75 Jahre "Haus der Kunst" in München:Traumatischer Hass auf die Entarteten

Als Adolf Hitler vor 75 Jahren das "Haus der Kunst" in München eröffnete, kündigte er einen "Säuberungskrieg" gegen die Moderne an. Sein Propagandaminister stümperte die berüchtigte Ausstellung "Entartete Kunst" zusammen. Und Hitler selbst strotzte bei der Eröffnung nur so vor Selbstgefälligkeit.

Willibald Sauerländer

Am 19. Juli 1937 herrschte in Süddeutschland strahlendes Hochsommerwetter. In der Kunststadt München wurde mit viel uniformierten Statisten zum ersten Mal der "Tag der deutschen Kunst" begangen. Hitler eröffnete das "Haus der deutschen Kunst", dessen monumentale Säulenfront vom Münchner Volksmund als die "Weißwurstgalerie" bezeichnet wurde.

75 Jahre "Haus der Kunst" in München: Umzug zum Tag der deutschen Kunst vor dem Haus der Deutschen Kunst, 1939.

Umzug zum Tag der deutschen Kunst vor dem Haus der Deutschen Kunst, 1939.

(Foto: SZ Photo)

Eines der ersten Gemälde, das man im Inneren bewundern konnte, zeigte Hitler als Ritter hoch zu Ross, den "Mann, welcher doch von jedem Pferd gefallen wäre", wie mir Paul Frankl, ein damals entlassener Kunstgeschichtsprofessor, der später nach Amerika flüchtete, aber als neugieriger Jude den Mut gehabt hatte, die Ausstellung im neuen Haus zu besuchen, amüsiert 1961 in Princeton erzählte.

Ich war 1937 13 Jahre alt, erinnere mich aber lebhaft an den Tag. Hitler hatte in seiner Eröffnungsrede den Entwurf des Architekten Adolf Abel für einen neuen Glaspalast am Botanischen Garten als "ein Gebäude, das ebenso gut eine sächsische Zwirnfabrik wie die Markthalle einer mittleren Stadt, unter Umständen auch ein Bahnhof, ebenso gut allerdings auch ein Schwimmbad hätte sein können," verspottet.

Er wollte einen Monumentalbau als Bedeutungsträger und bekam ihn ja auch von Paul Ludwig Troost. Nun war Adolf Abel ein Freund meines Vaters und der offenbar zutiefst erschrockene Mann floh aus München und traf gegen Abend bei uns in Oberschwaben ein. Diese Anekdote ist nicht weiter von Belang. Aber damit sind wir eigentlich schon fast beim Thema der "Entarteten Kunst", vor allem aber bei Hitlers Rede, in der sich ein bräsiges Weihepathos mit paranoiden Drohungen mischte. "Kunst", so hatte er sich schon auf dem Reichsparteitag 1933 vernehmen lassen, "ist eine erhabene, zum Fanatismus verpflichtende Mission."

Hitlers Festansprache war lang und ausschweifend. Noch auf den alten Fotografien meint man zu sehen, wie die Größen des Regimes mit Göring und Goebbels an der Spitze ihm zwar devot ihr Ohr leihen, aber auch ersichtlich gequält in ihren Stühlen hängen.

Gehetzter Wortausstoß Hitlers

Mit selbstgefälliger Eitelkeit spielte Hitler sich als der Verkünder einer neuen Ära auf, in welcher die deutsche Kunst sich wieder zu völkischer Ewigkeit erheben werde. "Das nationalsozialistische Deutschland aber will wieder eine 'deutsche Kunst' und diese soll und wird wie alle schöpferischen Werte eines Volkes eine ewige sein." Es ist hier nicht der Ort, darüber nachzusinnen, an welchen Abfällen einer völkischen idealistischen Ästhetik sich der Diktator mit solchen Sätzen verschluckt hatte.

An einigen Stellen seiner öligen Rede schlägt der Ton in den blanken Hass auf die Kunst der "Systemzeit" um. "Systemzeit" war für die Nazis bekanntlich das Schimpfwort für die Weimarer Republik.

Die messianische Verkündigung einer neuen nationalen Kunstblüte verbindet sich mit der Drohung von Ausmerzung und Vernichtung. Es ist jener gehetzte Wortausstoß, wie man ihn aus Hitlers ideologischen, politischen und rassistischen Reden kennt, der nun den weltanschaulichen Streit um die deutsche Kunst aufheizt.

"Säuberungskrieg gegen Elemente der Kulturzersetzung"

Immer wurde es dann besonders schlimm, wenn Hitler von seiner Entschlossenheit zu bellen begann. So schrie er am Tag der deutschen Kunst: "Ich will daher in dieser Stunde bekennen, dass es mein unabänderlicher Entschluss ist, genau so wie auf dem Gebiet der politischen Verwirrung nunmehr auch hier mit den Phrasen im deutschen Kunstleben aufzuräumen."

"Aufräumen", das war eine der Schreckensvokabeln des Vernichtungswahns der Nazis, der nun auch auf die Säuberung der Kunst übertragen wurde. Aber gegen Ende seiner Ansprache geht Hitler noch einen Schritt weiter und droht: "Wir werden von jetzt ab einen unerbittlichen Säuberungskrieg führen gegen die letzten Elemente unserer Kulturzersetzung."

Er eröffnete einen Kunsttempel, aber diese schauerliche Wort-Copula von Säuberung und Krieg lässt nicht an das Gedeihen der Musen denken, sondern an jene Ausrottungs-Aktionen, die er wenig mehr als zwei Jahre später mit dem Überfall auf Polen einleitete und ebenfalls mit den Worten "Ich habe mich daher nunmehr entschlossen" ankündigte.

Traumatischer Hass auf die Entarteten

Damit sind eigentlich die traumatischen Antriebe schon benannt, die in München im Juli 1937 dazu führten, dass neben dem neuen Elysium, "Haus der deutschen Kunst", eine höllische Gegenschau mit dem der Tier- und Rassenkunde entlehnten, infamen Titel "Entartete Kunst" den Volksgenossen als bildliche Choque-Therapie offeriert wurde.

Wir werden sehen: damit sind wir gar nicht weit von der medizinischen Hygiene entfernt. Mit dem Blick auf expressionistische Bilder schwadronierte Hitler hämisch: "Ich will mich nun gar nicht in einen Streit darüber einlassen, ob diese Betreffenden (also die verfemten Künstler) das nun wirklich so sehen, sondern ich möchte im Namen des deutschen Volkes es nur verbieten, dass (sie) die Ergebnisse ihrer Fehlbetrachtungen der Mitwelt als Kunst vorsetzen wollen."

Mit diesem Satz hatte Hitler die Drohung der Zensur ausgesprochen, die später durch Malverbote für "entartete" Künstler exekutiert wurde. Aber dann ging er noch einen Schritt weiter. Er sprach über die "Augenfehler" der entarteten Künstler und fuhr fort: "Es wäre zu untersuchen, ob diese etwa durch Vererbung zustande gekommen sind." "Das", so folgerte er, "wäre dann wichtig für das Reichsinnenministerium, das sich dann mit der Frage zu beschäftigen hätte, wenigstens eine weitere Vererbung derartiger grauenvoller Störungen zu unterbinden."

Aus diesen drohenden Worten hört man Hitlers ganzen traumatischen Hass auf die Entarteten heraus. Er möchte das von den Nazis nicht allzu lange nach ihrer Machtübernahme erlassene Gesetz zur "Verhütung erkrankten Nachwuchses" auf die entarteten Künstler anwenden. Hier ging es nicht mehr um einen platonischen Streit über ästhetische Fragen, sondern um die Übertragung der Rassenhygiene auf das Gebiet der bildenden Künste. Im gleichen Jahr erhielten die deutschen psychiatrischen Anstalten erste statistische Anfragen, deren Beantwortung dann 1940 zur selektiven Grundlage für die Ermordung der "unheilbar" Kranken wurde.

Die Ausstellung "Entartete Kunst", welche am 19. Juli, einen Tag später, eröffnet wurde, würdigte Hitler nur einer beiläufigen Erwähnung als "die Ausstellung der Verfallszeit, die wir ebenfalls dem Besuch der deutschen Volksgenossen öffnen und empfehlen". "Sie wird", so fügte er finster hinzu, "für viele eine heilsame Lehre sein."

"Polemisch verurteilender Zweck"

Seine Erfindung war sie nicht, und er hat sie am 16. Juli, während des Aufbaus, für nicht mehr als zehn Minuten besucht. Diese Denunziations-Schau war der Phantasie des abtrünnigen Intellektuellen Joseph Goebbels entsprungen, des in seiner giftigen Hetze gegen Kulturbolschewisten und Juden besonders lautmäuligen Propagandaministers.

Für ihn waren alle öffentlichen Einrichtungen des geistigen Lebens, Presse, Rundfunk, Film und Wochenschau, immer nur Instrumente der Propaganda. Warum dann nicht auch die Kunstausstellung, welche die Entartung an den Pranger stellte? In seinem Rückblick vom 14. 11. 1937 schrieb Carl Linfert in der Frankfurter Zeitung: "Dieses Unternehmen (hatte) einen polemischen, verurteilenden Zweck, der in der ganzen langen Zeit, in der man Kunst als ein höheres Sondergebiet des Lebens ansah, völlig ohne Beispiel und unvergleichbar ist." Spitzer kann man es auch im freien Nachhinein nicht sagen.

Doch kommen wir zum Ablauf der Ereignisse im Juni/Juli 1937. Am 30. Juni, keine drei Wochen vor der Eröffnung, notierte Goebbels: "Ich bespreche die von mir geplante Verfallskunst-Ausstellung. Habe Ermächtigung, die diesbezüglichen Stücke in allen Museen zu beschlagnahmen."

"Das wird ein Schlag ins Kontor"

Darauf bereiste eine Kommission von parteinahen "Fachleuten" in nur 14 Tagen die deutschen Museen und wählte nach ihrem Gutdünken "Entartete" aus. Eine Spedition sorgte für den Versand nach München. Dort hatte der Gauleiter in den Räumen des Museums für klassische Abgüsse an den Hofgartenarkaden Platz machen lassen. Das war ganz nahe bei dem neuen Kunsttempel. Die schäbige Bühne für den bösen Spuk war aufgebaut, Goebbels triumphierte: "Das wird ein Schlag ins Kontor."

Kuratoren in Opposition zur Moderne

Für den Aufbau der Schandschau standen zwischen dem Ende der Museumsbereisung um den 15. Juli und der Eröffnung am 19. Juli nur wenige Tage zur Verfügung. Noch am 18., als das Haus der deutschen Kunst eröffnet wurde, notierte Goebbels: "Verfallsausstellung. Dort wird fleißig gearbeitet."

Die "sachkundigen Männer", welche den Aufbau in ihre Hand nehmen, waren wenig bekannte Maler, welche die Moderne hassten, wie der Präsident der Reichskammer der bildenden Künste Adolf Ziegler, der wegen seiner Aktfiguren alsbald als der "Maler des deutschen Schamhaares" bekannt wurde, oder Wolfgang Willrich, der Verfasser eines hasserfüllten Pamphlets über die "Säuberung des Kunsttempels" und noch andere, zum Beispiel ein österreichischer Jurastudent namens Pistauer, den offenbar der "studentische Führungsdienst" entsandt hatte.

Sie pferchten in die neun engen Räume am Hofgarten nicht weniger als 600 entartete Objekte, ließen die Wände mit antibolschewistischen und antisemitischen Hasstiraden beschmieren. Außer dem diffusen Schlagwort "Entartung" lag kein Konzept für die Ausstellung vor, kein Kriterium für die Auswahl der Objekte. Zwischen den "sachkundigen Männern" kam es zu gegenseitigen Beschimpfungen. Bilder wurden aufgehängt und dann wieder als offenbar nicht genügend "entartet" entfernt. Am Ende glich das Ergebnis mehr einer Geisterbahnfahrt als einer Kunstausstellung.

So hat es auch nie einen Katalog gegeben, sondern nur einen irrwischhaften "Führer durch die Ausstellung", dessen wüste Beschimpfungen an den Ton von Streichers Stürmer erinnerten, wenn es etwa hieß: "Das moralische Programm des Bolschewismus schreit in dieser Abteilung von allen Wänden", oder auf der gegenüberliegenden Seite: "Die Dirne wird zum sittlichen Ideal erhoben".

Die Inschriften an den Wänden schrien "Unter der Herrschaft des Zentrums freche Verhöhnung des Gotterlebens" und wiesen auf Bilder von Beckmann und Nolde mit christlichen Themen hin, oder "Offenbarung der jüdischen Rassenseele", für die als erschreckendes Beispiel Chagalls "Rabbiner" gezeigt wurde.

Suggestive Verbindung zur Geisteskrankheit

An Werken des besonders verhassten Otto Dix wurde die "Verhöhnung des deutschen Frauenideals: Kretin und Hure" und die "bewusste Wehrsabotage" durch die "Beschimpfung der deutschen Helden des Weltkriegs" denunziert.

Wo die Physiognomie der entarteten Bilder sich nicht mehr abbildhaft auf die Zersetzung der Volksgesundheit und der staatstragenden Moral beziehen ließ, wie bei den abstrakten Kompositionen Kandinskys, half man sich mit dem lärmenden Aufschrei "Verrückt um jeden Preis" und suggerierte die Verbindung zur Geisteskrankheit.

Auf Seite 2 des genannten Führers wird gefragt: "Was will die Ausstellung 'Entartete Kunst'?" und geantwortet: "Sie will die gemeinsame Wurzel der politischen und der kulturellen Anarchie aufzeigen, die Kunstentartung als Kunstbolschewismus im ganzen Sinne des Wortes entlarven."

Krude Exekution des Leidens

Die totalitäre Diktatur, welche die ganze Nation in eine straff organisierte Marschkolonne zwingen wollte - das war die "Klarheit", von der Hitler schwärmte -, verfemte eine Kunst, welche die Brüche und Unsicherheiten in der modernen, offenen Gesellschaft zu ihrem sensiblen Thema gemacht hatte.

So wie die französische Rechte schon während des Ersten Weltkrieges gegen den ebenfalls als jüdisch diffamierten Kubismus den "Retour à l'Ordre" eingefordert hatte, nur viel radikaler verlangten die Nazis die Einreihung der Kunst in die nationale Marschkolonne.

Aber abseits von den Aufmärschen und Kunstfesten unterhielten sie die Lager, die Mord- und Folterstätten, in denen das Leiden und Grauen nicht mehr wie in der modernen Kunst zu einem Spiegel der sensiblen Empfindung gemacht wurde, sondern krude exekutiert. In dieser Perspektive erscheint die Ausstellung "Entartete Kunst" wie die Ausgeburt der Angst des Regimes vor der Aufdeckung seiner eigenen verbrecherischen Fratze.

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