Interview: Regisseur Wes Anderson:Der Herr der Dinge

"Es muss einfach so sein": Der texanische Regisseur Wes Anderson über die Lust am Detail in seinem Film "The Royal Tenenbaums"

Er hat bisher drei Filme gedreht - aber erst der dritte, "The Royal Tenenbaums", hat hierzulande die Chance auf ein größeres Publikum. Dennoch hat der Texaner Wes Anderson, 32, bereits eingeschworene Fans, die ganze Sequenzen aus seinen Werken "Bottle Rocket" und "Rushmore" zitieren können. Man trifft bei ihm immer wieder dieselben Gesichter - wie jenen greisen Yogalehrer aus Dallas, der in allen Filmen kleine Rollen hat, todtraurig in die Kamera schaut und gerade deshalb unverzichtbar ist. Man ahnt auch, dass jedes Anderson-Detail tiefe Bedeutung hat - vom knallroten Adidas- Trainingsanzug über das Lacoste-Strickkleid bis zum Namen Tenenbaum, der einem Schulfreund gehört. Vor allem aber empfindet man in diesen Filmen ein Glück, das sich hinterher kaum erklären lässt. Liegt es daran, dass die Figuren so seltsam und einzigartig sind? Oder ist es das Bewusstsein, einem begnadeten Erzähler zu lauschen, der sich dennoch äußerst bedeckt hält? Anderson selbst entspricht diesem Gefühl: Reserviert, brillant, schlaksig, sehr höflich. Ein Gespräch mit ihm gleicht dem Eintauchen in eine private Parallelwelt.

Interview: Regisseur Wes Anderson: "Wes, du bist pervers."

"Wes, du bist pervers."

(Foto: SZ v. 13.02.2002)

SZ: All die Dinge, die bei Ihnen motivisch immer wieder auftauchen, Menschen, Sätze, Songs, Bilder - sind Sie ein Sammler, der immer sofort sagen kann, was in seine Kollektion gehört?

Anderson: Ja, absolut. Viele Elemente in meinen Filmen sind Fundstücke, die in einer bestimmten Weise zusammengesetzt werden. Andere habe ich nur im Kopf, die müssen dann hergestellt werden. Eine nebensächliche Requisite, die nur für mich gebaut wird - das kann mir gute Laune machen. Zum Beispiel dieses Bild, das im Haus der Tenenbaums hängt. Man sieht es nur ein einziges Mal: Es zeigt die Mutter des Patriarchen als Krankenschwester im Ersten Weltkrieg. Gott weiß, warum - die Idee, dass eine "War Nurse" über diesen Haushalt präsidiert, hat mir wahnsinnig gut gefallen.

SZ: Weitere Erklärungen gibt es nicht?

Anderson : Nein. Es muss einfach so sein. Nehmen Sie die Sequenz, in der Eli Cash, der postmoderne Westernschriftsteller, vollgedröhnt mit Meskalin auf seiner Couch hängt. Diese Szene hatte ich schon sehr früh. Dann kam in meinem Kopf die Musik dazu, Eric Satie, sehr getragen. Und dann entdeckte ich ein wahnsinniges Bild in einer Galerie, "Bad Route" von Miguel Calderón: fünf halb nackte Männer auf Motorrädern, die fratzenhafte Monstermasken aufhaben und die Hände wie Teufelskrallen hochreißen. Das habe ich gekauft, das musste bei Eli Cash an der Wand hängen. Warum? Nun ja, es funktioniert beinah wie eine dieser Comic-Gedankenblasen, man kann in seinen Kopf hineinschauen. Im Kino ein Moment von wenigen Sekunden - aber nur so funktioniert es.

SZ: Nach drei Filmen werden wiederkehrende Motive erkennbar. Ein sehr starkes Gefühl zum Beispiel: Figuren, die irgendwo dazugehören möchten, wo sie eigentlich nichts zu suchen haben.

Anderson: Das schleicht sich so ein. Die Helden von "Bottle Rocket" möchten zur Gangsterszene gehören, sind aber nur Mittelklasse- Jungs mit Egoproblemen. Max Fischer möchte in der Eliteschule "Rushmore" dazugehören - obwohl er nur der Sohn eines Friseurs ist und schlechte Noten hat. Im neuen Film ist es der alte Royal Tenenbaum, der seine Familie verlassen hat, sich jetzt aber plötzlich zurücksehnt und sogar vortäuscht, todkrank zu sein, um wieder Aufnahme zu finden. Nach dem Schreiben merke ich oft, dass ich von Leuten erzählt habe, die ich kenne. Und das ist der Punkt, wo eine Geschichte anfängt, mir wirklich etwas zu bedeuten.

SZ: Diese Figuren sind eigentlich Versager, legen aber oft bravouröse Auftritte hin und haben ein nahezu absurdes Selbstbewusstsein. Wie kommt das?

Anderson: Menschen, die sich mit voller Kraft irgendwo reinstürzen, die bereit sind, sich lächerlich zu machen, die etwas Großes wagen und das Scheitern in Kauf nehmen - die gefallen mir. Außerdem gefällt es mir, das Scheitern zu beobachten. Aber warum das immer wieder auftaucht? Es passiert einfach.

SZ: Hatten Sie dasselbe Gefühl, als Sie im Filmgeschäft anfingen?

Anderson: In der Tat! Ich war nie wieder so selbstbewusst wie am ersten Drehtag meines ersten Films. Wo immer das herkam - es konnte nichts mit Erfahrung zu tun haben. Erst jetzt merke ich, wie viel eigentlich schief gehen kann ...

SZ: Max Fischer ist nebenbei ein Geschichtenerzähler, der dauernd selbst geschriebene Theaterstücke inszeniert. Ein Selbstporträt?

Anderson: Ja, eine Show zu machen, das war früher mein Ding. Ich wollte das Publikum packen, die Massen begeistern, der große Effekt - das war mein Ziel. Ich war allerdings noch sehr jung damals. Andere bleiben ihr Leben lang in dieser Phase ...

SZ: Heute dagegen spielen Sie die wichtigsten Dinge so herunter, dass nur aufmerksame Zuschauer folgen können.

Anderson: Offensichtlich. Polly Platt, die Exfrau von Peter Bogdanovich und eine echte Veteranin im Filmgeschäft, war eine der Produzentinnen meines ersten Films. Sie hat mich beobachtet, wie ich die Dinge erzähle, und dann zu mir gesagt: Wes, du bist pervers. Was sie meinte, sieht man in "Rushmore": Max Fischer hat seine Mutter verloren, und die junge Lehrerin, die er verführen will, hat ihren Mann verloren. Das ist das emotionale Rückgrat des Films - aber das lasse ich nur ganz nebenbei einfließen. An der Oberfläche verbringe ich mehr Zeit damit, über die Bienenzucht oder so zu philosophieren. Polly fand das pervers, aber doch irgendwie aufregend. Ich weiß auch nicht, warum ich das so mache. Irgendwie denke ich: Jeder Zuschauer, der solche Hinweise versteht, der gehört mir dann auch ganz.

SZ: Das traurigste Thema in den "Tenenbaums" ist der frühe Erfolg der Sippe, der später in Depressionen endet. Sie werden in Amerika groß gefeiert - fürchten Sie, dass es bald bergab geht?

Anderson: Tja. Man braucht eigentlich nur ein Filmlexikon durchzublättern. Jeder Regisseur, wirklich jeder, ist irgendwann nicht mehr auf der Höhe seines Schaffens, sondern im Gegenteil: ganz unten. Dreht grauenhafte Filme und denkt trotzdem, er sei noch so gut wie früher. Spielberg vielleicht ausgenommen. Und Kubrick auch nicht, weil der immer so lange gewartet hat, bis jeder Film ein Ereignis wurde. Aber die anderen .. .

SZ: Werden Sie merken, wenn es soweit ist?

Anderson: Wahrscheinlich nicht. Man kann es nicht merken. Und das ist ein Aspekt des Filmemachens, den ich schon beängstigend finde.

Interview: Tobias Kniebe

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