Jazz:Entfesselte Geister

Der Münchner Label-Betreiber Peter Wacha brachte die Formation "Idris Ackamoor & The Pyramids" wieder zusammen. Jetzt tourt sie wieder munter durch die Welt. Am Samstag bekehrte das Quartett das Münchner Publikum zum Jazz.

Von Andrian Kreye

Es gibt nur noch wenige Bands wie Idris Ackamoor & The Pyramids, die jenen Moment in die Gegenwart gerettet haben, als der Jazz buchstäblich eine Geisterbeschwörung war. Es waren zumeist die Geister von Afrika, die den amerikanischen Jazzmusikern damals helfen sollten, ihre neuen musikalischen und bürgerlichen Freiheiten dafür zu nutzen, eine Identität zu finden, mit der sie die Last ihrer Geschichte bewältigen könnten. Auch der Saxofonist Idris Ackamoor und der Bassgitarrist Kimathi Asante (die damals beide noch amerikanische Namen trugen) unternahmen als Studenten des progressiven Antioch College in Ohio gemeinsam mit ihrer Kommilitonin Margaux Simmons so eine Selbstfindungsreise, die sie über Europa nach Marokko, Ghana und Äthiopien führte.

Nach ihrer Rückkehr ermutigte sie ihr Gastprofessor, der Pianist Cecil Taylor, eine Band zu gründen. Fünf wilde Jahre gab es die Truppe. 1977 ging sie auseinander. Ackamoor betreibt einen Kulturverein in San Francisco, Asante und Simmons schlugen akademische Laufbahnen ein. Zurück zur Musik brachte sie dann der Münchner Labelbetreiber Peter Wacha, der sonst eher Elektroniker wie DJ Hell und Schlachthofbronx herausbringt: Er holte sie vor ein paar Jahren noch mal für das grandiose Album "Otherworldly" ins Studio. Seither sind sie wieder viel auf Tour.

Die Erweckungsmomente der frühen Bandjahre in den Siebzigern hört man immer noch deutlich heraus, auch wenn das Kollektiv mit vielen Perkussionisten und Tänzern von damals auf ein Quartett zusammengeschrumpft ist. Die langen Umwege über afrikanische Ritualmomente in die jeweiligen Stücke erfordern manchmal etwas Geduld. Aber die Souveränität, mit der der Kontrabassist Kash Killion und der Schlagzeuger Ken Nash (beide Sidemen mit jazzhistorisch beeindruckenden Biografien) die beiden Bandgründer mit Ostinati aus Spiritual und Funk im Fluss und auf dem Boden halten, gibt den Pyramids einen Fokus, den sie früher gar nicht hatten (und wahrscheinlich auch nicht wollten).

Der besondere Moment des Konzerts im Münchner Kunstfoyer am Samstag war, dass es im Rahmen der langen Nacht der Museen stattfand und ein guter Teil des Publikums eigentlich wegen der Fotografien von Sebastião Salgado ans Isarufer gekommen war, also vollkommen unvorbereitet auf die entfesselten Jazzmusiker aus San Francisco stieß.

Wer eine Leidenschaft für Free Jazz hat, ist ja ein bisschen wie der Liebhaber exotischer Käse - da ist so eine missionarische Freude, wenn es den Uneingeweihten plötzlich schmeckt. Deswegen war es eben ein besonderer Spaß, zu sehen, wie Ackamoor und seine Weggefährten ein feierlauniges Kunstpublikum in ihren Sog zogen. Und wenn Ackamoor seine Found-Object-Instrumente und das spitz akzentuierte Altsaxofon beiseitelegte, wenn er sein Tenorsaxofon zum Ausbruch brachte und Ken Nash den Rhythmus von Snare und Hi-Hat auf die Crashbecken auflöste, wenn dann der Geist Albert Aylers aufschien, des wohl ersten großen Geisterbeschwörers des Jazz, wurde mehr als deutlich, warum die Pyramids bis heute über alle Genregrenzen hinweg so dafür gefeiert werden, dass sie eine Botschaft verkünden, die ansonsten längst verhallt ist.

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