Stimmungsbericht aus Irland:"Die Leute schämen sich"

Hoffentlich übernehmen uns die Deutschen: Auf mögliche Anleihen reagieren die Insulaner mit Katerstimmung und Galgenhumor. Denn die Unabhängigkeit ist Irlands heilige Kuh.

Hans-Peter Kunisch

Nein, der Galway Advertiser ist kein großes Nachrichtenmagazin, sondern ein Gratis-Anzeigenblatt, auf dessen Fotos knapp geschürzte Party-Schönheiten der kleinen westirischen Universitätsstadt mit neuen Turnhallen konkurrieren. Der Advertiser macht auf das Missmanagement der örtlichen Klinik aufmerksam und präsentiert das miserable Kinoprogramm. Doch zuweilen erinnert sich Redakteur Declan Varley an seinen einstigen Nebenberuf als Lokalromancier ("Nightmusic - Who Said There's No Evil on the Streets of Galway") und schreibt im Editorial schillernd-spöttische Stadtgeschichten, die es in sich haben. Wie im Vorfeld des ersten German Christmas Market in der Geschichte der irischen Republik, der am vergangenen Wochenende im Zentrum Galways eröffnet wurde. Direkt unter dem Bürofenster von Declan Varley.

Krise in Irland - Proteste

Krise in Irland: Demonstranten protestieren vor dem Regierungssitz in Dublin. Die Lage in Irland ist delikat - können deutsche Tugenden da helfen?

(Foto: dpa)

Also: "Hi ho, Hi ho, itzoff ze vork ve go." Die deutschen Zwerge mit der harten Aussprache waren früh dran, aber "es regnete in Strömen, so mussten sie ab und zu aufschauen beim Arbeiten, und man sah, dass das keine gewöhnlichen Buden-Baumeister waren." Wenn Sie glauben, dass die wieder gehen, warnte Varley, täuschen Sie sich nicht: "The German Market is here to stay." Seit Irland von deutscher Seite ausdrücklich Finanzhilfe angeboten wurde, dabei aber gleichzeitig von harten Bedingungen die Rede war, fühlt sich das Land überfordert. "Alle paar Jahrzehnte merken die Deutschen, dass sie die Rechnungen für irgendein unglückliches Land mitbezahlen und beschließen, einzumarschieren." Die Kanzlerin werde im Februar kommen.

Lili Marleen werde sie singen und den Chor einer Neuauflage von "Springtime fur Merkel and Germany" anführen.

Wäre der Weihnachtsmarkt, dessen Holzspielzeuge und Lebkuchenherzen am ersten Wochenende zu beeindruckendem Gedränge führten, in England stationiert, könnte man die Anspielung auf Mel Brooks lustigen Film The Producers und das darin enthaltene Musical Springtime for Hitler and Germany, das mit einer Lederhosen- und Dirndl-Parade eröffnet wird, dem üblichen German-Bashing zuordnen.

In Irland ist die Lage delikater. Gerade die England-Feindschaft der Nazis brachte viele irische Freunde ein. Zum Beispiel Lord Haw Haw, William Joyce, 1906 in New York geboren, dessen Eltern aus Galway stammen, das Varley Haw Haws "Heimatstadt" nennt. Den ganzen Krieg hindurch berichtete der Nazi-Propagandist Joyce mit Upper-Class-Akzent aus Hamburg für die englischsprachige Welt: "Germany calling."

Doch schon vorher war das deutsch-irische Verhältnis gut. W. B. Yeats und seine Mitstreiter aus der irischen Neuromantik, die im Zeichen der nationalen Erhebung stand, schwärmten von ihren deutschen Vorläufern. Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen Böll, die Aussteiger und Alternativtouristen. In den für Irland desaströsen achtziger Jahren hingegen war die prosperierende BRD eine der ersten Auswanderungsdestinationen.

Carmel Finnan, die am German Department des Mary Immaculate College von Limerick unterrichtet, meint, "damals konnte sich kaum einer leisten, die Uni-Abschlussfeier abzuwarten. Man machte die letzte Prüfung und stand am Hafen. Wer Glück hatte, schaffte es bis Amerika, die ärmsten Teufel mussten nach England und wer es wagte, ging nach Deutschland, um am Fließband zu arbeiten. Noch vor drei Jahren erntete ich mit diesen Geschichten an der Uni nur Spott. ,Das waren doch lauter Loser.' rief ein Student lachend. 'Wir sind eine andere Generation, wir nehmen unser Schicksal selbst in die Hand.'"

Die Unabhängigkeit, das ist Irlands heiligste Kuh. Nicht umsonst haben Taoiseach Cowen und sein Finanzminister Lenihan extrem lange gezögert, bis sie die Hilfe von IWF und Europäischer Zentralbank annahmen. Hart ist jetzt der Sturz aus einem goldenen Zeitalter, in dem Irland zum ersten Mal in der Geschichte nicht mehr als Armenhaus Europas galt, sondern plötzlich bewundertes Eldorado war.

Da nützt es nichts, dass die braven EU-Finanzexperten jetzt beteuern, dass Irland nicht Griechenland sei. Selbst der sonst eher biedere Irish Examiner brachte Ende letzter Woche auf seiner Titelseite eine historisch aufgemachte "Proclamation of Dependence", die die Unterwerfung ratifiziert: "Hiermit unterwerfen wir das Schicksal der Irischen Republik dem Schutz der höchsten Gottheit: dem Mammon. Unterzeichnet ist das Ganze "im Namen der Provisorischen Regierung der Europäischen Zentralbank".

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum Helden in Irland gerade Mangelware sind.

Deutsche Eigenschaften in Irland

Die Irish Times fragte tragischer mit Yeats: "Was it all for this?", und erinnerte an das Schicksal von Helden wie Padraig Pearse, die ihr Leben für die Unabhängigkeit opferten. Doch eines der Probleme, die Irland plagen, ist gerade, dass Helden derzeit nirgends zu sehen sind.

Im Süden von Limerick lebt der niederländisch-französische Historiker Jerôme Aan De Wiel, der sich an der Universität Cork mit irisch-ostdeutschen Beziehungen beschäftigt. "Die Stimmung ist furchtbar", meint er, "die Leute schämen sich, weil sie erkennen, dass ihre Spitzenpolitiker vielleicht zur Führung eines lokalen Getränkemarkts taugen, aber nicht zur Bewältigung internationaler Finanzprobleme, die von größenwahnsinnigen Bankmanagern angerichtet wurden."

Tatsächlich ist Brian Cowen, Spitzname Biffo ("Big Ignorant Fecker From Offaly"), ein typisches Ex-Landei, das den Parlamentssitz seines Vaters, eines Pubbesitzers im 3000-Einwohner-Städtchen Clara, mit 24 Jahren übernahm, als der Papa starb. Cowen kontert zwar gern, "Biffo" stehe für "Beautiful Intelligent Fellow From Offaly". Aber das nützt ihm nicht mehr viel. In einer Umfrage des Politikmagazins Frontline sprachen sich gerade mal 52 Prozent der Zuschauer für eine Regierung aus irischen Politikern aus - 48 Prozent meinten, die Herren vom IWF könnten das besser.

Größenwahnsinnige Bankmanager

Je länger die Krise dauert, desto seriöser werden die Stimmen, die sich von zeitweiliger "Fremdherrschaft" etwas versprechen. Colm Tóibín, einer der besten irischen Schriftsteller, erinnerte sich im Guardian an seine Zeit als Reporter in Argentinien, als er über das Verfahren gegen General Galtieri und seine für Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagten Kollegen berichten musste.

Mitte der achtziger Jahre sei er von einem Freund gebeten worden, zwei Amerikaner am Flughafen abzuholen. Einer war von der Weltbank, der andere vom IWF. Beide hätten sich fürchterlich aufgeregt, als sie auf dem Weg vom Flughafen einem Protestmarsch gegen Arbeitslosigkeit und Lohnkürzungen begegnet seien. Das sei "das Letzte", was Argentinien brauche. Das Land brauche jetzt eine Rosskur, es sei nicht nur bankrott, die ganze Struktur sei marode.

Toibin folgerte: Er wolle heute nichts mehr von"nationaler Souveränität" und "toten Helden" hören, obwohl sein Großvater 1916 mitgekämpft habe. Und wenn zur Wiederherstellung des Staates Anleihen bei Deutschland notwendig seien? Je mehr er sich dort aufhalte, desto mehr "bewundere" er das Land, ja er hoffe, "dass einige der besten deutschen Eigenschaften" den Weg nach Irland fänden.

In Galway brutzeln schon jetzt deutsche Würste im Herzen des Städtchens. Im mit "Bierkeller"-Lettern beschrifteten Zelt servieren bleiche irische Mädchen im Dirndl Maßkrüge. Und dann hört man Sätze wie: "Die Deutschen übernehmen uns." "Glaubst du, dass sie wirklich so dumm sind? Wenn sie's wirklich tun, gibt's wieder Hoffnung. Würde schließlich sonst keiner tun."

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