Jane Austen im Fernsehen:Mehr Sex, mehr männliche Perspektiven

A silhouette of Jane Austen is seen in a window at the Jane Austen Centre in Bath

Im vergangenen Jahr wurde zum 200. Todestag ausgiebig an Jane Austen erinnert, die am 18. Juni 1817 starb – hier ein Fenster im „Jane Austen Centre“ im englischen Bath. Und die Begeisterung für ihr Werk ist ungebrochen, bei den Lesern ihrer Romane sowie in Form von neuen filmischen Adaptionen.

(Foto: Suzanne Plunkett/Reuters)
  • Jane Austens letzter, unvollendeter Roman kommt ins Fernsehen.
  • Andrew Davies soll "Sanditon" in Form eines Drehbuchs zu Ende schreiben.
  • Der britische Drehbuchautor dürfte dabei ziemlich explizit werden - und mehr nackte Haut schildern als die verstorbene Autorin.

Von Cathrin Kahlweit

Es wird bei Jane Austen Sex geben. Keinen Beischlaf, das wohl nicht, aber Nacktheit, Erregung und Verlangen - eine Körperlichkeit also, die weit über alles hinausgeht, was die Leser ihrer Bücher und die Fans der Verfilmungen gewohnt sind. Bei Austen selbst, die an diesem 18. Juli vor 201 Jahren in Winchester gestorben ist, gab es tiefe Blicke, eine Hand streifte verstohlen die andere, eine Locke wurde abgeschnitten, ein Fuß bandagiert. Zum Schluss, vielleicht, ein Kuss, ein Versprechen auf mehr. Aber niemals - das wäre in der Regency-Zeit und in Austens Welt zu Beginn des 19. Jahrhunderts undenkbar gewesen - gab es nackten Sex.

Das soll nun anders werden. Denn schließlich war es auch der vielfach ausgezeichnete Drehbuchautor Andrew Davies gewesen, der in der BBC-Verfilmung von "Stolz und Vorurteil" ("Pride and Prejudice") jene Szene erfand, in der ein verschwitzter Mister Darcy, müde nach einem langen Ritt und in der Annahme, allein zu sein, mitsamt seinen Kleidern in den schlosseigenen See springt. Nur um sich dann, triefend nass und in einem Hemd, das mehr zeigt als verdeckt, seiner Angebeteten, Elisabeth Bennet, gegenüber zu sehen, die ihn mit den Augen verschlingt, während beide Konversation treiben. "Ich hoffe, Ihre Eltern sind bei guter Gesundheit?"

Das war 1995, lange vor dem Kinofilm von Joe Wright mit Keira Knightley, in der Darcy wenig mehr darf, als Elisabeth anzustarren und nach einer zufälligen Berührung die Hand so anzuspannen, als hätte er sich verbrannt. Für Ang Lees Verfilmung von "Sinn und Sinnlichkeit" schrieb Emma Thompson das Drehbuch und spielte darin auch selbst die entsagungsvolle Elinor Dashwood; Elinor findet hier erst auf den letzten Filmmetern ihr Glück, während ihre schwärmerische Schwester Marianne sich einem Beau an den Hals wirft, der sie dann schnöde im Stich lässt, des Geldes wegen.

Nun, es wird demnächst mehr Austen geben, und es wird expliziter werden. Denn Andrew Davies, mittlerweile 82 und bekannt für Scripts zu so legendären Serien und Romanadaptionen wie "Bridget Jones", "Krieg und Frieden", "House of Cards" (die britische Version), "Brideshead Revisited", hat vom britischen Sender ITV den Auftrag bekommen, den letzten unvollendeten Roman von Jane Austen, "Sanditon", in Form eines Drehbuchs zu Ende zu schreiben. Das Ergebnis soll im kommenden Jahr als achtteilige TV-Serie zu sehen sein. Davies gilt im Königreich als größter Umwandler von Austens großen Romanen in große Filme: "Stolz und Vorurteil", "Emma", "Northanger Abbey", "Sinn und Sinnlichkeit" - er hat sie alle fürs Fernsehen verschlungen, bearbeitet, bewältigt.

Und Davies hat auch schon angekündigt, was ihm jetzt vorschwebt: ",Sanditon' erzählt die Verwandlung eines schläfrigen Fischerdorfs in einen schicken Badeort, mit einer gewitzten Heldin, zwei unternehmungslustigen Brüdern, einigen dubiosen Geschäften, einer Heldin aus der Karibik - und ziemlich viel Nacktbaden." Die Briten sind gespannt.

In "Sanditon" hat Austen für sie ungewohnte Themen behandelt: Tourismus und Ökonomie

Das Fragment der Vorlage bestand bei Jane Austens Tod aus elf Kapiteln; sie hatte den Roman im Januar 1817 begonnen, als sie schon schwer krank war (heute wird vermutet, dass Austen an einer Niereninsuffizienz litt). Das Projekt hatte sie, nach zwei zentralen männlichen Figuren, "Die Brüder" genannt; es erschien aber sieben Jahre später unter dem Namen der fiktiven Kommune, in der sich die Ereignisse abspielen.

Immer neue, betuchte Gäste anlocken

Die Parkers, ein freundliches, aber wie bei Austen oft etwas tumbes Paar aus dem Küstendorf Sanditon, haben, fern von daheim und auf der Suche nach einem umzugswilligen Doktor, der seine Praxis womöglich in dem aufstrebenden Ort eröffnen will, einen Unfall. Ihre Kutsche stürzt um, just vor dem Haus der Familie Heywood. Die Älteste der Heywoods, Charlotte, wird von den Parkers mit nach Sanditon genommen, wo die bessere Gesellschaft unentwegt damit beschäftigt ist, neue, betuchte Gäste anzulocken, um dem Dorf am Meer endlich den ersehnten ökonomischen Auftrieb sowie ein besseres Image zu verschaffen - und den Gastgebern Profit sowie ein Gefühl von Bedeutung.

Aufstrebende Bade- und Kurorte als Wirtschaftsmotor und Treffpunkt der gesellschaftlichen Elite in der Sommersaison waren Anfang des 19. Jahrhunderts schon sehr populär; zu Orten des Massentourismus wurden sie erst später, mit der Industrialisierung und dem Ausbau eines Bahnnetzes. Austen greift die - für sie ungewohnten - Themen Tourismus und Ökonomie auf ihre gewohnt ironische, bisweilen sogar sarkastische Weise auf, in dem sie ihre Akteure ziemlich kopflos an die komplexe Aufgabe herangehen lässt. Sie zeigt aber damit zugleich, dass sie durchaus über den Tellerrand ihres eigenen beschaulichen Lebens hinauszuschauen vermochte.

Jane Austen, die mit 41 starb - woran im vergangenen Jahr 2017 zum 200. Todestag ausgiebig erinnert wurde - stammte zwar aus einem gebildeten, bürgerlichen Haus, hatte aber nie geheiratet, immer unter dem Dach von Verwandten gelebt und sich schon aufgrund ihres Geschlechts - jenseits der eigenen Bedürfnisse und Nöte - selten mit ökonomischen Fragen befassen dürfen. Gleichwohl zeigte sie, die mit ihren bis zuletzt anonym erscheinenden, eminent erfolgreichen Büchern ein kleines Vermögen verdient haben dürfte, großes Interesse an gesellschaftlicher Ungleichheit. Sie war, nach heutigen Maßstäben, eine Feministin und zeichnet, etwa in "Stolz und Vorurteil", mit spürbarer Verbitterung eine Gesellschaft, in der Männer Titel und Vermögen erben, während Frauen aus dem Haus und ins Abseits gedrängt werden.

Gleichwohl ist "Sanditon", soweit das in den ersten Kapiteln erkennbar wird, eines ihrer schwächeren Werke. Fachleute sind uneinig darüber, ob es daran lag, dass die Autorin sehr krank war, oder ob es sich bei dem Fragment schlicht um eine erste, unbearbeitete Fassung handelt. Es hat schon ein knappes Dutzend Versuche gegeben, das Fragment zu vollenden, wobei einige Autorinnen sich nicht der Verführung entziehen konnten, ihre Fortschreibung als eindeutige Verbesserung zu betrachten.

Jetzt soll das Werk im Fernsehen ergänzt werden - mit mehr Sex und mehr männlicher Perspektive

Versionen wie "Komplettierung von Sanditon", "Rückkehr nach Sanditon", eine "Fortsetzung von Sanditon", "Jane Austen's Charlotte" nähern sich mal mehr, mal weniger respektvoll. In der bei dtv 1994 auf Deutsch publizierten Variante, "Sanditon, Roman, vollendet von Marie Dobbs", präsentiert diese ein Nachwort, dem zu entnehmen ist, dass sie die Co-Autorenschaft nicht sehr problematisch fand: Austens "Pläne in Bezug auf die Fabel", stellt sie fest, hätten "keine große Behinderung" dargestellt. Die berühmte Autorin habe wenig von Politik verstanden, ihre Gesprächsthemen seien so begrenzt wie ihre Handlungsabläufe, fast immer lebe die Heldin in einem Landstädtchen, bis ein finanziell unabhängiger Junggeselle die Szene betrete. Jede Heldin habe eine Rivalin, das Happy End sei gewiss.

Ein Leichtes also, die Geschichte mit den eingeführten Hauptpersonen zu einem glücklichen Ende zu bringen. Einzig die Sprache, so Dobbs, stelle ein Problem für Mitautoren dar: Austens Genauigkeit, ihre Fähigkeit, im Leser das Gefühl heiterer Gelassenheit und Zuversicht zu erwecken, seien unerreicht. Das Ergebnis dieser Fassung ist, wenig überraschend, traurig: "Sanditon" endet trotzdem nach etwa 80 Seiten. Der Rest ist schlechte Literatur.

Andrew Davies, der eine Interviewanfrage der SZ aus Termingründen absagen musste, hat auch schon offengelegt, wie er die Serie zum Buch anlegen will - sehr frei und so, wie er immer an Jane Austen herangehe. Er habe, sagte der Drehbuchautor dem Guardian, fünf Regeln. Nummer eins: Beziehe immer die männliche Perspektive mit ein. Austen habe fast nie Männer allein gezeigt, aber man müsse sie mehr ins Blickfeld rücken. Regel zwei: Keine Angst vor Körperlichkeit. Die treibenden Kräfte im Leben seien nun mal neben Geld vor allem Sex, Hormone und Energie. Regel drei: Man darf Szenen dazuerfinden. Vier: Ein Blick ist oft besser als tausend Worte. Fünf: Späte Gratifikation; das Glück kommt am besten ganz zum Schluss. Vielleicht gelingt ihm ja genau das mit "Sanditon": späte Befriedigung für den Zuschauer, zwei Jahrhunderte nach Jane Austens Tod.

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