Wirbel um Tagebücher des Faschistenführers:Schtonk um Mussolini

Sind die Tagebücher von Benito Mussolini echt? Das Thema verkauft sich zurzeit gut in Italien, doch es gibt Widersprüche in den Aufzeichnungen. Manche vermuten eine Fälschung. Doch Berlusconi bedient sich schon.

Henning Klüver, Rom

Der erste September 1935 war ein ruhiger Sonntag. Benito Mussolini verbrachte ihn in seiner Heimatregion an der romagnolischen Küste. Die Klivien, so heißt es in einer Tagebuchaufzeichnung vom 1.9., leuchteten "golden der Abenddämmerung entgegen". Wenn er die Angelegenheiten des Staates "einmal beiseite gelegt" habe, so der Duce, wollte er sich hier zur Ruhe setzen, "um diese Stille und Einsamkeit einzuatmen bis zum Ende meiner Tage".

Benito Mussolini

Verwirrung um die Tagebücher des "Duce": Benito Mussolini.

(Foto: SV BILDERDIENST)

Es kam bekanntlich anders. Mussolini wurde im April 1945 beim Versuch, in die Schweiz zu fliehen, am Comer See von Partisanen festgenommen und erschossen. Zum Gepäck des Duce soll eine Aktentasche mit Dokumenten gehört haben. Darunter vielleicht ein Schriftwechsel mit Churchill. Oder auch Tagebuchaufzeichnungen. Doch die Aktentasche ging in den Wirren der Festnahme und der letzten Kriegstage verloren.

Vor einigen Jahren nun tauchten bei einem Tessiner Rechtsanwalt in Bellinzona Kalenderhefte von 1935 bis 1939 auf, die angeblich der Sohn eines der bei der Festnahme beteiligten Partisanen gefunden hatte. Ein Blumenhändler, der heute in Lugano lebt. Waren das die Mussolini-Tagebücher, über die schon lange gerätselt wurde?

Die fünf Hefte, zu dem noch ein sechstes aus dem Jahr 1942 kam, wurden dem italienischen Senator Marcello Dell'Utri angeboten. Der 69-jährige Berlusconi-Vertraute steht in Mailand einer Kulturstiftung ("Biblioteca di Via Senato") vor und organisiert dort seit über 20 Jahren eine kleine aber angesehene Buch-Antiquariats-Messe. Dell'Utri zeigte sich von den Heften begeistert, war sofort von der Echtheit überzeugt. "Wenn das ein Fälscher geschrieben haben soll, dann muss das ein Genie gewesen sein", sagte er in einem Interview. Das sei ein ganz neues, privates Bild von Mussolini, das durch die Tagebücher ans Licht komme.

Und Dell'Utri fand einen Verlag. Bompiani, der zur renommierten Mailänder Verlagsgruppe RCS (Rizzoli-Corriere della Sera) gehört, hat einen ersten Band, Aufzeichnungen von 1939, im vorigen November herausgebracht. Und hat in diesen Wochen den zum Jahr 1935 folgen lassen. Aber glaubt der Verlag an das, was er tut? Bereits im Titel - "I Diari di Mussolini (veri o presunti)" - wird in der Klammer ("die echten oder die angeblichen") ein Fragezeichen hinter die Tagebücher gesetzt. Offenbar fand sich kein Historiker bereit, als Herausgeber für die Ausgabe aufzutreten. Und selbst auf mehrfache Nachfragen der SZ wollte der Verlag keinen Gesprächspartner nennen, der sich zur Veröffentlichung äußerte.

In einem langen, nicht gezeichneten Vorwort wird dagegen ausführlich beschrieben, dass es sich um Material handeln könnte, das seit Jahren im Untergrund zirkuliert. Es wurde bereits vor Jahren Verlagen wie Feltrinelli, der Espresso-Gruppe, aber auch im Ausland angeboten. Jedes Mal haben Historiker, zum Beispiel der Faschismus-Experte Emilio Gentile, in ihren Expertisen die Echtheit bestritten. Denn die Tagebücher sind voller sachlicher Fehler.

Schwache Erinnerung

Teilweise erinnert sich der schreibende Duce nicht einmal richtig an sein Geburtsdatum. Dafür verbreiten die Hefte das Bild eines eher gutbürgerlichen Mussolini, der nur widerwillig Rassengesetze auch in Italien durchsetzte, von Hitler schon gar nichts hielt und sich als Friedensapostel verstand.

Dennoch bescheinigt das Bompiani-Vorwort den Texten eine gewissen "Authentizität". Sie würden das Klima der beschriebenen Jahre widerspiegeln und damit die historische Sicht bereichern. Hier und da wurde in der Vergangenheit auch die These vertreten, Mussolini habe die Tagebücher, um sich vor der Nachwelt zu rechtfertigen, nachträglich ab 1942/43, geschrieben, oder sie, etwa von seinem Sohn Vittorio, schreiben lassen.

Der Publizist und Historiker Mimmo Franzinelli will in ihnen dagegen ein Produkt der Nachkriegszeit erkennen. Er hat gerade beim Turiner Verlag Bollati Boringhieri eine reich dokumentierte, fast pingelige Untersuchung unter dem Titel "Autopsie einer Fälschung" herausgebracht. Darin beschreibt er, wie neofaschistische Kreise auf der Suche nach einem "sauberen" Geschichtsbild in den fünfziger Jahren geschönte Dokumente in Umlauf brachten.

Besonders eifrig war eine Fälscherwerkstatt zweier handschriftlich außerordentlich begabter Frauen in Vercelli (Piemont) mit Hilfe eines ehemaligen Angestellten der örtlichen Polizeidirektion aktiv. Auf Basis von Zeitungsmeldungen, Buchveröffentlichungen und Archivmaterial schufen sie "handschriftliche" Dokumente Mussolinis. Ihre Tätigkeit flog auf, die Frauen wurden verhaftet und zu geringen Gefängnisstrafen verurteilt, der Mann starb während des Prozesses und die Manuskripte, darunter auch Tagebuchhefte von 1935-39, wurden eingezogen.

Franzinelli hat nun nach ihrem Verbleib geforscht - aber man findet sie weder beim zuständigen Tribunal, obgleich ihr Eingang ins Archiv verzeichnet wurde, noch gibt es von ihnen eine Spur bei den verschiedenen Staatsarchiven. Auch fehlen Unterlagen, aus denen ihre Vernichtung hervorgehen würde. Der Historiker hat keinen Zweifel: die aus Vercelli verschwundenen Hefte lagern inzwischen im Tresor der Biblioteca di Via Senato von Marcello Dell'Utri.

Befehle an das Pferd

Silvio Berlusconi hat sie vorab gelesen, jedenfalls zitierte er aus ihnen auf der Pariser OECD-Tagung im Mai 2010. Mit den Worten Mussolinis klagte er über eigene mangelnde Machtbefugnis: "Man sagt, dass ich Macht habe. Das ist nicht wahr, vielleicht haben meine Funktionäre Macht, was weiß ich. Ich weiß nur, dass ich meinem Pferd befehlen kann, nach links zu oder nach rechts zu schwenken. Und damit muss ich mich zufrieden geben." Armer Duce, armer Silvio.

Während Bompiani jetzt die Veröffentlichung des dritten Bandes vorbereitet, wird der Hintergrund immer verworrener. Marcello Dell'Utri verwaltet die Tagebücher, ihm gehören sie aber nicht. Bompiani zahlt Autorenrechte an die Erben Mussolinis, denen die Kalenderhefte aber auch nicht gehören. Sie haben ihre Tantiemen an einen Bauunternehmer von Prato weiter verkauft, der angeblich ebenfalls keinen Besitzanspruch hat.

Auch ist inzwischen der Blumenhändler aus Lugano, der Partisanensohn, aus der Geschichte verschwunden. Das war eine von vielen Falschaussagen, die einer kritischen Öffentlichkeit Sand in die Augen streuen sollten. Dafür steht ein geheimnisvoller "Mister X", ein "Altbesitzer" aus dem italienisch-schweizerischen Grenzort Domodossola im Streit mit mehreren Rechtsanwälten und Vermittlern im Tessin.

In der Fälschung wird Geschichte zum Geschäft, zu einem ziemlich schmutzigen sogar. Der Historiker Franzinelli kommentiert, das seien die politischen und kulturellen Symptome einer Situation des Niedergangs, "in der auch Geschichte mystifiziert und manipuliert wird". Mussolini hat Tagebücher geschrieben, das scheint sicher. Möglich ist, dass er sie kurz vor Kriegsende in Salò dem japanischen Botschafter übergeben hat, der sie an die Vertretung seines Landes in Bern weiterleitete. Dort sollen sie dann bei der Kapitulation Japans verbrannt worden sein. Aber auch diese Theorie klingt eher nach Kino als nach Wirklichkeit.

Das Thema Mussolini verkauft sich zur Zeit gut in Italien, Titel zum Faschismus boomen. Die Sehnsucht nach einer starken Vaterfigur wächst in dem Land, das offenbar jede Orientierung verloren hat und sich jetzt sogar von Berlusconi verraten fühlt. Die rechtspopulistische Mailänder Tageszeitung Libero zerstückelte den ersten Band der Bompiani-Ausgabe in 30 Folgen, legte sie dem Blatt diesen März und April bei und steigerte die Auflage erheblich.

Doch es gibt auch einen Gegenöffentlichkeit. Als Marcello Dell'Utri die angeblichen Tagebücher Mussolinis im vorigen Herbst bei den Büchertagen von Como vorstellen wollte, musste die Veranstaltung wegen wütender Proteste antifaschistischer Gruppen im Publikum abgebrochen werden.

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