Jazz:Cool Europa

Plattencover
(Foto: Sonorama)

Ein europäisches Lebensgefühl hat es nie gegeben? Wer hat diesen Unsinn erfunden? Eine Art musikalischen Gegenbeweis tritt dieser Sampler an: Europäischer Jazz aus der Nachkriegszeit, voller Aufbruchsstimmung.

Von Andrian Kreye

Zu den Binsenquengeleien zum Thema Europa gehört, dass es nie ein europäisches Gefühl gab. Das hat noch nie ganz gestimmt. Momentan stimmt es schon gar nicht. In den Fünfziger- und Sechzigerjahren gab es schon mal ein kontinentales Lebensgefühl, dem das Berliner Plattenlabel Sonorama jetzt den Sampler "Cool Europa" gewidmet hat. Das war allerdings nicht so defensiv, wie in der post-Brexit-EU.

Seit 13 Jahren hat sich Labelgründer Ekkehart Fleischhammer darauf spezialisiert, die lässige europäische Aufbruchstimmung aus Archiven zu bergen, die Jazzmusiker aller Länder und ihre amerikanischen Zeitgenossen im Exil damals beschworen. Der Modern Jazz war in den Jahren nach dem Krieg zu einer ähnlichen Weltsprache der Befreiung geworden, wie später der Rock und noch später der Hip-Hop. In Frankreich gab es einen Schulterschluss mit den Filmemachern der "Nouvelle Vague" (da findet sich bei Sonorama der verschollene Soundtrack, den Barney Wilen und Donald Byrd für einen Avantgardefilm einspielten). In Schweden trafen sich Cool Jazz und Klassik (nachzuhören auf "The Liquid Moves of Lars Gullin"), ebenso in Wien (grandiose Entdeckung: das Album "Jazz at Auditorium" des frenetischen Friedrich Gulda Orchestras).

Neben Kopenhagen, Paris und Stockholm waren es vor allem die westdeutschen Städte, in denen sich das neue Europa traf. Kein Zufall, schließlich wollten die amerikanischen, französischen und britischen Befreier dort auch die Musik aus ihren Metropolen hören.

Für "Cool Europa" hat Fleischhammer unveröffentlichte Aufnahmen von Musikern wie Helmut Brandt, Rolf Kühn, Barney Wilen und Attila Zoller ausgegraben. Jedem einzelnen der Stücke hört man an, was für eine Euphorie bei den Musikern hinter der Lässigkeit steckte. Das Glücksgefühl, nach Jahrzehnten der Marschmusik und des Schlagers Formen zu finden, die musikalische und damit auch emotionale Türen aufstießen, muss unermesslich gewesen sein. Das war nicht das Europa der Philosophen und Politiker. Das war ein Kontinent der Jugend und der Avantgarde, die mit ihrer Musik, ihren Filmen und ihrer Kunst Grenzen einrissen, die bis dahin für Nationalismus, Engstirnigkeit und Krieg standen.

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