70 Jahre nach dem Kriegsende:Prozession in Schutt und Asche

In Tausenden Bilder sind Aufstieg und Fall des Naziregimes dokumentiert. Zwei Ausstellungen erinnern an diese Zeit von Tod und Vernichtung. Und an erste Momente der Hoffnung

Von Evelyn Vogel

70 Jahre Kriegsende. Eröffnung des NS-Dokumentationszentrums in München. In den vergangenen Wochen gab es viele Möglichkeiten, um über diesen Abschnitt der deutschen Geschichte nachzudenken. Auch der Galerist Daniel Blau hat sich dazu Gedanken gemacht und präsentiert zum Abschied aus seinen Räumen am Odeonsplatz eine Ausstellung mit Fotos aus jener Zeit. "Zeitzeugen und authentische Dokumente unserer dunkelsten Tage", so Blau.

Unter dem Titel "Damals München" sind Aufnahmen aus den Zwanziger Jahren bis 1946 zu sehen. Originalabzüge, zum Teil mit redaktionellen Beschnittmarken, die er in den USA erworben hat, meist von sogenannten Verwertern, die Pressearchive und Agenturmaterial digitalisieren. Einige hundert Bilder habe er so ankaufen können. Bewusst habe er sich dafür entschieden, statt neuer, großformatiger Abzüge die kleinformatigen Originale von damals auszustellen.

Es sind Aufnahmen, die zeigen, wie Männer und Frauen am Odeonsplatz mit ausgestreckten Armen ihrem selbsternannten Führer huldigen, wie die braunen Reihen fest geschlossen auf dem Königsplatz aufmarschieren. Man kennt ähnliche Aufnahmen. Sie zeigen noch die Anfänge. Aber man weiß, wohin all das führte: zu Tod und Vernichtung. Dies zeigen zum Teil auch die Fotos am Ende des Rundgangs. Dazu Bilder vom Leben in den Jahren 1945 und 1946 in München, vom täglichen Überlebenskampf, aber auch von ersten Momenten der Hoffnung und der Freude.

Ein strahlend schöner Tag war es, als sich die Fronleichnamsprozession vor 70 Jahren durch München schob. Das hat eines der Bilder der Ausstellung zum Inhalt. Jedoch stimmt die Datumsangabe 11. Juni 1945 nicht. Tatsächlich fand die Fronleichnamsprozession 1945 am 3. Juni statt. In historischen Berichten ist von 25 000 Teilnehmern und 10 000 Zuschauern die Rede. Fast vier Stunden lang zog die Prozession, bei der der 76 Jahre alte Kardinal Faulhaber die Monstranz mit dem Allerheiligsten trug, durch die vom Krieg versehrte Stadt. Vorbei an zerbombten Gebäuden, die wie Gerippe in den Himmel stechen. Vorbei an Schuttbergen, aus denen einzelne Mauerstücke ragen. Vorbei an den Erinnerungen an Zerstörung und Vernichtung und unendliches Leid.

Der 3. Juni 1945 war ein Sonntag. Faulhaber selbst hatte durch sein Bittschreiben an die amerikanische Militärregierung die Erlaubnis für die Prozession erwirkt. Die war auch für den eigentlichen Fronleichnamstag, der 1945 auf den 31. Mai fiel, erteilt worden. Aber an dem Donnerstag regnete es so sehr, dass die Prozession auf den darauffolgenden Sonntag verlegt wurde. Vielleicht ist dies einer der Gründe, warum historische Aufnahmen der Münchner Fronleichnamsprozession vom Jahr 1946 - aufgenommen an der gleichen Stelle und aus einem ganz ähnlichen Blickwinkel - teilweise auf das Jahr zuvor datiert sind. So zum Beispiel auf der Website des Historischen Lexikons Bayerns. Das Original befindet sich im Stadtarchiv München. Dort ist der Abzug korrekt auf 1946 datiert - allerdings sieht man an den Bildbeschriftungen, dass es hier einst Verwirrung um das richtige Jahr gab.

Erstaunlich ist, wie sehr sich die Fotos der Fronleichnamsprozession von 1945 und 1946 durch die Theatinerstraße mit dem Dom rechts im Hintergrund gleichen - abgesehen von den Wetterbedingungen. Man mag kaum glauben, dass ein ganzes Jahr dazwischen lag. Noch immer sind die Gebäude im selben zerstörten Zustand, nur wenige Details weichen ab. Und noch immer türmen sich riesige Schuttberge an dieser Stelle auf, selbst ein singulär aufrecht stehendes Mauerstück auf dem Schutthügel rechts ist ein Jahr später noch an der selben Stelle zu sehen. Allerdings gibt es einen großen Unterschied: Obwohl das Wetter 1946 so viel schlechter war, es zum Teil stark geregnet haben muss, sieht man auf dieser Aufnahme (und einer zweiten im Stadtarchiv) viel mehr Menschen, als auf dem Foto von 1945, wo doch schönstes Wetter herrschte und wo angeblich so viele tausend Zuschauer den Weg säumten.

Wer mehr München-Bilder aus jener Zeit sehen möchte: Im Stadtarchiv gibt es derzeit eine Ausstellung unter dem Titel "München 1945. Fotografien aus den letzten Kriegs- und den ersten Nachkriegsmonaten". Die mittelformatigen, neuen Abzüge aus dem historischen Bestand zeigen unter anderem weitere Motive von der Fronleichnamsprozession 1945.

Damals München. Sonderausstellung zur Erinnerung an Münchens Geschichte 1923-1946, Daniel Blau Galerie, Odeonsplatz 12, bis 12. Juni, Mo-Fr 11-18 Uhr München 1945. Fotografien aus den letzten Kriegs- und den ersten Nachkriegsmonaten, Stadtarchiv München, Winzererstraße 68, Mo-Do 9-18 Uhr, Fr 9-12 Uhr

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