Ja zur Todesdokumentation:Manchmal muss man hinsehen

Es ist furchtbar, wenn sich ein Mensch vor laufender Kamera tötet. Doch es ist nicht immer falsch, die Aufnahmen zu zeigen.

Markus C. Schulte von Drach

Bilder des Todes sind in den Medien allgegenwärtig. Meist sehen wir Opfer von Katastrophen, von Kriegen und - in den meisten Fällen - Darstellungen in Spielfilmen oder Videospielen, wo natürlich nicht wirklich gestorben wird.

Ja zur Todesdokumentation: Craig Ewert vor seinem Tod. Ist es falsch, das Sterben eines Menschen zu zeigen?

Craig Ewert vor seinem Tod. Ist es falsch, das Sterben eines Menschen zu zeigen?

(Foto: Foto: Reuters)

Die Frage ist also nicht, ob das Sterben gezeigt wird, sondern wie und warum wir es sehen sollen und wollen. Diese Fragen stellen sich auch im Falle des Amerikaners Craig Ewert, der sich vor laufender Kamera selbst das Beatmungsgerät abgestellt hat.

Es gibt viele Möglichkeiten und etliche Motive, das Sterben abzubilden. In Dokumentationen werden die Toten gezeigt, um die Wirklichkeit hinter Begriffen wie Krieg, Terror, Hunger, Erdbeben, Überschwemmungen und anderen Katastrophen zu dokumentieren.

Die meisten Medien verzichten dabei in der Regel auf zu viel Blut, abgerissene Gliedmaßen, heraushängende Gedärme. Und das ist auch nicht unbedingt falsch. Denn wie die Darstellungen von Gewalt zum Beispiel in manchen Spielfilmen und Video-Games belegen, dienen sie auch zur Unterhaltung. Menschen suchen ganz offensichtlich nach Sensationen, nach Spannung, nach Thrill.

Was nicht passieren sollte, ist, dass Dokumentationen den Zuschauer über die Sensationsgier zu fassen versuchen. Dann wird das Leid instrumentalisiert, missbraucht, um Profit daraus zu schlagen.

Doch welchen Anspruch kann eine Dokumentation tatsächlich erheben, die zum Beispiel die Schrecken des Krieges zeigen will, wenn die Auswirkungen von Waffen auf menschliche Leiber ausgeblendet oder nur teilweise gezeigt werden?

Muss man darauf verzichten, diese Bilder zu zeigen, aus Rücksicht auf die Gefühle der Betrachter oder die Würde der Opfer? Werden wir zu Voyeuren des Schreckens, wenn wir solche Aufnahmen ansehen?

Der Grat, auf dem wir hier balancieren, ist schmal. Doch wer Grausamkeiten ausblendet, ist in großer Gefahr, zu verharmlosen. Und auch wer aus Sensationsgier auf die Bilder schaut, wird mit der Realität konfrontiert. Seht her: Darum geht es.

Der Fall Craig Ewert ist in seinen Dimensionen natürlich nicht zu vergleichen mit Krieg, Terror und tödlichen Katastrophen. Doch es geht ums Prinzip. Wer diskutiert, sollte das Thema von allen Seiten betrachten. Und eben auch wirklich "betrachten", wenn es die Möglichkeit dazu gibt. Das gilt auch für die Sterbehilfe und Suizid.

Ewert war ein Mensch im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte. Er war intelligent. Er wurde geliebt. Er war unheilbar krank und wusste, welche Leiden ihm bevorstehen. Er hatte sich für den Freitod entschieden. Natürlich hätte er sich auch ohne eine Kamera an seinem Bett umbringen können. Doch es gibt Gründe dafür, dass er sich für die Aufnahmen entschieden hat. Und das sind gute Gründe.

In Großbritannien wird genau wie in Deutschland und in anderen Ländern über Sterbehilfe und Suizid diskutiert. Doch mit Sicherheit wissen viele von uns nicht wirklich, worüber wir eigentlich reden.

Wir lesen darüber, sprechen darüber - nun können wir es in einem konkreten Fall auch sehen. Und wir können sehen, dass das Sterben anderer Menschen nicht immer eine Sensation sein muss, dass nicht nur Leid damit verbunden ist, sondern dass der Tod manchmal - manchmal! - wirklich eine Erleichterung ist. Davon zu lesen oder den Menschen dabei zu sehen, ist etwas anderes. Und genau das wollte Ewert zeigen.

Doch eines muss betont werden: Ewert ist ein Einzelfall. Die Aufnahmen belegen eindringlich: Er konnte sich schon nicht mehr bewegen, seine Krankheit wäre fortgeschritten, sein Leiden immer schlimmer geworden.

Viele Menschen aber, die sich gestern umbringen wollten, sind heute froh, dass es ihnen misslungen ist. Deshalb ist es gut, dass die Diskussion um Sterbehilfe stattfindet. Sich auf den Standpunkt zurückzuziehen, jeder solle doch mit seinem Leben machen, was er will - auch es beenden -, beweist eine Ignoranz gegenüber dem Leiden seiner Mitmenschen. Zu behaupten, Ewerts Verhalten "diene den Machenschaften des Todes", wie es Hamburgs Erzbischof Werner Thissen laut Bild erklärt hat, ist allerdings genauso wenig hilfreich.

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