Iran:Hinterm Vorhang

Die iranischen Machthaber wollen das Couchsurfen unterbinden. Damit Reisende nicht zu viel von den Zuständen mitkriegen und Gastgeber nicht zu viel von der Freiheit erahnen. Über ein Land im Schwebezustand.

Von Monika Maier-Albang

Ein Blick aufs Cover, und man ist skeptisch. Da liegt der Autor auf einem Bett, das Bett steht auf der Ladefläche eines Trucks, darüber hebt sich der rote Halbmond. Ist das wieder so ein krampfhaft auf jugendlich machendes Buch, noch eins über Couchsurfing im Irgendwo? Und hatte da jemand nur das Glück, zum richtigen Zeitpunkt das richtige Land bereist zu haben? Iran in diesem Fall, das seit dem Regierungswechsel derart viele Gäste aus dem Westen anlockt, dass sich Reiseveranstalter schwertun, Hotelbetten zu finden.

Nein, war kein Glück. War Können. Stephan Orth ist mit "Couchsurfing im Iran" ein wunderbares Buch über dieses Land im Schwebezustand gelungen. Glück hat nur der Leser, weil hier ein guter Journalist schreibt, der die Reiseform nicht wählt, weil man damit billig unterkommt. Sondern weil sie Begegnungen ermöglicht, die ein in der Gruppe Reisender nie haben wird. Schon gar nicht in Iran, wo der Übergang von der Begleitung zur Überwachung von Touristen fließend ist. Das Buch hat nur eine unangenehme Nebenwirkung: Es ruft beim Nicht-Couchsurfer Neid hervor.

Iran: Stephan Orth kommt den Iranern auch in der Öffentlichkeit nahe, zum Beispiel vor der Jame-Moschee in Yazd.

Stephan Orth kommt den Iranern auch in der Öffentlichkeit nahe, zum Beispiel vor der Jame-Moschee in Yazd.

(Foto: Orth)

Stephan Orth reist allein, meist jedenfalls. Ein paar Tage lang begleitet ihn seine Schein-Ehefrau, eine Bekannte aus Hamburg mit iranischen Wurzeln. In Iran kennt der 35-Jährige nur seine erste Anlaufstelle, Yasmin in Teheran; er war schon einmal bei ihr. Danach lässt er sich durchs Land treiben: von Teheran nach Bam, von Marivan nach Maschhad. Immer dorthin, wo gerade ein Bett frei wird. Das kann schon mal in einem Haus stehen, von dem aus man freien Blick auf das umstrittene Atomkraftwerk Buschir hat, an einem Ort also, an dem das Regime Ausländer nicht gern sieht. Dass die Machthaber diese Reiseform unterbinden wollen, liegt aber nicht nur daran, dass der Reisende zu viel vom Land mitbekommen kann. Gefährlicher ist fürs Regime, dass der Gastgeber zu viel von der Freiheit erahnt, die für die Besucher selbstverständlich ist. Orths Couchsurfing-Partner ziehen die Vorhänge zu, sobald er da ist. Der Nachbarn wegen.

Ein Reiseführer ist dieses Buch nicht. Orth streift Moscheen, Felsreliefs und Feuertürme in Halbsätzen. Das Buch ist ein Reisebegleiter, besser noch: ein Reisevorbereiter. Es hilft, das Land in seiner Vielschichtigkeit zu verstehen. Orth ist auf der Ferieninsel Kisch, dem trubeligen Ablenkungsort der Iraner. Und in Fatholmobin, wo die Besucher auf Trampelpfaden durch die einstigen Schlachtfelder des Iran-Irak-Kriegs geführt werden. 3,5 Millionen Iraner besuchten 2013 diese Pilgerstätte des Krieges, schreibt Orth, und er kann das Schwere behände erzählen: "Sieben Tage Patriotismus-Kaffeefahrt für fünf Euro, all-inclusive, ein unschlagbares Angebot."

Iran: Nächte in fremden Jugendzimmern: Stephan Orth ist zu Gast in Privatwohnungen.

Nächte in fremden Jugendzimmern: Stephan Orth ist zu Gast in Privatwohnungen.

(Foto: Orth)

Bikiniparty, Saufgelage, Sado-Maso-Treffen, Fahrt im Schmuggler-Auto. Alles abenteuerlich. Stephan Orths Buch ist trotzdem kein Roadmovie, in dem der Reisende seine Freiheit in einem spannenden Land sucht. Orth teilt den Alltag seiner Gastgeber, angelt, isst mit ihnen auf dem mit Plastikfolie überzogenen Teppich. Schöne Momente der Intimität sind das. So werden seine Gastgeber greifbar: neugierige, selbstbewusste Menschen. Dass er nur einen Teil der Gesellschaft abbildet, weiß Orth selbst. Er übernachtet bei den Gebildeten, die sich im Internet zurechtfinden, Englisch sprechen - und die so mutig sind, ihn aufzunehmen. Die Konservativen und die einfachen Leute erreicht man so nicht. Sie staunen eher über den Fremden. Aber das wird sich bald ändern, wie überall, wo ganz viele ganz individuell ein Land entdecken wollen. Die Begegnungen von Gästen und Gastgebern werden entspannter, alles wird selbstverständlicher. Was Iran betrifft, kann das nur gut sein.

Stephan Orth: Couchsurfing im Iran. Piper Verlag, München 2015. 239 Seiten, 14,99 Euro.

Iran: Stephan Orth in Hajij.

Stephan Orth in Hajij.

(Foto: Orth)
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