, denn mich kennt kein Mensch.

sueddeutsche.de: Sind Sie schon mal völlig ratlos gewesen beim Fotografieren einer Person? Ist es Ihnen schwer gefallen, jemanden seiner Maske zu berauben?

Rakete: Ich bin nicht die Sorte Fotograf, der darauf aus ist, Verstecke zu verraten, oder überhaupt Leute zu verraten. Ich glaube, die Rückzugsmöglichkeit muss man jemanden lassen.

sueddeutsche.de: Das heißt, Sie arbeiten manchmal auch auf gut Glück?

Rakete: Das macht man doch immer, das ist doch auch das Tolle an Fotografie. Man kann vorher nie wissen, was dabei rauskommt.

sueddeutsche.de: Sie haben eine gewisse Demut vor dem Ergebnis?

Rakete: Unbedingt! Für mich ist die analoge Fotografie fast eine Religion. Man weiß ja nicht, was man hat, man kann eben nur dran glauben - oder nicht glauben, bis man das Ergebnis vor sich hat.

Wenn man zu viel quatscht, verbaut man sich die Möglichkeiten"

sueddeutsche.de: Welche Person würden Sie gerne noch fotografieren?

Rakete: Ich habe aufgehört, über solche Dinge zu reden, denn die Sachen, die ich machen will, die mache ich meistens dann auch. Wenn ich mir etwas sehr wünsche, dann passiert das auch, das ist doch so! Wenn man zu viel darüber quatscht, dann verbaut man sich irgendwann die Möglichkeiten.

sueddeutsche.de: Gibt es bestimmte Vorbilder in der Fotografie, die sie inspiriert haben?

Rakete: Von der Haltung her gibt es sehr viele Vorbilder. Nicht von einem Stil her, den ich imitiere, sondern von der inneren Haltung. Zum Beispiel August Sander, der eine den Menschen zugewandte Fotografie vertritt. Oder Irving Penn. Diese Schule der Fotografie finde ich respektvoll und schön.

sueddeutsche.de: Diane Arbus?

Rakete: Eine großartige Fotografin, aber die hätte ich jetzt gar nicht genannt, obwohl Richard Avedon von ihr sehr begeistern war. Aber Diane Arbus ist von diesem Strudel verschlungen worden ... Das Leben, das sie mit ihrer Kamera erzählen wollte, die Exhibitionisten, die Feuerschlucker, die Freaks ... sie ist mehr und mehr zu einem Übertragungsmedium geworden, eigentlich tragisch. Wenn sie sich davon hätte lösen können, würde sie vielleicht heute noch leben.

sueddeutsche.de: Sie arbeiten bewusst mit althergebrachter Technik - warum?

Rakete: Ich arbeite mit allem, was mir in die Finger kommt, aber ganz besonders viel bedeutet mir die analoge Fotografie. Das analoge Negativ oder der erste Print ist wie ein erstes Manuskript, das man verteidigt. Das vermisse ich sehr bei der digitalen Fotografie. In der digitalen Praxis, um die man ja nicht mehr ganz herumkommt, fälsche ich mich selbst soweit, bis es wieder aussieht, wie ein Foto von mir, und das erkläre ich dann zum Original.

sueddeutsche.de: Sie haben den größten Teil Ihres Lebens in Berlin verbracht. Welche Beziehung haben Sie zu der Stadt?

Rakete: Eine sehr tiefe. Ich bin hier geboren, habe in den Ruinen gespielt. Durch die Siegermächte war Berlin immer sehr international. Ich verdanke Berlin dadurch einen gewaltigen Erfahrungsschatz, ich habe alle großen Musiker gesehen, egal ob in der klassischen oder in der Rockmusik. Das hätte ich in Castrop-Rauxel nicht sehen können.

sueddeutsche.de: Wie, hoffen Sie, sehen die Menschen Ihre Bilder in 100 Jahren?

Rakete: Im Idealfall so, wie wir heute die Bilder von August Sander betrachten, dass man die Zeit in den Gesichtern der Menschen erkennt. Nicht nur durch den analytischen, sondern auch durch den empathischen Blickwinkel.

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