Jazzfestival Saalfelden:Zerrissene Genies

Brian Marsella Trio Jazzfestival Saalfelden

Mann der Zukunft: Der New Yorker Pianist Brian Marsella überraschte das Publikum mit seinem mitreißenden Gesamtkunstwerk.

(Foto: Matthias Heschl)

Avantgardistischer Ritt durch die Musikgeschichte: Entdeckungen beim Jazzfestival Saalfelden

Von Oliver Hochkeppel, Saalfelden

Schwer vorstellbar, dass Angela Merkel die Jazzwoche Burghausen, das Moers Festival oder Jazz Baltica am Timmendorfer Strand besucht. In Österreich freilich gibt sich die Politik gerne kulturbeflissen - und nimmt sogar den Jazz wahr. Bundeskanzler Christian Kern schritt beim 38. Internationalen Jazzfestival Saalfelden zur Eröffnung auf die Bühne und blieb auch noch zum Konzert von Gerald Preinfalks Prine-Zone im Kongresszentrum und hinterher beim Auftritt seiner "Lieblingsband" 5/8terl in Ehr'n in einer Nebenreihe im Kunsthaus Nexus. Letzteres war eine sichere Sache, mit Preinfalk aber hatte Kern ein bisserl Pech. Das unter starken Wehen erst kurz vorher fertig gewordene Projekt des österreichischen Saxofonisten erwies sich als überambitioniert. Sein ganzes musikalisches Leben in ein neunköpfiges Bandkonzept mit brasilianischer Rhythmusgruppe, Streichern, Bläsern und der griechischen Kunstsängerin Savina Yannatou zu packen, ging am Ende nicht auf, die vielen einzelnen Elemente verbanden sich nie zu etwas Ganzem.

Doch interessant scheiternde Experimente gehören dazu beim Jazzfestival Saalfelden, das seit der Übernahme der "Intendanz" durch Michaela Mayer und Mario Steidl vor gut einem Jahrzehnt auf Risiko geht wie kaum ein anderes. Das Wilde, Neue und oft, aber nicht unbedingt Junge will man hier präsentieren, die Nase vorn haben bei jener zeitgenössischen Musik, für die es immer noch keinen besseren Namen gibt als Jazz. Tatsächlich ist Saalfelden, gerade einmal 150 Kilometer von München entfernt, dafür inzwischen wohl die stärkste Marke im europäischen Festivalbetrieb, mit seinen "Main-Stage"-Konzerten vor allem fürs Fachpublikum, den intimeren "Shortcuts" im schönen Kunsthaus Nexus, mit der nagelneuen Club-Reihe "Nexus+" für Jüngere im Café ebendort, sowie ein paar Almkonzerten für wirklich alle. Selbst bei der Verpackung geht man neue Wege: Heuer hat man mit einer Agentur vier hippe Klangwesen als Galionsfiguren auch für die nächsten Jahre geschaffen, die für die Charakterzüge der Musik wie für die verschiedenen Programmlinien des Festivals stehen.

Das Programm selbst war so europäisch wie nie - auch das liegt im Trend, kamen doch prägende Konzepte und Figuren im Jazz zuletzt immer öfter vom alten Kontinent und nicht mehr aus dem Jazz-Mutterland Amerika. Kurios genug, dass sich die größte Entdeckung dieser 38. Festivalausgabe bei 37 Konzerten ausgerechnet unter den drei US-Bands befand: Der Pianist Brian Marsella, von dem selbst die meisten Journalisten noch nie gehört hatten, verarbeitete mit seinem Trio John Zorns "Book of Angels" zu einem mitreißenden Gesamtkunstwerk. Mit überragender Anschlagtechnik, unfehlbarem Rhythmusgefühl und dem Freigeist von Zorns New Yorker "Tzadik"-Kaderschmiede, zu der er seit ein paar Jahren gehört, verband er die halbe Musikgeschichte von den Romantikern und Satie über Ragtime und Blues bis zu Modern und Free zu etwas stimmig Eigenem, obendrein heftig swingend.

Überraschend und gelungen war auch das Charles-Mingus-Hörspiel, bei dem sich die Musik des Münchner Bassklarinettisten Michael Riessler perfekt mit dem tobenden inneren Monolog des todgeweihten Mingus (grandios vorgetragen vom Sprecher Hartmut Stanke) aus der Feder von Harry Lachner verwob. Ein adäquates Denkmal für das zerrissene Genie. Mehr in die Kategorie "Performing Art" als zu irgendeinem Musikgenre fiel auch das österreichische Trio Weiße Wände, das sehr verquer, aber imm er spannend und witzig die Schlagzeugwucht, die Energie der Gitarre und die semantischen Möglichkeiten der Sprache verwirbelt. In keine Schublade (es sei denn, es gäbe so etwas wie Wave-Electro-Jazzpop) passen auch 5K HD, die Fusion des schwer angesagten Quartetts Kompost 3 mit der betörenden Sängerin Mira Lu Kovacs, die eine faszinierende Sogwirkung entfalteten.

Mit den Landsleuten fuhr man ohnehin gut: Eine sichere Sache waren der Saxofon-Veteran Wolfgang Puschnigg mit seinen den gewohnt melodramatische-witzigen Klassik-Coleman-Zawinul-Kosmos evozierenden "Songs with Strings", das weltmusikalische, hier um Bernie Mallingner und Georg Breinschmidt erweiterte Duo [:klak:] und das neue Quartett des Pianisten David Helbock, das er seine ganz persönliche Musik von oder für Frauen zelebrieren ließ.

Weniger gelungen war die Auswahl aus dem europäischen Ausland: Das französische Trio Dadada etwa erschöpfte sich auch mit dem sensationellen Klarinettisten Emile Parisien in der Demonstration von Musik, die nie zu Musik wurde - generell eine große Gefahr bei Avantgarde und eine Falle, in die hier einige tappten. Und nicht nur die Skandinavier waren in identischer (Angels 9) oder ähnlicher Formation (Mats Gustafsson und Møster) bereits in den vergangenen Jahren zu Gast gewesen. Dafür vermisste man viele Namen, die dort oder auch in England, Frankreich oder Deutschland derzeit wirklich heiß sind.

Es ist nur menschlich, dass Programmmacher über die Jahre ihre Favoriten finden. Ein Festival wie Saalfelden aber muss seine Lieblinge hinterfragen, wenn es Leistungsschau und Speerspitze des Neuen bleiben will.

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