Jeanne-Claude ist tot:Die Kämpferin

Sie verhüllte den Berliner Reichstag und verhalf New York zur Normalität zurück. Zum Tod von Jeanne-Claude, der kreativen Partnerin des Landschafts- und Verpackungskünstlers Christo.

Andrian Kreye

Jeanne-Claude war eine Kämpferin. Wenn sie sich in den Kopf gesetzt hatte, eine der Visionen zu verwirklichen, die sie gemeinsam mit ihrem Ehemann Christo entwickelte, war sie bereit, über Jahre hinweg beharrlich gegen alle Widerstände anzugehen. Und die Widerstände waren gewaltig. So gewaltig wie die Ideen, welche die beiden hatten.

Jeanne-Claude ist tot: Jeanne-Claude verpackte, zusammen mit Ehemann Christo, 1995 den Berliner Reichstag.

Jeanne-Claude verpackte, zusammen mit Ehemann Christo, 1995 den Berliner Reichstag.

(Foto: Foto: dpa)

Was als Installationskunst des bulgarischen Künstlers in Paris begonnen hatte, wuchs sich zur raumgreifenden Landschaftskunst aus. Es waren jedoch nicht nur die Widerstände gegen ihre Kunst, die Jeanne-Claude gemeinsam mit Christo zu überwinden hatte. Zeit ihres Lebens stand die zierliche Französin mit dem knallrot gefärbten Haarschopf im Schatten ihres Mannes, weil die Kunstwelt Christo und Jeanne-Claude nicht als Künstlerpaar anerkennen wollte. Doch wer die beiden in ihrem Loft in Manhattan besuchte, der traf auf ein symbiotisches Paar - den stillen, in sich gekehrten Christo und die resolute, sprühende Jeanne-Claude.

Der mittellose Künstler und die Tochter aus gutem Hause

Kennengelernt hatten sich die beiden 1958 in Paris. Ein Jahr zuvor war Christo Wladimirow Javacheff aus seiner bulgarischen Heimat über Wien nach Paris geflohen. Die Geldnot zwang ihn, auch handwerkliche Aufträge anzunehmen. Einer dieser Aufträge war es, Précilda de Guillebon zu porträtieren, die Mutter von Jeanne-Claude. Der mittellose Künstler und die Tochter aus bestem Hause verliebten sich. 1961 kam die erste gemeinsame Arbeit - am Kölner Hafen verhüllten sie einen Stapel Ölfässer. 1962 heirateten sie.

Zwei Jahre später gingen die beiden nach New York, das neue Zentrum der Kunst. Sie zogen in eine Loftetage in der Howard Street im ehemaligen Manufakturenviertel SoHo, das damals zum Abriss freigegeben war. Hier blieben sie, auch wenn ihnen später das gesamte Gebäude gehören sollte. Und hier entwickelten sie ihre Ideen, die immer größer wurden. Zu groß für die traditionellen Formate der Kunst, zu groß für die Ateliers, Galerien und Museen. Sie gehörten zu einer Generation, denen ganze Landstriche und Stadtteile als Rohmaterial für ihre Werke dienten. In New York trafen sie Gleichgesinnte wie Michael Heizer, Robert Smithson oder Walter De Maria.

In New York entledigten sich die beiden auch ihrer Nachnamen und wurden so früh zur Marke. Ihr großer Traum war es, Teile der Stadt zu verhüllen. Ein Traum, der zunächst an sämtlichen Bürgermeistern scheiterte. So verhüllten sie die Welt fern ihrer neuen Heimat. 1968 erstellten sie eine schwierige Arbeit mit Ballons für die Documenta in Kassel. Im folgenden Jahr konnten sie erstmals eines ihrer monumentalen Landschaftswerke realisieren. "Die Verhüllte Küste" war ein Küstenstreifen in Australien. 93000 Quadratmeter Synthetikstoff und 56 Kilometer Seil verarbeiteten sie mit Hilfe von 130 Freiwilligen.

"Die Verhüllte Küste" setzte den Maßstab, den sie mit dem fast vierzig Kilometer langen Zaun aus Stoffbahnen in Kalifornien oder den elf in pinkfarbene Stoffe eingefassten Inseln in Miami Beach immer noch steigerten. Weltberühmt wurden sie schließlich, als es ihnen gelang, endlich ein Wahrzeichen in einer Weltstadt zu verhüllen. 1985 verpackten sie den Pont Neuf in Paris in sandfarbene Kunststoffe. Drei Millionen Menschen besuchten das Werk.

Werke mit historischer Wirkung

Die beiden wichtigsten Arbeiten von Christo und Jeanne-Claude waren jedoch zwei Werke mit historischer Wirkung. 1994 stimmte der deutsche Bundestag nach 23 Jahren Vorbereitung endlich der Verhüllung des Reichstages in Berlin zu. Vom 24. Juni bis zum 7. Juli 1995 verpackten die beiden das deutsche Parlamentsgebäude mit mehr als 100000 Quadratmetern metallic glänzendem Gewebe. Zehn Jahre später erfüllten sich die beiden nach 26 Jahren der Beharrlichkeit ihren Traum, in ihrer Wahlheimatstadt New York eine große Installation zu errichten. "The Gates" hieß die Arbeit, für die sie im Central Park 7503 Tore aus orangefarbenen Pollern und Stoffbahnen aufstellten.

Beide Arbeiten hatten eine kathartische Wirkung. Der Reichstag wurde für zwei Sommerwochen lang zum Volksspektakel für eine Stadt und ein Gebäude, die schwer an der Last der Geschichte zu tragen hatten. Für die Stadt New York waren "The Gates" nach den Anschlägen des 11. September 2001 der letzte Schritt in die Normalität. Nun war die Stadt kein Opfer mehr, kein Schauplatz einer Tragödie. Mehr als fünf Millionen Menschen pilgerten mitten im bitterkalten Winter in den Central Park, Hunderttausende reisten in die Stadt, um ein Kunstwerk zu sehen, und nicht die Anschlagsstätte Ground Zero.

Für die nächsten Jahre hatten Christo und Jeanne-Claude noch große Pläne. In Colorado wollten sie 60 Kilometer des Arkansas River mit Stoffbahnen verhängen. Und in der arabischen Wüste wollten sie mit mehreren hunderttausend Ölfässern eine Skulptur errichten.

Am Mittwochabend starb Jeanne-Claude an den Folgen eines Hirn-Aneurysmas in einem New Yorker Krankenhaus. Sie wurde 74 Jahre alt.

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