Jazz-Lektion:Vertiefter Genuss

Tia Fuller lehrt Jazz an der Musikhochschule

Von Oliver Hochkeppel

Dass Musik Ausdruck individueller Gefühle und Gedanken ist, im besten Fall von beidem zugleich, das verdeutlichte der Auftritt der amerikanischen Saxofonistin Tia Fuller in der Black Box des Gasteigs. Schon allein weil sie den Grundgedanken ihres Programms (und aktuellen Albums) "Angelic Warrior" eloquent vorausschickte: Um die in jedem Menschen schlummernden antagonistischen, sich aber auch ergänzenden beiden Wesenszüge ginge es da, um das friedvoll ausgleichende und das kämpferisch aufbegehrende Element. Ebenso beredt übersetzte Fuller diese Idee in Musik. In melodischen, erzählenden Jazz, der mal ganz ruhig dahin fließt, mal in harten Synkopen eruptiv ausbricht.

Das funktionierte in ihrem eingespielten "Familien-Quartett" wie von allein. Mit Shamie Royston sitzt da ihre Schwester am Klavier, mit Rudy Royston ihr Schwager am Schlagzeug. Und auch Mimi Jones am Bass spielt schon so lange in Fullers Ensembles - gemeinsam waren beide auch bei Teri Lynn Carringtons Grammy-gekröntem "The Mosaic Project" dabei - dass sie locker als Familienmitglied durchgeht. Fullers weiche Sopransax-Linien und wilde Altsax-Wirbeleien wurden perfekt ergänzt: Von Shamie Royston mit ihrem Pianospiel zwischen dem klassischen Erbe einer Mary Lou Williams und einer sehr chromatisch eingefärbten und gerne mit Oktav-Clustern wuchtig gemachten Post-Bop-Moderne. Und von ihrem Mann Rudy, der für einen Schlagzeuger klein und zerbrechlich wirkt und der ein hauchzartes Solo in Largo und Pianissimo ebenso beherrscht wie knüppelhartes und rekordverdächtig schnelles Powerdrumming. Ebenso interessant war schon zuvor die Umsetzung des dualistischen Themas mit dem U.M.P.A. Jazz Orchestra des Jazzinstituts der Musikhochschule zu beobachten. Früher wären junge Jazzer wohl an Songs wie "Ebb And Flow" gescheitert. Jetzt hat Claus Reichstaller, Leiter der Jazzabteilung, Leute wie den Pianisten und Kurt-Maas-Preisträger Leo Betzl zur Verfügung, den Drummer Sebastian Wolfgruber oder den Saxofonisten Moritz Stahl. Die meistern Tia Fullers höllische Arrangements - sie war ja schon musikalische Direktorin von Esperanza Spaldings Orchester-Projekt "Radio Music Society" und ist Leiterin der Bigband der Berklee School of Music. Um diese Nachwuchsarbeit ging es zu allererst bei diesem "JAM:M Jazz Masters Konzert". Denn er war der Auftakt eines dreitägigen öffentlichen Workshop-Marathons, des dritten dieser Art an der Musikhochschule seit 2010. Der jazzinteressierte Besucher erfuhr dabei nicht nur mehr als üblich über die Hintergründe der gehörten Musik, er konnte mit deren Schöpfern darüber auch reden und beobachten, wie sie das Feuer an die nächste Generation weiterreichen und die Eindrücke beim Abschlusskonzert am Sonntag vertiefen. Ein Gesamtpaket, das derzeit bei Konzertreihen wie auf Festivals von Burghausen bis Südtirol Schule macht und nicht nur für Lernende, sondern eben auch für das Publikum die mögliche Zukunft des vertieften Jazz-Genusses darstellt.

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