25 Jahre MTV:Vielen Dank für die Blumen...

...und für die Yachten, Werwölfe und Sexroboter. MTV wird 25 Jahre alt! Wir verneigen uns - war das Musikfernsehen doch stets ein treuer und bewusstseinserweiternder Begleiter.

Oliver Fuchs

Die mittleren achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts waren insgesamt recht freudlos. Telefoniert wurde mit Wählscheibe, getippt auf der Schreibmaschine, unter Zuhilfenahme von Tippex. Bahnschaffner priesen obskure Gerichte wie "Stangenspargel im Kräutermantel" noch nicht in sächsischem Englisch an, sondern sie hatten prinzipiell total schlechte Laune. Bademeister nutzten - vor der Erfindung des Spaßbades - ihre Machtposition aus, um Gäste zu demütigen. Hinzu kam die Angst vor dem Atomkrieg, die Angst vor dem Waldsterben sowie die "Angst vor der Angst" (Herbert Grönemeyer). Das alles war so bedrückend, dass sich die Menschen kaum noch aus dem Haus trauten. So war es gut, dass andersrum etwas passierte, dass nämlich etwas ins Haus kam.

Axl Rose

Die Zeiten, als Axl Rose noch auf MTV erschien, liegen schon ein paar Jährchen zurück.

(Foto: Foto: Reuters)

Vielen Dank für die Blumen...

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Eine Art Wunder. Irgendwann um 1986 war auch der allerhinterste Winkel der Republik mit dem verteufeltem "Kommerzfernsehen" verkabelt. Endlich war MTV zu empfangen. Eine Tür ging auf, und plötzlich stand man mitten in einer neuen Welt, die erheblich lustiger und schöner und anrührender war als die alte Bundesrepublik. Plötzlich sah man Dinge, die vorher nicht mal im Traum vorstellbar waren. Das "Sledgehammer"-Video von Peter Gabriel zum Beispiel, ein Meisterwerk der Knetanimation. Wie da Erbsen und Karotten mit Hähnchen tanzten und überhaupt jedes Objekt ständig die Form änderte. Metamorphosen kannte man vorher ja nur von Ovid. Oder Freddie Mercury als schnurrbärtige Putzfrau in dem brüllbunten "I want to break free"-Video. Das war mal was anderes als "Musik ist Trumpf" mit Peter Frankenfeld. Oder die Videos von Duran Duran, gern mal auf einer Yacht vor der Küste Sri Lankas gedreht, selbstverständlich auf 35-Millimeter-Filmmaterial und mit einem Budget, das in etwa dem Bruttoinlandsprodukt einer mittleren europäischen Volkswirtschaft glich. Großes Kino? Ja, aber vor allem großes Brimborium.

Vielen Dank für die Blumen...

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Am 1.August 1981 um 12.01 Uhr ging MTV auf Sendung, zunächst nur in den USA. Der erste Clip war sogleich Programm: "Video Killed The Radio Star" von den Buggles. Eine Kampfansage, was sonst. Der Titel war Programm, natürlich, wenn auch nur auf Zeit. Heute, 25 Jahre später, laufen auf MTV kaum noch Musikvideos, aber in den schrecklichen Jugendwellen der Radiosender dafür immer die gleiche Musik, die von Marketingfatzkes vorher brav bei der sog. Bevölkerung abgefragt wird. Natürlich rief das Musikfernsehen, wie jedes andere neue Medium zuvor, die Kulturpessimisten aller Länder auf den Plan. Zu schnell, zu bunt, zu wirr, wie soll das alles enden! MTV war schnell das, was ein Jahrhundert zuvor noch die Onanie war: gehirnzersetzend, jugendgefährdend, amoralisch. Nun, gehirnzersetzend wirkt heute das Radio, zum Beispiel das furchtbare Konkurrenzgespann Antenne Bayern und Bayern 3 mit der Endlosschleife aus Geplapper und den immer selben grauenvollen Heulern. Nein, rückblickend muss man sagen: Es war eine schöne Zeit mit MTV.

Vielen Dank für die Blumen...

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Da wäre zunächst: der Humor. Die neue Kunstform Musikvideo ermöglichte selbst tendenziell als ernst geltenden Künstlern wie Genesis große Ironie und nicht zuletzt Selbstironie. Im schönen "Land of Confusion"-Clip spazierten sie als Spitting-Image-Puppen umher, und am Ende drückte der bettlägrige Ronald Reagan im Krankenhaus statt des "Nurse"-Buttons versehentlich den "Nuke"-Button, woraufhin die Welt in die Luft flog. Das war nicht nur amüsanter, sondern auch lehrreicher und erhellender als die Flugblätter, die damals von der "Friedens AG" auf dem Schulhof verteilt wurden. Kleine These am Rande: Kunst ist manchmal sehr schwer zu ertragen, wenn sie nicht durch Humor abgefedert wird. Da wäre zum zweiten: der Pomp. In den Achtzigern musste die Musikindustrie noch nicht so aufs Geld schauen wie heute, und so durfte der Regisseur John Landis mal eben über eine Million Dollar verpulvern für 13 Minuten "Thriller" von Michael Jackson, mit Gruseleffekten und Werwolf-Ballett und Liebesgeschichte und melodramatischem Mond und wirklich allem Drum und Dran. Das Ergebnis sah teuer aus, richtig toll war es nicht. Doch diesem Apparat der hemmungslosen Verschwendung zuzuschauen, bereitete immenses Vergnügen. Kleine These am Rande: Pomp geht oft Hand in Hand mit Humor.

Es ist schwer zu sagen, was zuerst verschwunden ist, der Pomp oder der Humor. So wie sich überhaupt schwer rekonstruieren lässt, wann die Blütezeit des Musikfernsehens endete und der Verfall begann. Leitete in Deutschland der volkstümliche Sender Viva mit seinem Gequake den Untergang ein? Ist MTV schleichend an seinem eigenen Erfolg zugrunde gegangen? Liegt es an der Misere der Plattenindustrie? Oder kam das Ende erst mit der Verklingeltonisierung des Programms, den so genannten Reality-Formaten und Doku-Soaps?

Vielen Dank für die Blumen...

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Jedenfalls ist etwas verloren gegangen. Etwas, das jetzt fehlt. Schmerzlich. Für Menschen zwischen 30 und 45 Jahren war das Musikfernsehen eine Schule des Sehens. Filmfestspiele im Wohnzimmer. MTV lieferte die Grundversorgung mit Sehnsuchtsbildern, die Kino, Theater, Museum längst nicht mehr zu produzieren imstande waren. Wer könnte je vergessen, wie der großartige Dave Gahan erhaben mit einer Pappkrone durch den Schnee stapft, in Anton Corbijns "Enjoy the Silence"-Kunstvideo für Depeche Mode? Wer erinnert sich nicht an die Ausschweifungen der lesbischen Roboter in Chris Cunninghams "All is full of love"-Clip für Björk? Und auch die weniger kunstversessenen Werke hatten ihren Reiz, das grandiose Kabarett der Stockholmer Schwulenkappelle Army Of Lovers, der wunderbare Falco mit seinem "Junge Römer" und dem Kurzkrimi "Jeanny", die verkleidungssüchtige Madonna ...all das lief nicht von 20.15 Uhr bis 21.45 Uhr, sondern als Endlosschleife, während man telefonierte, sich liebte, die Magisterarbeit schrieb, die WG neu tapezierte. Und eben deshalb, als eine Art Tonikum aus Spaß und Klugheit und Pomp brannte es sich auch ins Unterbewusstsein.

Man sah andere Bilder im Fernsehen, Bilder, deren Takt kein Rundfunkrat vorgab, sondern die Musik. Und weil man andere, abstrakte Bilder sah, sah man auch anders auf die Welt. Ist das nicht das Prinzip, nach dem große Kunst funktionieren sollte?

Vielen Dank für die Blumen...

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Im Moment geht es wieder bescheiden zu in der Popmusik. Die Kirche im Dorf lassen, mal halblang machen, sich nicht so aufspielen - damit ist eigentlich alles gesagt über Leute wie Jack Johnson und James Blunt und und . . . Das ist alles lieb und nett und weit von dem entfernt, was mal Vergnügen bereitete. Dem Humor und dem Pomp der frühen Jahre steht heute also jene evangelische Bescheidenheit gegenüber - sowie die humorlose Sexprotzerei der HipHopper, die an Wohnwagen-Messen erinnert: wie viel PS, wie viel Hubraum? Kein Wunder, dass man bei MTV schließlich nur noch (tatsächlich gehirnzersetzende) Dating-Sendungen sah oder solche, in denen Autos aufgemöbelt wurden.

Mit den Musikvideos war es wohl ein bisschen so wie in einer Liebesbeziehung. Erst stirbt die Ironie, dann stirbt die ganze Beziehung. Wenn man nicht mehr über sich selbst lachen kann und stattdessen immer schön leise zur Akustischen singen muss, dann ist das eindeutig der Anfang vom Ende.

Vielen Dank für die Blumen...

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Danke für die Blumen, MTV! Und für die Yachten und für die Werwölfe und für die Sexroboter. Es war eine schöne Zeit.

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