30 Jahre "Dark Side Of The Moon":Endlich Licht auf der dunklen Seite des Mondes

Die wichtigsten Dinge im Leben sind einfach: Abneigung zum Beispiel. Sex dagegen ist nicht ganz so wichtig - meint der pinkeste aller Floyds, Roger Waters, im Interview.

Alexander Gorkow

Roger Waters, 58, war Gründungsmitglied und lange Jahre Kopf der legendären Rockgruppe "Pink Floyd". Nachdem er die Band verlassen hatte, lieferte er sich beispiellose juristische Gefechte mit der Rumpfband, die unter dem alten Namen weiter Platten aufnahm und tourte. Waters Solokarriere verlief kommerziell zunächst im Schatten der alten Weggefährten, im Jahr 2000 startete er jedoch eine zweijährige Welttournee, die zu einem sensationellen Erfolg wurde. Anlässlich des 30. Geburtstags des "Pink-Floyd"-Opus "Dark Side Of The Moon" hat die Plattenfirma EMI jetzt eine neue Edition in 5.1-Technologie auf den Markt gebracht.

30 Jahre "Dark Side Of The Moon": SZ v. 17./18.05.2003

SZ v. 17./18.05.2003

(Foto: Waters)

SZ: Mister Waters, anlässlich der Wiederveröffentlichung des 73er- Pink-Floyd-Klassikers "Dark Side Of The Moon" möchte ich gerne noch einige Jahre weiter in der Vergangenheit schweifen.

Waters: Okay, in welches Jahr?

SZ: 1966, das Jahr, in dem Pink Floyd ihren ersten Plattenvertrag unterzeichneten.

Waters: Das war 1967, nicht 1966.

SZ: Sorry.

Waters: Schon okay.

SZ: Ein Blick in die tiefe Vergangenheit also.

Waters: Fragen Sie, was Sie wollen. Sie fragen, ich antworte. So sind die Regeln.

SZ: Regeln, denen Sie nicht immer folgten. Sie galten mal als Journalistenschreck.

Waters: Ich habe die Journalisten nicht erschreckt. Ich habe nur nicht mit ihnen geredet. Das ist ein Unterschied.

SZ: Wieso lächeln Sie?

Waters: Ich erinnere mich an die "Wish You Were Here"-Tour in Amerika, Mitte der siebziger Jahre, als die Pink-Floyd-Hysterie im vollen Gange war. Man stellte uns den teuersten PR-Manager zur Seite, der in Los Angeles aufzutreiben war. Der sagte, wann wir wo mit wem zu reden hätten, um die beste Streuung zu erreichen. Wir haben uns das angehört, dann haben wir gesagt: "Hey, stop mal, Gary! Also: Du wirst nicht viel Arbeit mit uns haben, denn egal, wer anruft, ob TV, Radio oder Print, deine Antwort wird immer sein: Nein! Immer: Nein! Okay?"

SZ: Hat er es beherzigt?

Waters: Natürlich hat er es beherzigt. Dafür wurde er ja bezahlt, und zwar gut.

SZ: Kein schlechter Job.

Waters: In der Tat.

SZ: Warum wollten Sie und die anderen nicht mit Journalisten reden?

Waters: Wir wollten unsere Ruhe haben und uns auf unsere Arbeit konzentrieren. Geschwätz lenkt ab, erst recht, wenn man auf Tour ist. Ich habe diesen faustischen Pakt mit den Medien aber auch deshalb nie geschlossen, weil ich den Medien nicht gehören wollte. Und es ist schlicht so, dass du den Medien sehr schnell gehörst, wenn du nicht sehr frühzeitig "Nein!" sagst. Sie fressen dich einfach auf, sie machen mit dir, was sie wollen.

SZ: Natürlich wurde speziell Ihr Verhalten als Arroganz interpretiert.

Waters: Richtig, aber Sie müssen in so einem Fall eine Rechnung aufstellen und sich überlegen, was Sie bezahlen und was Sie bekommen: Bezahlt habe ich mit einigen Fehlinterpretationen in den dummen Medien, meine Person und meine Musik betreffend. Bekommen habe ich meine Ruhe. Insgesamt war das für die 15 Jahre, die Pink Floyd eine derart erfolgreiche Band waren, kein schlechter Deal.

SZ: Bezweifeln Sie, dass der junge Roger Waters ein komplizierter Mensch war?

Waters: Nein, und zugegebenermaßen hatte das weniger mit anderen Menschen zu tun als vielmehr mit den Problemen, die ich mit mir selbst hatte. Ich war nicht gerade das, was man als easy going bezeichnen könnte, eher sogar das Gegenteil davon. Aber was ist jetzt mit 1967? Noch sind wir in den siebziger Jahren . . .

SZ: Okay! Ich sah also kürzlich in einer Biografie über Syd Barrett ein Foto, auf dem Sie und die Band in sehr bunten Kleidern in London herumhüpfen und jubeln. Sie hatten gerade besagten Plattenvertrag unterzeichnet. 1967.

Waters: Swinging, oder?

SZ: Ja, swinging, auch wenn Sie das gerade wohl eher ironisch meinten.

Waters: 1967 hatte ich eine sehr romantische Vorstellung vom Musikgewerbe. Wissen Sie, ich hatte gerade fünf Jahre Architektur studiert und wollte so oder so meine Spuren in der Welt hinterlassen. Es war eine feine Sache, einen Plattenvertrag in der Tasche zu haben. Wir waren unglaublich glücklich und aufgeregt.

SZ: Wenn ich mich an das Foto erinnere und jetzt Ihre Worte höre: Das klingt alles so unschuldig, so, naja, kindlich.

Waters: Ja, das war es, vielleicht auch naiv. Ich war ein hoffnungsloser Romantiker damals, und ich hatte schon einige sehr romantische Jahre hinter mir. Ich sehe mich noch 1959 mit meiner Gitarre in Paris an der Seine herumsitzen und einige blues licks spielen - und zwar sehr schlecht spielen. Aber ob gut oder nicht, es ging letztlich darum, dass der 15-jährige Roger in Paris an der Seine sitzt und den Blues spielt.

SZ: Wenn wir heute von London im Jahre 1967 sprechen, sprechen wir vom so genannten Swinging London, auf besagtem Foto meint man davon einiges zu ahnen, das wirkt alles so unbekümmert.

Waters: Ich will ehrlich zu Ihnen sein, das lustige Foto hin oder her: Es gab kein Swinging London! Ich meine, wo war es?

SZ: Ich weiß es nicht, ich war noch sehr klein damals. Aber Sie müssten es definitiv wissen! Sie waren ein junger und sehr bunter Hund, der mit Pink Floyd im Ufo-Club spielte, die Beatles kamen vorbei, tolle Frauen, alles war sehr cool.

Waters: Ich habe Swinging London nie gesehen.

SZ: Mmh . . .

Waters: Schauen Sie: Es gab da eine Reihe von events, es gab auch diese Anbindung an die Anti-Nuklearwaffen-Bewegung, es gab Aufrufe zur Legalisierung von Cannabis, und wie gesagt: events, im Ufo-Club, wo auch immer. Aber lassen Sie sich nicht erzählen, dass da überall der Swing in den Straßen gewesen sei. In den Straßen ging eine spießige Gesellschaft ihren üblichen Geschäften nach.

SZ: Mythenbildung?

Waters: Ja, definitiv. In der Rückschau neigen wir dazu, einer bestimmten Generation ein unwiderlegbares Gesamt-Lebensgefühl zu unterstellen. Dabei vergessen wir dann, dass auch wir jungen Leute damals jeweils verschiedene junge Leute waren, mit jeweils eigenen Wünschen, Ängsten, Problemen und so weiter. Ich befürchte, dies gilt in sehr hohem Maße auch für meine Person.

SZ: Was ist mit der sexuellen Revolution?

Waters: Ja, da haben Sie zum Beispiel genau das richtige Thema angesprochen! Entschuldigen Sie, dass ich lache . . .

SZ: Dass Sie nur zu einem Lächeln fähig seien, wurde Ihnen mal abgesprochen!

Waters: Ja, also, bleiben wir beim Gelächter und also beim Sex: Sie sprechen hier mit einem Mann, der 1967 voll war mit Schuldgefühlen, wenn er nur an Sex dachte! Ich habe mich zu Tode geschämt. Selbst harmlose sexuelle Erlebnisse hatten für mich einen eher inzestuösen Einschlag.

SZ: Das ist aber traurig! Alle anderen wälzten sich zufrieden in den Betten . . .

Waters:. . . nein, nein, mein junger Freund, nicht alle! Eben nicht! Ich nicht!

SZ:. . . es gab kein Aids, es muss doch das reine Paradies gewesen sein . . .

Waters:. . . ja, aber traurig genug: Nicht für mich! Wenn Sie sich bei jeder sexuellen Regung umgehend schuldig fühlen, ist eine sexuelle Revolution in Ihrer Umgebung geradezu der pure Horror. Dass eine sexuelle Revolution in etwas objektiverer Sicht kein Horror, sondern eine wundervolle Sache ist, das ist mir schon klar. Ich habe das damals aber nicht so empfunden. (Er macht eine kurze Pause) Was natürlich schade ist. Ich befürchte, ich habe da was verpasst.

SZ: Entschuldigen Sie, wenn ich jetzt mal ein wenig boulevardzeitungsmäßig ...

Waters: . . . Sie machen sich wirklich nicht schlecht als Boulevardzeitungsreporter.

SZ: Wieso haben Sie sich schuldig gefühlt? Hat es mit der engen Bindung zu Ihrer Mutter zu tun gehabt?

Waters: Nicht nur zu meiner Mutter, das Haus war voller Frauen, außer mir kein Mann, mein Vater war im Krieg gefallen . . .

SZ: . . . das ganze Trauma, das Sie später für die "Wall" vertont haben . . .

Waters: . . . exakt, ich möchte aus unserem Gespräch jetzt keine rein freudianische Sitzung machen, aber natürlich hatte ich wegen des Vaterverlusts das notorische Gefühl, ich müsste die Rolle meines Vaters ersetzen und alles in Ordnung halten. Dann war da noch besagte Gesellschaft draußen: Für die Menschen in England war Sex grundsätzlich eine außerordentlich teuflische und schmutzige Sache, verstehen Sie? Über jedem sexuellen Kontakt lauerte die schreckliche, furchtbare, zerstörerische Konsequenz einer möglichen Schwangerschaft! Jetzt lachen Sie, aber . . .

SZ:. . . Sie lachen doch selbst . . .

Waters: . . . ja, aber ich meine das trotzdem Ernst: Wenn Sie damals eine Frau geschwängert haben, der Sie nicht Jahre zuvor sämtliche Ja-Worte gegeben haben, dann war das nichts anderes als das vorzeitige und traurige Ende Ihres Lebens. Sie wurden geächtet. Soweit meine Ausführungen zum unbeschwerten Sexualleben im Jahre 1967, zumindest zu meinem unbeschwerten Sexualleben.

SZ: Dann hatten Sie Ihre persönliche sexuelle Befreiung also später, nun gut . . .

Waters: . . . ja, definitiv! Möglicherweise habe ich sie sogar jetzt erst auf meine alten Tage! Ich bin mir nicht sicher.

Waters: Nein, vergessen Sie's! Aber noch etwas: dieses ganze sehr kafkaeske Elend lastete in den späten sechziger Jahren komplett auf der Mittelklasse. Middleclass war der reine Horror. Ich denke, dass in der Arbeiterklasse, die damals wirklich noch eine Arbeiterklasse war, unbekümmerter herumgevögelt wurde, weil they didn't give a fuck, you know, die hatten eh nichts mehr zu verlieren, Aber in der Mittelklasse gedieh das puritanische Elend des viktorianischen Zeitalters wie in einem Gewächshaus weiter.

SZ: Mister Waters, ich habe mir gestern nochmal "Dark Side Of The Moon" angehört. So viele Schläge Pink Floyd von Kritikern auch einstecken mussten, unstrittig ist: Die Platte ist jetzt 30 Jahre alt und klingt nach wie vor sehr modern.

Waters: Was auch ein wenig mit den späten sechziger Jahren zu tun hat.

SZ: Warum?

Waters: Weil, so viel muss trotz meiner ernüchternden Ausführungen klar sein: die sechziger Jahre waren eine Zeit, in der einige von uns anfingen, ein paar grundsätzliche Fragen zu stellen, über das Leben, den Tod, die Gesellschaft, wenn Sie wollen: über den Sinn. Als wir dann Anfang der Siebziger auf Tour gingen und das Material probten, war es konsequenterweise so, dass dies eine in sich geschlossene und grundsätzliche Platte werden würde, mit der wir diesen essentiellen Fragen nachgehen. Und diese Fragen kommen nicht aus der Mode, sie waren immer da, sie werden immer da sein.

SZ: Die Platte verkauft sich heute noch alleine in Amerika 500 000 mal pro Jahr. Das ist unglaublich.

Waters: Ja und Nein, denn wie gesagt: Sie stellt sehr essentielle Fragen, und sicher ist es uns gelungen, durch die Vermischung von letztlich sehr traditionellen Blues- und Jazz-Elementen mit einer alltäglichen Geräuschkulisse eine Art Lebenssoundtrack zu basteln, der die Menschen berührt. Und die im Übrigen auch einige recht komische Seiten hat. Der Humor bei Pink Floyd, auch meine Fähigkeit zum Gelächter, wurden stets unterschätzt. Nicht von den Fans, aber von den Kritikern natürlich.

SZ: Einmal heißt es auf der Platte lakonisch "Hanging on in quite desperation is the english way". Diagnostizieren Sie dieses Phlegma, diese stille Verzweiflung bei Ihren Landsleuten immer noch?

Waters: Was ich diagnostiziere in England, ist der pure Pragmatismus, und dieser Pragmatismus wird uns zugrunde richten. Aus Pragmatismus werden heute sämtliche sozialen Errungenschaften, die wir uns nach dem Krieg jahrelang erkämpft hatten, aufs Spiel gesetzt. Aus Pragmatismus ist Blair auch mit in diesen wahnwitzigen Krieg marschiert, es ging um sehr kalte und vordergründige und materielle Interessen, um nichts sonst.

SZ: Blair und auch Bush gelten aber auch als sehr religiös.

Waters: Das macht die Sache noch schlimmer, ist aber nicht der entscheidende Punkt. Dieser Krieg war so oder so ein sehr großer Fehler. Wie wir noch sehen werden.

SZ: Sie sind sehr enttäuscht von Labour.

Waters: Es gibt keine Labour Party mehr. Es gibt die einen Tories, und es gibt die anderen Tories. Die einen Tories heißen Tories, die anderen Tories heißen New Labour. Was immer das sonst noch heißen mag.

SZ: Mister Waters, vor fast 20 Jahren trennten Sie sich von Ihren alten Mitstreitern, es folgte eines der bizarrsten Gefechte der jüngeren Entertainmentgeschichte. Zum Keyboarder Rick Wright und zum Drummer Nick Mason pflegen Sie wieder Kontakt. Wie ist das Verhältnis zu Ihrem sporadischen Häuptlings-Nachfolger, zum Gitarristen David Gilmour?

Waters: Da ist kein Verhältnis. Wir haben seit 1985 nicht miteinander geredet, außer neulich mal über Bande bei einer sonderbaren Telefonkonferenz.

SZ: Welche Rolle spielte David Gilmour bei Pink Floyd?

Waters: Eine große. Er ist zum Beispiel ein exzellenter Gitarrist.

SZ: Tja, also sorry, aber wieso setzen Sie und Gilmour sich nach so vielen Jahren nicht mal an den Tisch, mal ein Bier unter . . .

Waters: Wieso sollte ich das tun?

SZ: Zum Beispiel werden Pink Floyd für den Fall einer Wiedervereinigung astronomische Summen geboten!

Waters: Das interessiert mich nicht. Ich arbeite momentan sowohl an einer Oper wie auch an einem regulären Studio-Album. Wieso sollte ich meine Zeit damit verbringen, mit David Gilmour zu reden?

SZ: Weil . . .

Waters: Wissen Sie was?

SZ: Was?

Waters: Ich mag ihn nicht.

SZ: Sie mögen ihn nicht.

Waters: Genau, ich mag ihn nicht. Ganz einfach. David und ich waren schon immer zwei sehr unterschiedliche Menschen mit sehr unterschiedlichen Ansichten. Das war 1968 so, als er in die Band kam. Das hat sich nie verändert. Irgendwann muss man der Wahrheit ins Auge sehen. Und die lautet: Ich mag ihn nicht. (Er lächelt.)

SZ: Ganz einfach.

Waters: Sag' ich doch. Ganz einfach.

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