Jean-Paul Belmondo (70):Außer Atem

Immer das Nichts wählen, nie das Leiden: Zum Siebzigsten von Jean-Paul Belmondo,

FRITZ GÖTTLER

Die Neue Welle, das junge französische Kino wurde, man weiß es, auf den Straßen von Paris geboren, Ende der fünfziger, Anfang der sechziger Jahre. Als Jean-Luc Godard loszog mit einer jungen Amerikanerin, Jean Seberg, und einem jungen Typen, der mal daran gedacht hatte, Bildhauer zu werden wie sein Vater, der sich dann als Boxer versuchte und auf Theatertourneen in der Provinz und der sich schließlich doch am Schauspieler-Konservatorium in Paris anmeldete. 1959 vertraute er sich allerdings bedingungslos dem jungen Godard an, und "Außer Atem" entstand, der Film, der nun auch in Frankreich den loser zur mythischen Figur machte und der sich vor allem der intensiven, fast dokumentarischen Beobachtung des Menschen Jean-Paul Belmondo widmet.

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(Foto: SZ v. 09.04.2003)

Den Beruf des Schauspielers", hat eben dieser Mensch später einmal ernsthaft erklärt, "lernt man nicht in einem Kurs auf dem Konservatorium, sondern auf der Straße. Und während einer gewissen Zeit ging ich wirklich sehr viel spazieren. Unglaublich, was ich damals in Paris herumlaufen konnte.Und all das zu sehen, was um mich herum geschah, half mir ungemein."

Es war eine hektische Zeit, Anfang der Sechziger, und Belmondo pressierte es besonders - er wusste, dass die Jugend sein wertvollstes Gut war, ihre Unbedingtheit, ihre Selbstsicherheit, ihre Siegestrunkenheit, und dass er schnell machen musste mit seiner Karriere. Belmondo wollten alle damals, Godard natürlich, der ihn als Alfred Lubitsch besetzte in "Eine Frau ist eine Frau" und als "Pierrot le fou", der die dynamisch-dynamitische Galionsfigur der Nouvelle Vague wurde - schön, schwärmte Aragon, sublim! -, weil er Ernst machte mit dem legendären Satz "Wenn ich zu wählen habe zwischen dem Leiden und dem Nichts, wähle ich natürlich das Nichts ..."

Auch Chabrol holte ihn und Philippe de Broca, und François Truffaut brachte ihn zusammen mit Catherine Deneuve in dem unheimlichen "Geheimnis der falschen Braut". Und dann kam Jean-Pierre Melville, der nicht genug kriegen konnte von Belmondo, der ihn in einen Priesterrock steckte und sich mit ihm an Simenon wagte, "L'Ainé des Fercheaux".

Belmondo machte alles, und er schonte sich nicht, er wagte tolle Stunts für Verneuil und Molinaro und war in seinem Spiel auch schon zur Ironie bereit. Aber die Uhr lief, man konnte es an den Filmen sehen, die er mit Philippe de Broca machte, vom tollkühnen "Abenteuer in Rio" bis zum Doppelspiel in "Le Magnifique" - der Star als mickriger Pulp-Schreiber, der sich in schrille Actionträume flüchtet. Das ist, ohne aufdringliche Wehleidigkeit, eine eigene Art, im Kino - so die berühmte Formel - dem Tod bei der Arbeit zuzuschauen

Im Jahr 1970 wurde ein Zeichen gesetzt, Belmondo spielte neben Alain Delon in "Borsalino" - ein klassisches Gangsterstück, ein Abgesang auf die große Kinozeit und ein Bekenntnis zur eigenen Vergänglichkeit, doppelt bewegend neben der eiskalten Zeitlosigkeit der Ikone Delon. Eine Ikone wollte Belmondo nie werden, deshalb hat er sich wieder dem Theater zugewandt. Und weil es mit dem Ruf an die Comédie française nichts wurde, hat er sich ein eigenes Theater genehmigt, am Boulevard de Montmartre. 1999 hat er bei einem Auftritt in Brest auf offener Bühne einen Herzanfall erlitten, von dem er sich langsam wieder erholt hat. So hat das Leiden ihn doch irgendwie noch gewählt . .. Heute wird Belmondo siebzig, wieder rüstig und ganz gut bei Atem.

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