Jazz:Erotisch religiös

Für sein neues Album "What Was Said" hat der norwegische Pianist Tord Gustavsen mit der Sängerin Simin Tander zusammengearbeitet und Sufi-Gedichte vertont

interview Von Oliver Hochkeppel

Der 45-jährige norwegische Pianist Tord Gustavsen machte sich Anfang der Neunzigerjahre als Begleiter der Sängerin Silje Nergaard einen Namen. Mit dem eigenen Trio gehörte er schon bald zu den führenden Vertretern der skandinavischen Jazzerneuerer. Sein elegischer, von Melodik und höchster Anschlagkultur getragener Ton und sein unverwechselbarer "nordischer" Stil führten ihn gewissermaßen zwangsläufig zum Münchner Label Ecm. Soeben hat Gustavsen mit "What Was Said" sein siebtes Album vorgelegt, das er zusammen mit seinem Stammschlagzeuger Jarle Vespestad und der Kölner Sängerin mit afghanischen Wurzeln Simin Tander eingespielt hat.

SZ: Wie haben Sie und Simin Tander sich kennengelernt?

Tord Gustavsen: Wir haben gemeinsame Freunde in der deutschen und dänischen Jazzszene. So habe ich ihre Alben gehört. Die Wärme ihrer Stimme, die Textur ihres Gesangs, ihre Fähigkeit, eine Melodie zum Glänzen zu bringen, haben mich sofort umgehauen. Auch ihre Mehrsprachigkeit, die dann Teil der Idee dieses Projekts wurde. Denn ich habe zu dieser Zeit viele Sufi-Gedichte gelesen und hatte das Verlangen, meine musikalischen und spirituellen Wurzeln in der norwegischen Kirchenmusik in neue Zusammenhänge zu stellen. Simin auf Pashto singen zu hören und von ihrem deutsch-afghanischen Hintergrund zu erfahren, zog in diesem Wunschgebilde eine neue Schicht ein. Und es stellte sich heraus, dass sie meine Musik kannte und schon als Studentin meine alten Trio-Aufnahmen gehört und geliebt hatte. Es war sehr berührend, dass schon eine Verbindung da war, bevor ich es wusste.

Tord Gustavsen

Demut gegenüber der Stimmung der Musik - Tord Gustavsen ist als skandinavischer Jazzerneuerer beim Münchner Label Ecm gut aufgehoben.

(Foto: Carlo Maradei)

Die Idee, norwegische Folksongs in eine andere Sprache zu übertragen, war also schon da, bevor Sie auf Simin trafen?

Ja und Nein. Der Drang, diese Hymnen in eine gedanklich offene Landschaft zu übertragen, war da. Die Melodien erzeugen bei mir ein starkes Gefühl von spiritueller Einheit und universeller Liebe. Aber wenn du in die Texte gehst, sind sie meist in einem dogmatischen Universum von Sünde und Erlösung gefangen. Das wollte ich nicht transportieren. Sie auf Pashto singen zu lassen, ergab sich erst, als ich Simin singen hörte. Aber diese verrückte Idee ergab plötzlich Sinn. Da lautete dann die erste Zeile der ersten Übertragung: "Gott, ich möchte die süße Vereinigung mir dir spüren." Eine phantastische Eröffnung. Wir hatten die Kernbotschaft gefunden, diesen Dreh in ein erotisches metaphorisches Universum. Dabei wollten wir bleiben, mutig den Rest weglassen und von da aus weitergehen.

Dieses Universum klingt aber ein wenig melancholisch. Liegt das an diesem "nordischen" Gen oder an Ihrem persönlichen Naturell?

Mir scheint, dass die einen als melancholisch empfinden, was für andere einfach niedergeschriebene Schönheit ist, eine Art langsame Feier von tiefer Freude. Es hängt ganz vom Hörer ab. Für mich persönlich ist immer diese Dualität von Sehnsucht und Freude da. Das hat für mich nichts mit Melancholie zu tun, ich nähere mich Musik immer von einem kontemplativen, meditativen Ausgangspunkt. Ich kann echte Freude nicht auf die Show-Biz-Happy-Go-Lucky-Art erzwingen, sie hat für mich mit Ehrlichkeit zu tun und damit, alle Lebensbereiche bis hin zur Trauer zu umfassen. Die Melodien auf diesem Album sind nicht nur wunderschön, es liegt auch Nachdenklichkeit in ihnen - ist das nicht immer so bei wahrer Schönheit?

Haben Sie deshalb den pianistischen Glanz mehr denn je im Dienst der Musik reduziert?

Das stimmt zum Teil. Es geht um Demut gegenüber den Stimmungen der Musik, darum, die Dinge nicht zu forcieren. Darum gibt es hier weniger Piano-Solo im klassischen Sinn. Andererseits denke ich, dass ich bei einigen Stücken in der Dynamik weiter ausgreife als je zuvor. Bei "O Sacred Head" spiele ich schneller und mehr Noten als auf allen Alben der letzten Zeit. Außerdem kommen diesmal noch die elektronischen Effekte und Soundscapes dazu. Auf eine Weise ist es also ein reduziertes Spiel, dafür kommen Klangfarben dazu. Meine Rolle in dieser Band ist sehr aktiv.

Sie sind jetzt seit vielen Jahren bei Ecm, zu dessen Philosophie Sie offensichtlich perfekt passen. Auch dieses Album hat Manfred Eicher im Osloer Rainbow Studio persönlich produziert. Erzählen Sie doch mal, wie das so ist.

Zu allererst hat Manfred Eicher wirklich gute Ohren. Er ist immer ein aktiver Zuhörer, der seine Vorschläge und Eindrücke sofort einbringt - fast eine Art Bandmitglied. Aber seine Einflussnahme beginnt mehr oder weniger erst im Studio. Eigentlich bei allen sieben Alben habe ich selbst das Projekt, die Stücke und die Besetzung zusammengestellt. Natürlich reden wir darüber, und er hat auch mal etwas vorgeschlagen. Aber seine eigentliche Arbeit geht im Studio los. Und mit mir teilt er die große Leidenschaft, ein Album zu formen und die richtige Reihenfolge der Stücke zu finden. Wir wollen immer ein Album erschaffen, das man vom Anfang bis zum Ende durchhören kann. Dieser Prozess, für den es einen gewissen technischen, aber auch einen physischen-psychischen Aufwand braucht, ist faszinierend. Und für diese Passion steht Ecm.

Tord Gustavsen feat. Simin Tander & Jarle Vespestad, Mittwoch, 9. März, 20.30 Uhr, Muffathalle, Zellstraße 4

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