James Bond - Romanfigur und Filmheld:Wie ein Gentleman-Macho das Empire rettet

50 Jahre nach der Kino-Premiere kehrt James Bond mit "Skyfall" demnächst auf die Leinwand zurück. Sein Schöpfer Ian Fleming war selbst Agent gewesen - und tröstete sich und das gebeutelte England mit den 007-Romanen über den Verlust der britischen Weltmacht hinweg. Sein Agent ist daher ganz anders als im Film.

Alexander Menden, London

In "Liebesgrüße aus Moskau", dem fünften James-Bond-Roman von Ian Fleming, vergleicht KGB-Offizierin Tatiana Romanova ihren britischen Agenten-Kollegen James Bond mit einem Filmstar aus Amerika. Das ist als Kompliment gemeint, doch 007 fühlt sich überhaupt nicht geschmeichelt. "Herrgott noch mal!", blafft er. "Schlimmer kann man einen Mann ja gar nicht beleidigen!"

" Stirb an einem anderen Tag "

James Bond-Schöpfer Ian Fleming machte nie einen Hehl daraus, dass seine Figur eine glorifizierte Version von ihm selbst war. Mit 007 teilte der Autor beispielsweise die Leidenschaft für Frauen.

(Foto: REUTERS/"Stirb an einem anderen Tag" mit Halle Berry)

Heute ist Bond für die meisten vor allem eine Filmgestalt. Aber diese snobistische Reaktion der Romanfigur - nicht nur dem weichlichen Schauspiel-Gewerbe, sondern auch dem Film als amerikanischer Kunstform gegenüber -, sagt viel über den ursprünglichen Bond aus. Und noch mehr über seinen Autor.

Die James-Bond Filme sind optimistischer als die Romane, allein schon, weil sie einer Happy-End-Konvention gehorchen müssen. Der gefloppte George-Lazenby-Bond "Im Geheimdienst Ihrer Majestät" und der erfolgreiche erste Daniel-Craig-Bond "Casino Royale" sind da Ausnahmen.

Die Filme reflektieren aber auch stets den Zeitgeist ihrer Entstehungsepoche. Nicht nur die Besetzung der Hauptfigur ist flexibel und richtet sich nach den im Verlauf der Jahrzehnte wechselnden Typ-Erfordernissen, vom kantigen Sean Connery über den weltmännischen Dandy Roger Moore und den Dressman Pierce Brosnan bis zum wiederum ziemlich kantigen Craig.

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Das globale Umfeld der Drehbücher passte sich ebenfalls den Gegebenheiten an: Waren es zu Beginn, zumindest nominell, noch die Russen, gegen die der Superheld im Smoking antrat, spiegelten die Bösewichter im Laufe der Jahrzehnte die jeweils vorherrschenden Feindbilder wider: Drogenbosse ("Leben und sterben lassen"), Umweltzerstörer ("Ein Quantum Trost") und nun, im neuen Film "Skyfall", ist es ein ehemaliger MI6-Agent, der als Hacker mit cyberterroristischen Rachegelüsten zurückkehrt.

All das hat nur bedingt mit jenem James Bond zu tun, den Ian Fleming (1908 - 1964) 1953 in "Casino Royale" seinen ersten Fall im Auftrag Seiner Majestät (König Georg VI.) erledigen ließ. Wer den Ur-Bond kennenlernen möchte, den humorlosen Privatschulzögling, kalten Gentleman-Macho und Weltkriegsveteranen mit dem "grausamen Mund", der muss Flemings Romane lesen, vor allem die frühen. Und die sind nur dann wirklich verständlich, wenn man sie sowohl im autobiografischen als auch im historischen Kontext betrachtet, in dem sie geschrieben wurden.

Fleming machte nie einen Hehl daraus, dass James Bond eine glorifizierte Version seines Schöpfers war. Ihre Vorgeschichte ist nahezu identisch. Beide stammen aus einer schottischen Familie, wenn Fleming auch in London geboren wurde. Beide waren Eton-Schüler und erstklassige Sportler, beide verloren schon früh den Vater. Und beide waren Frauenhelden mit sadistischen Neigungen und einer Vorliebe für Luxusartikel und Sportwagen.

Mindestens so interessant sind die Differenzen: Einerseits unterscheidet sie nicht nur der persönliche Charme, den Fleming in reichem Maße und sein Agent so gut wie gar nicht besaß. Andererseits erlebte Bond stellvertretend für seinen Autor all jene Einsätze, die diesem verwehrt blieben. Ian Fleming war von 1939 an Leutnant des britischen Marine-Nachrichtendienstes (in den Romanen tritt Bond dem Secret Service schon 1938 bei). Seine Aufgaben während des Zweiten Weltkriegs erstreckten sich jedoch weitgehend auf Schreibtischjobs.

Ein Produkt des British Empire

Hier erwies er sich allerdings als phantasievoll: Nach der Inhaftierung von Rudolf Heß, der im Mai 1941 nach Schottland geflogen war, schlug Fleming zum Beispiel vor, Hitlers Stellvertreter von dem Satanisten Aleister Crowley verhören zu lassen. Fleming hoffte, dadurch etwas über die angebliche Astrologie-Gläubigkeit der Nazi-Führungsriege erfahren zu können.

Crowley diente später als Vorbild für Bonds ersten Widersacher "Le Chiffre". Leider kam das bizarre Treffen nie zustande. Auch die von Fleming ausgeheckte "Operation Ruthless" wurde letztlich abgeblasen. In deren Verlauf hätten im September 1940 die Entschlüsselungstabellen für den deutschen Nachrichtenverkehr entwendet werden sollen. Fleming wollte mit einem erbeuteten deutschen Flugzeug einen Absturz im Ärmelkanal vortäuschen. Der Pilot, möglichst ein "zäher Junggeselle mit Schwimmfähigkeiten", und eine Besatzung aus handverlesenen Agenten sollten das herbeieilende deutsche Rettungsboot kapern und dessen Code-Buch an sich bringen.

Obwohl kaum eine von Ian Flemings abenteuerlichen Ideen in die Tat umgesetzt wurde, lassen sie bereits die reißerischen Plots der Bond-Romane erahnen, die Fleming später zum Multimillionär machten. Freilich kann man bei aller Überzeichnung die Welt, in der Bond operiert, und das Weltbild, das seine nicht eben zimperliche Vorgehensweise legitimiert, einer bestimmten Ära zuordnen. James Bond war, wie Fleming, ein Produkt des British Empire.

Die Briten verstanden sich in der Nachkriegszeit noch immer als Großmacht. Zwar hatten sie sich in den späten Vierzigerjahren aus diversen Kolonien zurückgezogen, darunter Indien, Burma und Ceylon. Doch dieser Schritt sollte der Konsolidierung des übrigen Empire dienen, und helfen, die Interessen in Afrika und im Nahen Osten zu wahren. 1952, ein Jahr, bevor "Casino Royale" erschien, wurde Britannien eine Nuklearmacht.

Der Historiker Jeremy Black macht in seiner Studie "The Politics of James Bond" die interessante Beobachtung, dass keiner von Flemings Romanen in einer der ehemaligen britischen Kolonien spielt, die jüngst ihre Unabhängigkeit erlangt hatten, also Australien, Neuseeland, Kanada oder Südafrika.

Fleming schrieb aus dezidiert imperialer Perspektive; Bond verteidigte die Grenzen des aktiven Imperiums. Diese Grenzen waren bedroht. Zugleich zeigten die Suez-Krise und der Sturz der pro-westlichen Monarchie im Irak den Briten deutlich die Grenzen ihrer Interventionsfähigkeit und Ressourcen auf. Fleming gab seinen britischen Lesern das beruhigende Gefühl, dass da zumindest im Reich der Phantasie ein Gentleman mit Lizenz zum Töten einen faktisch längst zum Untergang verdammten Status quo aufrechterhielt.

Früher hatte Bond gegen Nazis gekämpft. Jetzt kamen die Sowjets dran, die nach Bonds Auffassung "nie das Zuckerbrot" verstanden, "sondern immer nur die Peitsche". Fleming zeichnet die russische Spionage-Abwehrorganisation SMERSH als skrupellos und brutal. Eigenschaften, die SMERSH immer wieder zum Verhängnis werden: Indem die Kommunisten alle als Versager eingestuften Leute aus den eigenen Reihen umbringen, spielen sie Bond auf erstaunlich dumme Art und Weise in die Hände.

Genau genommen spielen die ideologischen Demarkationslinien des Kalten Krieges in den Bond-Romanen aber eine überraschend untergeordnete Rolle. Die Rachsucht, die Bond an den Tag legt, speist sich aus Flemings Überzeugung, dass es immer einfacher sei, "für Menschen zu kämpfen als für Prinzipien". Wenn es ein Prinzip gab, für das Bond kämpfte, war das sicher nicht eine Demokratie westlichen Zuschnitts, sondern imperiale Interessenwahrung.

Wahre Machtverhältnisse auf den Kopf gestellt

Weit faszinierender als die erwartbare Abneigung gegen den Bolschewismus nehmen sich daher Flemings Ressentiments gegenüber Bonds nominellen Verbündeten aus. Wie so viele Engländer seiner Generation empfand er eine gesunde Verachtung gegenüber Frankreich; sowohl Le Chiffre als auch Auric Goldfinger arbeiten im Auftrag französischer Kommunisten. Sein Verhältnis zu den Amerikanern war komplexer. Fleming begegnete den USA mit jenem Kulturdünkel, der sich in Bonds beleidigter Reaktion auf Tatiana Romanovas Hollywood-Star-Vergleich äußert. Der Japaner Tiger Tanaka beschreibt Amerika in "Du lebst nur zweimal" so: "Baseball, Amüsiermeilen, Hotdogs, abscheulich große Brüste, Neonbeleuchtung".

Die Dynamik und den wachsenden Einfluss der USA registrierte Fleming mit Respekt. Der Essayist Christopher Hitchens diagnostizierte in den Bond-Romanen "den Penisneid einer verblassenden gegenüber einer aufkeimenden Weltmacht". Daher prägt eine unterschwellige Rivalität Bonds oberflächlich betrachtet freundschaftliches Verhältnis zum CIA-Mann Felix Leiter. In "Leben und sterben lassen" wird Leiter von SMERSH-Schergen den Haien zum Fraß vorgeworfen. Er überlebt schwer verletzt. Bond muss den Kampf gegen den Bösewicht "Mr. Big" allein weiterführen. Natürlich bleibt er siegreich.

Fleming stellte damit die wahren Machtverhältnisse auf den Kopf. Trotz der 1946 von Winston Churchill ausgerufenen "special relationship" zwischen Amerika und Großbritannien verfolgten die beiden Nationen in den Fünfzigerjahren oft unterschiedliche Ziele. Um kapitalistische Demokratien zu stärken, befürworteten die Amerikaner beispielsweise eine weltweite Liberalisierung der Märkte. Das lief den Hegemonial- und Kapitalinteressen des Empire ebenso zuwider wie denen des Ostblocks.

Sir Roger Makins, britischer Botschafter in Washington, äußerte 1954 die (korrekte) Vermutung, die Amerikaner seien "darauf aus, unseren Platz im Nahen Osten einzunehmen". Eine britische Nahostpolitik ohne die Amerikaner war schon damals nicht mehr denkbar. Der anti-britische Premierminister Irans, Mohammad Mossadegh, der die Anglo-Iranian Oil Company zwangsverstaatlicht hatte, war 1953 mit Hilfe des CIA gestürzt worden. Nach dem Bericht eines CIA-Agenten über den Putsch schrieb Präsident Dwight D. Eisenhower in sein Tagebuch: "Das klang für mich alles eher wie ein Groschenroman als wie historische Tatsachen."

Das hätte Ian Fleming gefallen. Aus seiner Sicht unterschieden sich in der Welt der Spionage Fiktion und Wirklichkeit ohnehin nicht allzu sehr voneinander. "Die wahre Geschichte des Secret Service ist äußerst phantastisch", sagte er einmal. "Sicherlich nicht weniger phantastisch als das, was in James Bonds Abenteuern geschieht." Die Wahrheit ähnelte der Dichtung aber nicht nur, sie wurde womöglich sogar indirekt von ihr beeinflusst.

Eisenhowers Nachfolger John F. Kennedy zählte "Liebesgrüße aus Moskau" zu seinen Lieblingsbüchern. Im März 1960 lud der damalige Präsidentschaftskandidat Ian Fleming zum Dinner ein. Das Gespräch kam auf Fidel Castros Entscheidung, die kubanische Zuckerernte in die Sowjetunion zu exportieren. Fleming erzählte Kennedy in diesem Zusammenhang von seinem gerade fertiggestellten Roman "Thunderball". Darin bedroht der Schurke Ernst Blofeld Miami mit gestohlenen Atombomben. In welch erschreckender Form sich diese Bedrohung zwei Jahre später während der Kubakrise konkretisieren und welche zentrale Rolle Kennedy selbst dabei spielen sollte, ahnten wohl weder er noch sein britischer Dinner-Gast.

Im Jahr der Kubakrise kam der erste James-Bond-Film "Dr No" heraus. Das Empire lag damals in den letzten Zuckungen. Aber die Filme hielten auf ihre Weise die britische Weltmachtrolle aufrecht, die das Vereinigte Königreich schon lange verloren hatte. Der Film-Bond wurde im Verlauf der folgenden fünf Jahrzehnte ein Verteidiger der ganzen Welt, dessen supranationale Gegner längst nicht mehr für politische Systeme standen. Je internationaler die Rolle des Agenten wurde, desto mehr betonten die Filme seine britische Identität. Diese Entwicklung gipfelte in Bonds berühmtem Union-Jack-Fallschirm aus "Der Spion, der mich liebte".

Die Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele von London verdankte Bond ihren grandiosesten Moment. Beim ersten offiziellen Treffen zweier britischer Ikonen vermischten sich Realität und Fiktion erneut: Königin Elisabeth II. empfing James Bond in Gestalt seines derzeitigen Darstellers Daniel Craig im Buckingham-Palast.

Dann sprang über dem Stadion ein als Queen verkleideter Stuntman aus einem Hubschrauber, während im Hintergrund Monty Normans Bond-Thema erklang. Als der Fallschirm sich entfaltete, prangte darauf der Union Jack, und in den Rängen brandete frenetischer Jubel auf. Die Zuschauer feierten das Filmzitat. Sie feierten die globale Pop-Ikone James Bond. Was den meisten von ihnen sicher nicht bewusst war: Sie feierten in diesem Augenblick auch das Erbe einer untergegangenen Weltordnung.

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