Isabel Coixet - Regisseurin und Frauenrechtlerin:"Wir Frauen müssen weiterkämpfen, aber ohne Bitterkeit"

Isabel Coixet - Regisseurin und Frauenrechtlerin: Einander verbunden, aber rein platonisch: Darwan (Ben Kingsley, links) und Wendy (Patricia Clarkson) in "Learning to Drive".

Einander verbunden, aber rein platonisch: Darwan (Ben Kingsley, links) und Wendy (Patricia Clarkson) in "Learning to Drive".

(Foto: Alamode Filmverleih)

Die Filmemacherin Isabel Coixet erzählt gerne von starken Frauen, so auch in ihrer neuen Komödie "Learning to Drive". Ein Gespräch über die eheliche Untreue und die Benachteiligung von Filmemacherinnen.

Von Paul Katzenberger

Ihr imponiert es, wenn Mut und Risikobereitschaft weiblich sind. Auch in der neuen Komödie "Learning to Drive - Fahrstunden fürs Leben" präsentiert die spanische Regisseurin Isabel Coixet ("Elegy", "Mein Leben ohne mich") mit der New Yorker Literaturkritikerin Wendy (Patricia Clarkson) eine sehr menschliche Heldin.

Als sie nach 21 Jahren Ehe von ihrem Mann verlassen wird, ist sie am Boden zerstört. Statt sich der anfänglichen Verzweiflung hinzugeben, rappelt sich Wendy aber auf. Sie will endlich ihren Führerschein machen und nimmt Fahrstunden bei dem indischen Taxifahrer Darwan (Ben Kingsley). Die Entscheidung erweist sich als richtig. Denn in dem ernsten und sanftmütigen Sikh findet sie einen klugen Gesprächspartner und neuen Freund, der sie daran erinnert, worauf es im Leben wirklich ankommt.

SZ.de: Frau Coixet, ist eheliche Untreue in erster Linie ein männliches Laster?

Isabel Coixet: Nein, überhaupt nicht. Wenn ich mich umschaue, dann nehme ich eheliche Untreue sowohl bei Männern als auch bei Frauen wahr. Ich weiß nicht, ob das im Verhältnis 50 zu 50 ist, aber vermutlich geht es in die Richtung. Wie kommen Sie darauf?

Weil ich mich gefragt habe, ob in "Learning to drive" ein negatives Urteil über die männliche Untreue zum Ausdruck kommt. Wendy wurde von ihrem Mann nach 21 Ehejahren betrogen und am Ende des Films will sich Darwan mit ihr platonisch anfreunden, doch sie weist ihn ab, und zwar nur, weil dies das Risiko bergen würde, dass er seine Ehefrau mit ihr betrügen würde.

Das ist aber kein generelles Urteil über männliche Untreue. Sie rät ihm nur, sich selbst treu zu bleiben. Sie sagt ihm: 'Wenn all das stimmt, was Du mir gesagt hast, dann lass' uns unsere spezielle Freundschaft nicht aufs Spiel setzen. Du hast eine Frau zu Hause. Versuche, Sie zu lieben.'

Aber auch am Anfang des Films gibt es eine Szene, in der die Freundinnen Wendys den Ehebetrug ihres Mannes damit vergleichen, in einen Swimmingpool zu pinkeln. Es ist eine Allegorie auf den Vertrauensbruch, der mit der Untreue unweigerlich einher geht. Auch das ist kein moralisches Urteil?

Ich gebe in meinen Filmen grundsätzlich kein moralisches Urteil ab. Mein Anliegen besteht niemals darin, den Leuten zu sagen, wie sie leben sollen.

Isabel Coixet im Gespräch über ihren neuen Film "Learning to Drive".

"Es ist besser, seinen Gegnern mit einem Lächeln ins Auge zu blicken." Isabel Coixet im Gespräch über ihren neuen Film "Learning to Drive".

(Foto: picture alliance / dpa)

Was bedeutet der Vergleich zwischen ehelicher Untreue und dem Pinkeln in den Swimmingpool dann?

Die Freundinnen sagen das, um sie in ihrem Gefühl zu bestätigen, dass ihr Unrecht geschehen sei. Das ist aber gar nicht der Fall. Denn ihr Mann macht ihr nichts vor. Seine Botschaft ist eindeutig: 'Zwischen uns ist es aus. Ich habe mich in eine andere verliebt.' Sie kann das aber erst am Ende des Films akzeptieren: 'Er liebt mich nicht mehr, also ist es jetzt an mir, mich zu entscheiden, wie ich mein Leben gestalte.' Und das bleibt offen. Vielleicht bleibt sie für den Rest ihres Lebens allein, vielleicht findet sie einen anderen, vielleicht zieht sie aufs Land.

Also geht es im Kern nicht um Untreue, sondern um die Haltung, nach Niederlagen nicht aufzugeben. Dass es im Leben niemals zu spät ist, etwas Neues anzufangen.

Genau. Auch das meine ich nicht belehrend. Es führt einfach zu nichts, wenn man in der dunklen Ecke hockt und seine Wunden leckt.

"Ich hatte in Barcelona nie das Bedürfnis, Autofahren zu lernen"

Mut und Risikobereitschaft von Frauen war schon immer ihr großes Thema. Einmal haben Sie gesagt, dass sich die Frauen seit dem Beginn der Evolution daran gewöhnen mussten, zu kämpfen. Aber Wendy muss erst spät im Leben lernen zu kämpfen. Ist das nicht ein Widerspruch?

Das sehe ich anders. Sie wurde in Queens geboren, in einer sehr armen Gegend New Yorks. Aber sie kämpfte sich hoch, absolvierte ihren Master's, zog nach Manhattan, erwarb sich einen ausgezeichneten Ruf als Literaturkritikerin. Sie war definitiv schon früh in ihrem Leben eine Kämpferin.

Das ist aber lange her und bildet im Film nur den Subtext ihrer Figur. Jahrzehntelang konnte sie es sich außerdem bequem einrichten, und als sie dann in ihren Fünfzigern wieder kämpfen muss, scheint sie es am Anfang zumindest verlernt zu haben.

Sie glaubte eben, dass sie ihr Leben mustergültig geregelt hat. Sie dachte: 'Ich habe das perfekte Heim, den perfekten Ehemann und die perfekte Tochter. Mir geht es blendend, mir fehlt es an nichts.' Und dann wird sie vom Leben überrascht. Dass sie Zeit braucht, um sich anzupassen, ist normal.

Warum wollten Sie gerade dieses Thema in einem Film verarbeiten? Melden Sie sich als persönlich Betroffene?

Ja. Der Film beruht auf einem Essay, den die Lyrikerin Katha Pollitt auf Grund eigener Erfahrungen im New Yorker veröffentlichte. Als ich 2008 "Elegy" drehte, gab mir Patricia Clarkson, mit der ich damals zum ersten Mal zusammenarbeitete, übrigens ebenso wie mit Ben Kingsley, das Essay zum Lesen. Es berührte mich sehr, denn es erwischte mich in einer sehr schmerzhaften Lebensphase.

Einer Existenzkrise?

Richtig. Ich trennte mich vom Vater meiner Tochter. Ich kann mich daher in der Figur der Wendy wiedererkennen. Natürlich war bei mir alles anders - die Hintergründe, die Umstände, die ganze Konstellation. Trotzdem hat mich Kathas Geschichte in ihrer Geradlinigkeit gepackt. Und ich entschied mich, in Los Angeles, wo wir an der Postproduktion von "Elegy" arbeiteten, den Führerschein zu machen. Ich komme aus Barcelona, und dort hatte ich nie das Bedürfnis gehabt, Autofahren zu lernen.

Immerhin haben Sie sich in Barcelona an etwas gewagt, was vielen nicht gelingt: Filmemacherin zu werden.

Ich werde oft gefragt, ob es für eine Frau nicht vollkommen unmöglich sei, sich als Regisseurin durchzusetzen. Und ich antworte immer mit demselben Vergleich: 'Stell Dir das Filmgeschäft als einen kaum bezwingbaren Berg vor, und eine Frau und ein Mann wollen ihn besteigen. Dann ist der Mann bestens ausgestattet, mit Rucksack und Bergsteigerstiefeln, während die Frau High Heels trägt, eine kleine Handtasche und ein unbequemes Kleid. Sie können beide den Gipfel erreichen, aber der Frau wird es sehr viel schwerer fallen.

"Ich kann kaum glauben, dass ich es auf elf Filme gebracht habe"

Es gibt ja auch kaum Regisseurinnen.

So ist es. Sehr wenige Regisseurinnen können von ihrem Beruf leben: Doris Dörrie und Margarethe von Trotta aus Deutschland, Jane Campion aus Südafrika und Agnieszka Holland aus Polen. Es gibt weitere Namen, aber nicht sehr viele.

Zumindest gibt es noch Isabel Coixet aus Spanien.

Danke. Ich kann kaum glauben, dass ich es auf bislang elf Filme gebracht habe. Mir kommt das wie ein Wunder vor.

Was macht es so ungewöhnlich, dass Frauen bei Filmen Regie führen? In den Filmhochschulen studieren inzwischen in etwa so viele Frauen wie Männer.

Ich weiß. Frauen machen in der Regel ihren Abschlussfilm an der Hochschule, doch dann fällt es ihnen wahnsinnig schwer, einen zweiten Film hinzubekommen. Das liegt zunächst einmal daran, dass Frauen ganz generell weniger daran glauben, eine Sache durchziehen zu können. Sie sind sehr gut darin, Macht indirekt auszuüben, aber das Machtgebaren, das auf einem Filmset verlangt wird, ist nicht ihr Ding. Außerdem sind die Geldgeber ohne Ausnahme Männer, und die fühlen sich viel wohler, wenn sie einem Mann 25 Millionen Dollar für einen Film in die Hand drücken als einer Frau.

Fällt Ihrer Meinung nach Frauen die Vereinbarkeit von Beruf und Familie noch immer schwerer als Männern?

Absolut. Seit ich als Regisseurin arbeite, werde ich gefragt, was ich mit meiner Tochter anstelle, wenn ich gerade in Norwegen drehe, oder in Island oder in den USA. Steven Spielberg muss sich so etwas nie anhören, und der hat fünf Kinder.

Dafür bekommen Sie aber auch positive Aufmerksamkeit, weil sie eine Frau sind. Bei der Berlinale war es in diesem Jahr zum Beispiel ein großes Thema, dass der Wettbewerb mit Ihrem Drama "Nobody Wants the Night" eröffnet wurde. Nur weil es der Film einer Frau war.

Ich konnte mich nur darüber wundern, warum das überhaupt ein Thema war. Wirklich etwas verändert hat das aber nicht. Im Regiefach sind die Frauen nach wie vor überall in der Unterzahl. Auch für Juries gilt das zum Beispiel. Als Präsidentin des Verbandes europäischer Filmemacherinnen EWA bin ich mir dieser Ungleichheiten sehr bewusst. Denn in unseren Untersuchungen kommen wir immer wieder zu dem Ergebnis, dass sich die Situation nicht verbessert. Wirklich wütend macht es mich, dass Frauen im Durchschnitt noch immer viel weniger verdienen als Männer. Wir Frauen müssen weiterkämpfen, aber ohne Bitterkeit. Es ist besser seinen Gegnern mit einem Lächeln ins Auge zu blicken.

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