Jack Nicholson wird 80:"Keine Sorge, ich sammel' das nachher alles wieder auf"

Jack Nicholson

US-Schauspieler Jack Nicholson lacht bei der 78. Oscar-Verleihung am 05.03.2007 in Hollywood, USA. Er wird am 22. April 2017 80 Jahre alt.

(Foto: dpa)

Jack Nicholson, Meister des Kinos, wird 80. Seine Lust an Expression und Rebellion macht seine Filme unvergesslich. Nun schlägt er noch einmal zu.

Von Tobias Kniebe

Nun will er also, in seiner möglicherweise letzten Filmrolle, der amerikanische Toni Erdmann werden. Das war die Nachricht von Anfang Februar, und sofort hat man sich dazu innerlich ein paar Bilder vorgestellt. Wie der große Jack Nicholson mit einem sehr guten Wein vor seinem Riesenfernseher sitzt, in seinem ewigen Junggesellen-Adlernest am Mulholland Drive, knapp unter dem Gipfelgrat der Hollywood Hills - einst auf Augenhöhe mit Warren Beatty und Marlon Brando, jetzt aber allein dort oben. Wie er die Oscarkandidaten-DVD von Maren Ades "Toni Erdmann" in seinen Player einlegt, denn er hat jetzt seinen eigenen Koch im Haus und geht fast nie mehr aus. Wie er sieht, was Peter Simonischek als Toni Erdmann in dem Film so alles anstellt; und wie ihn daraufhin wieder die Lust an der Schauspielerei packt, so schlagartig, kompulsiv, überwältigend, dass er sofort zum Telefonhörer greifen muss. So könnte es gewesen sein. Oder auch nicht.

Man spürt eine Lust an Expression und Rebellion, die unbezwingbar wird

Man stellt es sich jedenfalls so vor, wenn man einmal aus der Nähe erlebt hat, wie ungestüm und unerwartet die Gefühle aus diesem Mann herausbrechen können. Eine Suite im Berliner Regent Hotel im Jahr 2008, die der Reporter voll Ehrfurcht betritt - und in der er gleich auf einen Star in höchster Erregung trifft. Jack Nicholson tigert wie angestochen durch den sehr großen Raum, verflucht erst alle Hotels dieser Welt, dann alle Nichtraucher, schließlich schleudert er mit großer Geste vier Zigarrettenstummel einfach auf den cremefarbenen Flauschteppich. "Dies ist für alle Hotels, die keine Aschenbecher mehr haben!", ruft er erbost. Einmal tief durchatmen, dann arrangieren sich seine Gesichtszüge neu, von der Wut zum charmanten, nur allzu vertrauten Wolfsgrinsen: "Keine Sorge, ich sammel' das nachher alles wieder auf."

Vielleicht ist das im Kino Nicholsons größte Qualität - dass er immer wieder diese Momente des Unmittelbaren und Unberechenbaren geschaffen hat. Augenblicke, in denen seine Lust an Expression und Rebellion unbezwingbar wird, in denen er vom Skript abweicht, die Zügel loslässt, der Szene eine plötzliche Wendung in den Irrsinn gibt.

Wieso gackert er da plötzlich wie ein Huhn, als einziger Krawattenträger im Hippie-Roadmovie "Easy Rider"? Wieso fegt er, in einer spitzfindigen Diskussion mit einer Coffeeshop-Kellnerin in "Five Easy Pieces", plötzlich alle Gläser vom Tisch? Wieso fängt er als Joker in Tim Burtons "Batman" plötzlich das Tanzen an, und wieso imitiert er, mitten in einem Gangster-Wutausbruch in Martin Scorseses "The Departed", eine halbe Sekunde lang eine Ratte?

Es kommt einfach über ihn

Jack Nicholson hat darauf vermutlich selbst keine Antwort. Es kommt einfach über ihn, und genau nach diesem Gefühl sucht er. Faszinierend aber ist, dass seine besten Szenen sich deshalb immer "live" anfühlen. Man hat sie über die Jahre vielleicht Dutzende Male gesehen und glaubt doch jedes Mal atemlos und gegen alle Logik, es könnte gleich noch etwas Neues, völlig Unerwartetes passieren - so stark ist die suggestive Kraft. Abgenutzt haben sich seine Mittel nur da, wo sie über die Jahre hinweg immer erwartbarer wurden, etwa wenn er die äußeren Spitzen seiner Augenbrauen zu einem Grinsen nach oben zieht, bei dem die Mundwinkel gar nicht unbedingt mitmachen müssen. Wenn die auch noch wuchtig ins Spiel kommen, ist man dann schon fast bei jener Fratze, die er als Joker und in "Shining" so erfolgreich eingesetzt hat.

Dem fiktiven Impulsivtäter und Konventionensprenger Toni Erdmann, so wie Maren Ade ihn geschaffen hat, muss Nicholson sich jedenfalls unheimlich nah fühlen. Zugleich hat diese Ankündigung aber ins Bewusstsein gerufen, wie still es in den letzten Jahren um ihn geworden ist. Als Pensionär betrachte er sich keineswegs, hatte er 2013 klargestellt, als sein bisher letzter Filmauftritt, eine Nebenrolle in "How Do You Know" für seinen alten Freund James L. Brooks, auch schon drei Jahre zurücklag. "Ich habe nur diesen gruseligen Gedanken, dass die jüngeren Leute im Kino gar nichts mehr sehen wollen, was sie bewegt. Vielleicht wollen sie nur immer mehr Bomben und Explosionen sehen, weil sie damit aufgewachsen sind. Und diese Art Film werde ich niemals machen."

"Ich kann in der Öffentlichkeit keine Frauen mehr angraben"

Diese anderen Filme aber, die er gern machen würde - gibt es die nicht mehr, oder werden die ihm nicht mehr angeboten? Diese Rollen, die ihm drei Oscars und zwölf Nominierungen (Rekord bei den männlichen Darstellern) eingebracht haben, von "Einer flog über das Kuckucksnest" über "Zeit der Zärtlichkeit" bis zu "Besser geht's nicht"?

Vielleicht liegt es daran. Vielleicht aber liegt der Schlüssel auch in einer großartigen Szene, die sich im Jahr 2013 gar nicht im Kino abgespielt hat, sondern im Trubel nach den Academy Awards. Da wurde die 22-jährige Oscargewinnerin Jennifer Lawrence, der kommende weibliche Superstar, gerade live vom Sender ABC interviewt. Nicholson lauerte erst im Hintergrund, drängte dann aber energisch ins Bild und Gespräch, um ihr zu gratulieren - und begann sein übliches suggestives Flirtspiel, auf das Lawrence, ziemlich überwältigt, auch launig einstieg. Das letzte, noch im Gehen aus dem Hintergrund geraunte "I'll be waiting" des damals 75-Jährigen klang dann aber doch irgendwie fast bedrohlich - was Nicholson auch selbst aufgefallen sein muss. "Ich kann in der Öffentlichkeit keine Frauen mehr angraben", bekannte er ein paar Monate später. "Das hab ich mir nicht ausgesucht, aber es fühlt sich einfach nicht mehr richtig an."

Und damit muss er wohl beschlossen haben, dass der Eros, diese mächtige Triebfeder all seiner Frauenbeziehungen, im Leben und auf der Leinwand - der selbst noch im Hass wirksam war, etwa beim Showdown mit seiner legendären Nemesis Nurse Ratched alias Louise Fletcher im "Kuckucksnest" - nun aus seinem Filmschaffen verbannt werden musste. Womit sich dann leider auch die Energie fürs Filmemachen insgesamt verflüchtigt hat, bis eben in der Story von "Toni Erdmann", sein Auge auf eine Alternative fiel, eine wahrhaft intensive und komplexe Vater-Tochter-Beziehung.

So kann man jetzt nur hoffen, dass dieses Remake wirklich zustande kommt, und dass er noch einmal zu ganz großer Form aufläuft. Dann könnte er der erste Schauspieler werden, der über sechs Dekaden bei den Oscars mitmischt. Falls er die Sache wirklich anpackt, wird er Toni Erdmann auch neue, überraschende Wendungen geben - bis man den Atem anhält, was als Nächstes passiert. Für solche Überraschungen brauchen wir Jack Nicholson, der an diesem Samstag achtzig Jahre alt wird, heute dringender denn je.

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