Isabel Allende wird 70:Ihr erfundenes Land

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Als die lateinamerikanische Geisterwelt schwer in Mode war, galt sie als weiblicher García Márquez. Obwohl die Bücher der chilenischen Bestsellerautorin Isabel Allende zunehmend enttäuschten, blieb sie ihrem literarischen Hauscocktail aus Liebe, Magie und Politik weiterhin treu. Jetzt wird sie 70 Jahre alt.

Kristina Maidt-Zinke

Jeder, der berufsmäßig schreibt, muss ins Grübeln kommen, wenn er die literarische Laufbahn der Isabel Allende betrachtet. Wie macht man das? Knapp 60 Millionen verkaufte Bücher, und dabei diese untilgbare Aura des politisch Korrekten und künstlerisch irgendwie Relevanten, die in Deutschland durch den Verlagsnamen Suhrkamp beglaubigt wird - obwohl so ziemlich alles, was die Chilenin ihrem 1982 erschienenen Debütroman und Weltbestseller "Das Geisterhaus" folgen ließ, von der Fachkritik mit Enttäuschung, mildem Spott oder scharfen Kalauern quittiert wurde. Oder mit ostentativer Erleichterung, wenn eine der zunehmend verwechselbaren Geschichten um starke Frauen, politische Turbulenzen und erotische Verstrickungen wenigstens auf der Spannungsebene funktionierte.

Dabei wurde ziemlich alles, was die Chilenin ihrem Debütroman und Weltbestseller "Das Geisterhaus" folgen ließ, von der Fachkritik mit Enttäuschung quittiert. Die chilenisch-amerikanische Schriftstellerin ist die Großcousine der gleichnamigen chilenischen Politikerin und Nichte des 1973 gestürzten Präsidenten Salvador Allende. (Foto: dapd)

Vielleicht hilft und schützt es ja tatsächlich, das anheimelnde Ritual, von dem die Autorin so gern berichtet. Jedes Jahr am 8. Januar, dem Tag, an dem sie einst das "Geisterhaus" begann, verdunkelt sie ihr Gartenhäuschen, zündet neben dem Computer eine Kerze an und horcht in ihrem Inneren auf den ersten Satz, von dem sie genau weiß: Er kommt nicht aus dem Kopf, sondern aus dem Bauch, je nach Interviewpartner auch "aus dem Herzen". Und der Rest folgt auf dem Fuß. So viel zur Anatomie des Schreibens. Wenn sie dann doch einmal ins Stocken gerät, fädelt sie Perlen auf oder kommuniziert mit ihrer toten Großmutter.

Zwar ist das Gartenhaus längst ein komfortables Studio, und es steht nicht etwa auf dem magischen Mutterkontinent Lateinamerika, sondern in Sausalito, Kalifornien, aber die Geister scheinen auch dort zuverlässig zu spuken und dafür zu sorgen, dass die Erzählerin Allende sich treu bleiben kann. Wie ein Gasthof, der - so formulierte es ein Kollege - "unter jährlich wechselnden Namen stets dasselbe Gericht auftischt". Was ja viele Kunden durchaus zu schätzen wissen. Und immerhin wird hier, um in der Metapher zu bleiben, nicht an exotischen Gewürzen gespart.

Vor 30 Jahren war sie schwer in Mode, die lateinamerikanische Geisterwelt, zumal in Kombination mit ereignisreichen Familiensagas nach dem großen Vorbild "Hundert Jahre Einsamkeit". Damals konnte Isabel Allende als weiblicher García Márquez durchgehen, und dass sie dessen Niveau nicht ganz erreichte, wurde dadurch aufgewogen, dass sie die Nichte von Salvador Allende ist, dem ersten demokratisch gewählten Präsidenten Chiles, der beim Militärputsch 1973 ums Leben kam. Sein Name und Nimbus, aber auch eine entsprechende Sozialisation prägten den Werdegang der in Lima geborenen Diplomatentochter.

Nachdem sie ihre Kindheit und Schulzeit in vier verschiedenen Ländern verbracht hatte, eignete sie sich das Schreibhandwerk als Journalistin an, zunächst bei den UN, dann unter anderem als Mitgrün-derin der einzigen feministischen Zeitschrift Chiles. Die Frauenbewegtheit wurde zu ihrem zweiten Qualitäts-Indikator neben der linksdemokratischen Gesinnung, die sie auch heute, als amerikanische Staatsbürgerin, noch eloquent zu artikulieren weiß. Nach der Machtübernahme Pinochets stand ihr Name auf der schwarzen Liste, und sie verlor ihre Stellung als Redakteurin. 1974 ging sie mit Mann und Kindern ins Exil nach Venezuela, wo sie für die Tageszeitung El Nacional arbeitete und daneben als Lehrerin tätig war, bis der Erfolg ihres Romandebüts solche Brotberufe überflüssig machte.

Ein Brief an ihren Großvater war die Keimzelle für "Das Geisterhaus", die Geschichte ihrer eigenen Familie vom Ende des 19. Jahrhunderts bis zum Sturz Salvador Allendes. Einer Familie übrigens, die politisch gespalten war und keineswegs geschlossen für den demokratischen Fortschritt eintrat. Jedenfalls gelang der damals 40-jährigen Autorin die Verknüpfung des Generationenromans mit einem farbigen Sittengemälde der chilenischen Gesellschaft und deren magisch-märchenhaften Überlieferungen eindrucksvoller als alle Werke, die sie danach veröffentlichte. Dabei mag es eine Rolle spielen, dass sie 1986 mit ihrem zweiten Mann in die USA übersiedelte, also den Kulturraum, aus dem sie erzählen wollte - mit dem expliziten Anliegen, denjenigen eine Stimme zu verleihen, die unter dem Pinochet-Regime zum Schweigen verurteilt waren - endgültig verließ.

Konnte ihr zweites, noch in Venezuela entstandenes Epos "Von Liebe und Schatten" nicht mehr recht überzeugen, so wurde das dritte, "Eva Luna" zumindest in Deutschland schon mit handfester Skepsis begrüßt, und den anschließenden "Geschichten der Eva Luna" bescheinigte man gar "triefende Seichtheit". Der Roman "Paula", aus Briefen an ihre 1992 verstorbene Tochter hervorgegangen, trug den Bonus autobiografischer Trauerarbeit. Nach überwundener Depression folgte "Aphrodite - Ein Fest der Sinne", ein Streifzug durch die Welt erotischer Stimulanzien.

In "Fortunas Tochter" und der Fortsetzung "Porträt in Sepia", der Geschichte einer anglo-chilenischen Immigrantin, reicherte Allende ihren Hauscocktail aus Liebe, Krieg und Abenteuer mit Stoff aus der amerikanischen Historie an. Im neuen Jahrtausend schob sie eine Jugendbuch-Trilogie ein, verfasste im Auftrag einer Filmproduktionsfirma einen "Zorro"-Roman, porträtierte ihre chilenische Heimat ("Mein erfundenes Land") und gewährte Einblick in ihr kalifornisches Privatleben unter dem Titel "Das Siegel der Tage".

Immer wieder aber kehrte sie zu ihren notorisch "rebellischen" Frauengestalten zurück, ob nun historisch verbürgt wie "Inés meines Herzens" oder erfunden und in Geschichtskulissen gestellt wie die Heldin des Haiti-Romans "Die Insel unter dem Meer". Und sie wird es ganz gewiss wieder tun, getreu ihrer Devise "Ein Buch zu schreiben, ist wie eine neue Liebe". Dass sie nun siebzig wird, macht ihr - obwohl sie nicht zu denen gehört, die das Altwerden beschönigen - unter den gegebenen Umständen wenig aus. Und Feministin, sagt sie, sei sie mehr denn je. Da kann man nur gratulieren.

© SZ vom 04.08.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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