Jazz:"Es wird Zeit, dass jemand Jüngeres drankommt"

RICHARD WILLIAMS - Haus der Berliner Festspiele; Richard Williams Künstlerischer Leiter Jazzfest Berlin

Der englische Journalist Richard Williams ist der Künstlerische Leiter des JazzFest Berlin.

(Foto: Jirka Jansch)

Richard Williams, der scheidende Leiter des Jazzfests Berlin, über die rasante Entwicklung des Jazz.

Interview von Andrian Kreye

SZ: Warum findet der Jazz derzeit so viele junge Hörer?

Richard Williams: Das funktioniert heute ähnlich wie in den Siebzigerjahren mit dem Spiritual Jazz, auf den sich heute viele beziehen. Das ist eine Musik, die ganz direkt Emotionen anspricht. Nur dass gerade ein sehr viel größeres Publikum darauf anspringt. Und weil es viele junge Musiker gibt, die es schaffen, die alten Konzepte und Methoden ins 21. Jahrhundert zu transportieren. Die sind mit Hip-Hop und Clubmusik aufgewachsen.

Hat das Ihr Programm verändert?

Die große Herausforderung in Berlin ist erstmal eine geografische. Das Jazzfest findet im gediegenen Westen, in Wilmersdorf statt, die kreative Kraft der Stadt findet man aber vor allem im Osten. Wir müssen erst einmal das Publikum in Kreuzberg, Prenzlauer Berg und Mitte davon überzeugen, dass das Jazzfest auch zu ihrer Stadt und ihrem Leben gehört. Wir haben zwar ein enthusiastisches Stammpublikum, aber das geht da seit den Sechziger- und Siebzigerjahren hin. So geht es vielen Kunstformen, dass die Nachkriegsgeneration langsam verschwindet und sie nach neuem Publikum suchen müssen.

Was tun Sie dagegen?

Wir beginnen das Jazzfest dieses Jahr zum ersten Mal in Kreuzberg. Mit zwei Nächten im Lido, das eine viel derbere Spielstätte ist als das Haus der Berliner Festspiele.

Haben Sie dort für ein junges Publikum kuratiert?

Ich würde nichts für irgendeine Zielgruppe kuratieren. Ich habe den Job ja auch nur angenommen, weil ich inhaltlich machen kann, was ich will. Letztes Jahr hatten wir zum Beispiel ein Programm, das zu fünfzig Prozent aus weiblichen Musikerinnen bestand. Sicher, eine Journalistin hat mich auf die männerlastigen Jazzprogramme aufmerksam gemacht. Aber es gibt inzwischen einfach grandiose Bandleaderinnen - Nubya Garcia war so eine, in diesem Jahr Monica Vasconcelos, Ingrid und Christine Jensen.

Aber ist die Musik jüngerer Musiker nicht auch anders?

Ja, die gehen anders ran. Amirtha Kidambi aus Brooklyn hat karnatische Musik aus Indien studiert. Steve Lehmans's Sélébéyone ist ein fantastisches Oktett mit zwei MCs, von denen der eine auf Englisch rappt und der andere in der westafrikanischen Sprache Wolof. Und dann sind da noch Shabaka and the Ancestors, die ich für eine der besten Gruppen derzeit halte. Das sind südafrikanische Musiker um den Trompeter Mandla Mlangeni, die sich mit dem Saxofonist Shabaka Hutchings zusammengetan haben. Der in London gerade einer der interessantesten jungen Musiker ist.

Sie bringen viel Programm aus London mit.

Aber ich binde auch Berliner Musiker stark ein. Unser erster "artist in residence" Tyshawn Sorey wird ein Orchester mit lauter Berliner Musikern dirigieren.

Warum haben Sie Tyshawn Sorey zum Festivalkünstler gemacht?

Ich habe in meiner Jugend Schlagzeug gespielt. Und Sorey ist der nächste Schritt in der Geschichte des Schlagzeugs. Der macht Sachen, die noch niemand so gespielt hat. Wie er die Pulse innerhalb seines Spiels mischt. Aber dann habe ich gemerkt, dass er ja auch noch Klavier spielt, Posaune, dass er komponiert, dirigiert. Deswegen will ich möglichst viele Seiten seiner Arbeit zeigen. Er wird mit seinem Trio spielen, solo, mit dem Saxofonisten Gebhard Ullmann, er wird das Orchester mit Berliner Musikern dirigieren.

Aber nur einen Abend lang.

Und im Club A-Trane wird es eine Reihe mit dem Titel Berlin-London Conversations geben. Die soll auch zeigen, dass die Leute immer zusammenarbeiten werden, egal, was Politiker entscheiden.

Ah: Thema Brexit?

Das werde ich nicht programmatisch verkünden, aber - ja. Ich kann einfach nicht glauben, dass man nach siebzig Jahren Frieden in Europa sich von so etwas lossagt. Ich finde das traurig. Für meine Kinder ist das eine Katastrophe. Meine Tochter war am Morgen nach der Wahl in Tränen aufgelöst. Aus Wut. Sie gibt da meiner Generation die Schuld. Und da hat sie ja auch recht.

Thema Europa und England - zwei andere Kulturmanager, die man aus London geholt hat, Neil McGregor und Chris Dercon, bekommen in Berlin ziemlich Saures. Wie geht es Ihnen da?

Als ich angefangen habe, waren die Berliner schon skeptisch. Aber als sie gemerkt haben, dass ich das Jazzfest nicht kaputtmachen und in ein Popfestival umwandeln soll, und dass ich mich für Berliner Musiker interessiere, hat mich die Stadt wunderbar herzlich aufgenommen.

Wie geht es weiter?

Ich höre auf. Das ist mein letztes Jahr.

Warum?

Ich bin 70. Das Jazzfest wurde eigentlich immer von Männern meiner Generation geleitet. Der Gründer Hans-Joachim Berendt war nur zwanzig Jahre älter als ich. Es wird Zeit, dass jemand Jüngeres drankommt. Ich liebe zwar Kendrick Lamars Musik, aber das kommt bei mir aus dem Intellekt, nicht aus dem Bauch. Deswegen wird im nächsten Jahr Nadin Deventer übernehmen. Die kennt das Festival. Und die ist in ihren Dreißigern. Das ist das richtige Alter für ein Jazzfestival.

Das Jazzfest Berlin findet vom 31. 10. bis 5.11. statt. Info: www.berlinerfestspiele.de

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