Jan Siebelink: "Im Garten des Vaters":Hingabe als Verhängnis

Lesezeit: 4 min

"Im Garten des Vaters", der Bestseller aus den Niederlanden, erzählt von religiösem Wahn, Predigern mit schmuddeligen Traktaten und dem, was ein Paradies hätte sein können.

Ulrich Baron

Auch in der Literatur gibt es eine Wiederentdeckung der Religion, doch es sind nicht mehr die Kärntner Bauernbuben, deren Leiden in einem repressiven katholischen Umfeld beschrieben werden. Kriminalromane der Schwedin Åsa Larsson ("Sonnensturm") und des Norwegers Jo Nesbø ("Der Erlöser") spielen im Milieu protestantischer Freikirchen und der Heilsarmee, die das Leben ihrer Mitglieder weit stärker prägen, als man es im liberalen Skandinavien erwartet hätte.

In Deutschland verfolgte Arno Orzesseks Debütroman "Schattauers Tochter" das Leben einer Frau, die vor dem Zweiten Weltkrieg ihrer pietistischen Familie entkommt, aber nicht den Fesseln ihres Glaubens. Doch niemand hat so eindringlich beschrieben, wie ein Mensch unter religiösem Einfluss sich und der Welt verloren geht, wie der Niederländer Jan Siebelink. Rund 600 000 seiner Landsleute haben seinen Roman "Im Garten des Vaters" inzwischen gekauft, was in Deutschland einer Auflage von zweieinhalb Millionen Exemplaren entspräche.

Diese klebrigen Evangelisten

Der Protagonist entflieht als Halbwüchsiger dem brutalen Regiment seines strenggläubigen Vaters, baut mit seiner Jugendliebe eine kleine Gärtnerei auf, gerät dann jedoch in die Fänge von altgläubigen Fanatikern. Hans Sievez wendet sich nicht de profundis an einen gnädigen Gott, sondern wird von den Anhängern eines erbarmungslosen Herrn aus seinem Glück gerissen.

Sievez war ein phantasievolles Kind, das die Geschichten von Himmel und Hölle, von Gott und Satan in ein Hüpfspiel zwischen Moorinseln verwandelte, denen er teils florale, teils biblische Namen gab. Ausgerechnet auf Patmos hatte er seinen Unterschlupf, doch für ihn wurde dies nicht die Insel göttlicher Offenbarung, sondern der Ort, wo er seine Freundin Margje zum ersten Mal küsste.

Das Tragische an Sievez ist, dass ihm gerade seine Fähigkeit zur Hingabe zum Verhängnis wird. "In seinen offenen blauen Augen lag jetzt nur noch Hingabe", heißt es, wenn der begnadete Gärtner mit einem eingekerbten Halm die winzigen Vorkeime seiner Farne pikiert. Seine Gärtnerei, die ihm ein "Irdisches Vergnügen in Gott" im Sinne eines Barthold Heinrich Brockes beschert, ist kommerziell nicht sehr erfolgreich, doch schlimmer ist, dass die Stelle seines prügelnden, lieblosen Vaters nach dessen Tod vakant blieb. Das spüren jene Prediger, die statt Hingabe Unterwerfung fordern und Sievez mit ihren Sprüchen und schmuddeligen Traktaten indoktrinieren.

Seine Frau schafft es nicht, diese "klebrigen Evangelisten" von Haus und Hof zu verbannen. Sie kriechen selbst durch Heckenlöcher, um Sievez Betstunden und Bücher aufzunötigen. Nolens volens folgt er ihren Einladungen. Wenn er zurückkommt, trägt er ihren Geruch in seinen Kleidern, und Margje nimmt ihn wahr. Sie stinken nach ungewaschenen Eiferern, und auf diesem Gestank, auch auf den körperlichen Deformationen dieser dunklen Gesellschaft insistiert der Roman immer wieder. Man fühlt sich an die Randfiguren von Goyas Capriccios erinnert, an vom Fanatismus grotesk entstellte Physiognomien.

Sie sind ekelhaft, und weil Siebelinks Roman stark autobiographisch geprägt ist, kann man vermuten, dass hier die Perspektive eines Kindes fortgeschrieben ist, dem eine Horde abstoßender, verschwitzter Fremder einst den Vater raubte.Ihre körperliche Verwahrlosung versinnbildlicht körperfeindliche Haltung und Weltverachtung. Sie bildet das Gegenstück zur duftenden, in allen Farben leuchtenden Welt, die Sievez in seinem Garten zum Blühen bringt. Als ihn der klebrigste aller Evangelisten wieder einmal heimsucht, steht Sievez gerade inmitten seiner Stechpalmen: "Niedergeschlagen schaute er auf die unscheinbaren weißen Stechpalmenblüten. Ihm wurde schwindelig vom gähnenden Abgrund zwischen dieser Welt und der aus Jozefs Worten. Er konnte sie nicht miteinander vereinbaren."

Leider lässt sich der niederländische Titel nicht ins Deutsche übertragen: "Knielen op een bed violen" hätte man botanisch korrekt als "Knien in einem Beet von Stiefmütterchen" übersetzen müssen, was zu falschen Assoziationen führte. Wo das Original die Ambivalenz des Kniens akzentuiert, im dem sich zugleich die Hinwendung des Gärtners zu seinen Pflanzen und religiöse Unterwerfung ausdrückt, bringt die einfühlsame und gelungene Übersetzung Bettina Bachs eine andere Ambivalenz ins Spiel. Der Garten des Vaters steht auch für das Paradies - das er sich selbst geschaffen und aus dem er sich selbst vertrieben hat.

Zertrümmerte Treibhäuser

Hans Sievez hat nie die Schläge verwunden, die ihm sein eigener Vater im Stall verabreicht hat. Tief in ihm verschlossen lebt noch immer das Kind, das befürchtet, jederzeit aus dem Haus gerufen, gezüchtigt und an einem eisigen Ort eingesperrt zu werden. Und irgendwo in ihm lebt wohl die Hoffnung, eines Tages zu erfahren, dass sein Vater rechtmäßig und aus Liebe zu ihm zugeschlagen habe.

So kriecht er immer wieder zu Kreuze, schleicht aus dem Haus zu obskuren Betkreisen, liest manisch in alten Predigten, die ihn einen großen Teil seiner Einkünfte kosten. In seinem Wahn kündigt er sogar die Glasversicherung, um sich dem göttlichen Ratschluss zu unterwerfen, und wird dafür mit einem Sturm belohnt, der seine Treibhäuser zertrümmert. Noch sein Totenbett ist von dunklen Hausierern umschwärmt, die seine Familie aus dem Sterbezimmer verbannen. Seine Frau, die ihn im Leben ein ums andere Mal verlor, darf es erst betreten, als seine Seele es verlassen hat.

Siebelinks großer Erfolg in den Niederlanden und auch erste Reaktionen auf seine Lesungen in Deutschland zeigen, dass er den Finger in eine Wunde gelegt hat, die unser von urbaner Liberalität geprägtes Gesellschaftsbild verdrängt. Gerade seine autobiographische Fundierung bewahrt den Roman davor, verstehbar machen zu wollen, was nicht zu verstehen ist. Was aber bleibt, wenn religiöser Wahn alle Hoffnungen zerstört hat? In einigen schmerzhaft schönen Momenten fügt Jan Siebelink fragile und blütenzarte Bruchstücke der Erinnerung zu dem zusammen, was ein Paradies hätte sein können. "Im Garten des Vaters" ist auch ein Buch der nachgetragenen Liebe, die ein Mann und Vater in seinem Leben nicht hat annehmen und erwidern können.

© SZ-Beilage vom 09.10.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: