Irische Literatur:Belebende Wirkung eines Skeletts

Graham Norton ist eigentlich in Großbritannien ein bekannter Moderator und Comedian; mit "Ein irischer Dorfpolizist" hat er jetzt seinen ersten Roman und ein erstaunliches Debüt veröffentlicht.

Von Alexander Menden

Irische Literatur: Graham Norton: Ein irischer Dorfpolizist. Aus dem Englischen von Karolina Fell. Kindler Verlag, Hamburg 2017. 336 S., 19,95 Euro. E-Book 16,99 Euro.

Graham Norton: Ein irischer Dorfpolizist. Aus dem Englischen von Karolina Fell. Kindler Verlag, Hamburg 2017. 336 S., 19,95 Euro. E-Book 16,99 Euro.

Der deutsche Titel von Graham Nortons Roman "Ein irischer Dorfpolizist" erweckt den Eindruck, man habe es hier mit der irischen Version eines Eifelkrimis zu tun. Der Originaltitel "Holding", was sowohl "Bauernhof" als auch "Festhalten" bedeuten kann, ist vielschichtiger und passender. Obwohl die Geschichte keine wirkliche Zentralfigur hat, ist einer ihrer Protagonisten allerdings tatsächlich ein Dorfpolizist. Doch Sergeant Patrick Collins ist kein Held, auch kein Antiheld. Er ist nur ein sehr übergewichtiger Mann, der noch nie eine Freundin hatte, und der vor allem deshalb Polizist geworden ist, weil dieser Job die Distanz, die ohnehin zwischen ihm und seinen Mitmenschen herrscht, institutionalisiert und dadurch etwas erträglicher macht.

Collins hat sein ganzes Leben in Duneen verbracht, einem Kaff im südirischen County Cork, in dem die Zeit nicht vergeht, sondern versickert. Sergeant Collins erwartet nicht, jemals aus der ebenso bequemen wie leicht bedrückenden Einförmigkeit seiner Existenz gerissen zu werden. Doch dann entdecken Bauarbeiter bei Grabungen auf einer Farm ein menschliches Skelett, Duneen wird zum Tatort, und der Dorfpolizist unverhofft zum Ermittler.

Bisher fiel Graham Norton nicht mit literarischen Ambitionen auf. Der gebürtige Ire war ein Star der britischen Stand-up-Comedy-Szene und wurde als der hyperaktive katholische Priester Father Furlong in der Sitcom "Father Ted" bekannt, bevor er eine eigene BBC-Chatshow bekam und britischer Kommentator des Eurovision Song Contest wurde. Eine beeindruckende Entertainment-Karriere, aber keine, die den Leser auf die Art von Roman vorbereitet, mit der Norton sein Debüt als Autor gibt.

Leseprobe

Die Entdeckung der Knochen setzt in Duneen Ereignisse in Gang, die die Erstarrung im Leben vieler im Ort zu lösen beginnen. Vor allem bei Evelyn Ross und Brid Riordan werden alte Wunden wieder aufgerissen: Beide liebten vor Jahren denselben Mann, Brid hatte er die Ehe versprochen, aber Evelyn schien er mehr zugetan zu sein. Die beiden Frauen prügelten sich auf der Straße um ihn, er verschwand über Nacht, und seitdem sind sie einander in gegenseitigem Abscheu verbunden. Evelyn lebt mit ihren beiden ebenfalls ledigen Schwestern auf einem vom Vater geerbten Anwesen, Brid ist verheiratet und hat Kinder, ihre Trinksucht läuft aus dem Ruder - glücklich ist keine von beiden. Die verhuschte Mrs Meany schleppt ihrerseits ein Jahrzehnte altes Geheimnis mit sich herum, das der Leichenfund in ihrem Bewusstsein an die Oberfläche spült.

Wie man eine gute Sexszene schreibt? Indem man die Unbeholfenheit nicht verhehlt

Nortons Erzählung ist weniger an der Klärung eines Verbrechens interessiert, als an Menschen - keiner von ihnen jung -, die gelernt hatten, mit der Ereignislosigkeit ihres Lebens umzugehen. Diese Menschen müssen sich nun der Erkenntnis stellen, dass sie, durch die Umstände, aber auch durch eigene Verkorkstheiten behindert, nichts von dem erreicht haben, was sie sich in ihrer Jugend erhofft hatten. Norton stellt keinen seiner Charaktere bloß. Er behandelt alle, selbst den zunächst arrogant wirkenden Superintendenten Linus Dunne aus der Polizeizentrale in Cork, mit Zuneigung und Empathie. Das zeigt sich besonders in einer Sexszene (immer eine Nagelprobe selbst für erfahren Autoren), bei der er den einfachen Ausweg in die Lächerlichkeit vermeidet und den Akt stattdessen in seiner unbeholfenen Intimität vollkommen authentisch erscheinen lässt.

Graham Norton ist ein erstaunlich reifes Debüt gelungen. Er meidet die übliche irische Folklore. Er meidet die wohlfeile Komik. Stattdessen hat er eine von Melancholie durchzogene Betrachtung einer Provinzgemeinschaft vorgelegt, die geprägt ist durch verpasste Gelegenheiten, verkürzte Lebens- und unerfüllte Liebesgeschichten. Eine Dramödie, die sich auf einem schmalen Grat zwischen Humor und Düsternis bewegt, und der es gelingt, die Balance zu halten und nie auf die eine oder andere Seite zu kippen. Eine stimmungsvolle Verfilmung durch Nortons Arbeitgeber, die BBC, dürfte nur eine Frage der Zeit sein.

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