Jazz:Edler Zwirn

Christian McBride wird in der Unterfahrt umjubelt

Von Oliver Hochkeppel

So wie der Frack die Berufskleidung des klassischen Musikers ist, so gehört der gedeckte Anzug zum klassischen Jazz. Oder wie es der 89-jährige Swing-Gitarrist Bucky Pizzarelli formuliert: "Ohne Krawatte ist alles nichts wert." Der edle Zwirn, in dem Christian McBride, Christian Sands und Jerome Jennings die Unterfahrt-Bühne betraten, sagte also einmal etwas über Selbstverständnis und Selbstbewusstsein der Musiker, zum anderen etwas über das Programm aus: Die Tradition der Black Music Amerikas wird von ihnen gepflegt und fortgeführt, avantgardistische Experimente und Ausflüge in den Pop überlassen die drei gerne anderen.

In diesem Sinne hatte McBride unter anderem "Caravan" ausgewählt, den Ellington/Tizol-Standard aus dem Jahr 1936, Oscar Petersons "Halleluja Time" von 1964 oder Freddie Hubbards "Povo" von 1972. Olle Kamellen also? Von wegen. Es käme ja auch niemand auf die Idee, Bach oder Beethoven für überholt zu erklären. Anders als in der Klassik aber versuchen im weitwogenderen, das Neue suchenden Jazz die Jungen normalerweise "ihr Ding". Es gibt deshalb gar nicht so viele, die "wie die Alten" spielen können. Das erklärt die Begeisterung, den Jubel, das Glücksgefühl, das dieses Konzert in der Unterfahrt auslöste.

Zeitweise hatte man den Eindruck, diese drei spielten die Standards noch besser als ihre Erfinder. Das unfassbar lässige und im Tempo einem Art Tatum zur Ehre gereichende Klavierspiel von Sands, das die Finessen der Swing-Drummer mit moderner Melodik und Polyrhythmik vereinende Schlagzeugspiel von Jennings und der gezupft wie gestrichen konkurrenzlos präzise, flinke und artikulierte Bass von McBride sind schon für sich eine Sensation. Unglaublich aber, wie sie zu dritt miteinander verschmolzen, atemberaubende Unisono-Passagen meisterten, in wuchtigste Crescendi gingen, ohne je "tönend" zu werden oder - wie bei "Car Wash" - einfach nur Spaß hatten. Ein noch namenloses Stück schließlich, eine regelrechte Etüde, die McBride dem gerade verstorbenen Ornette Coleman gewidmet hatte (humorvoll brachte er "Or or Ornette" oder "For-Nette" als mögliche Namen ins Spiel), war mit seinen chromatischen "Harmolodics"-Paraphrasen und seiner vertrackt synkopierten Rhythmik moderner als vieles aktuell "Revolutionäre". Was für ein Abend.

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