Interview:Nicht schön, aber man schaut hin

Kai Niemann

"Dass der Künstler keinerlei Handhabe hätte, stimmt so nicht", sagt der auf Medienrecht spezialisierte Anwalt Konstantin Wegner, 45, aus München.

(Foto: Privat)

Ein Song des Sängers Kai Niemann wird auf Pegida-Veranstaltungen gespielt. Er magf das nicht. Können sich Musiker nicht wehren, wenn Extremisten ihre Songs verwenden? Und ob sie das können, sagt ein Experte.

Interview von Alex Rühle

Der Musiker Kai Niemann schrieb 2009 den Song "Wir sind das Volk", der mittlerweile oft bei Veranstaltungen von NPD und Pegida gespielt wird. Niemann behagt das gar nicht, er sagt, er sei aber dagegen relativ machtlos. Grund genug, einen Fachmann zu fragen, welche Rechte man als Musiker in solchen Fällen hat: Konstantin Wegner ist ein auf Medienrecht spezialisierter Anwalt aus München.

SZ: Kai Niemann sagte gerade in einem Interview, seine rechtliche Handhabe sei gering. "Wenn jemand bei einer genehmigten öffentlichen Veranstaltung Musik spielt, kann man das nicht verhindern. Der Veranstalter muss nur die Musik anmelden und Gebühren an die Gema bezahlen." Ist man als Musiker tatsächlich so wehrlos?

Konstantin Wegner: Was richtig ist: Die Gema hat einen sogenannten Abschlusszwang. Sie muss, wenn Pegida den Antrag stellt, den Song bei einer öffentlich angemeldeten Veranstaltungen zu spielen, ihr die Lizenz geben. Die Gema kann da also nichts machen. Er selbst aber durchaus.

Und zwar was?

Es gibt das Urheberpersönlichkeitsrecht. Das beinhaltet auch das sogenannte Entstellungsverbot. Die Frage, ob ein entstellender Eingriff vorliegt, wird in drei Phasen geprüft: Ist es überhaupt ein Eingriff? Eignet sich dieser Eingriff, die Interessen des Urhebers zu gefährden? Zuletzt erfolgt eine allgemeine Interessenabwägung.

Es findet aber ja kein Eingriff in das Werk statt, Pegida spielt den Song nur bei Kundgebungen ab und stellt ihn dadurch in einen anderen Kontext.

Deshalb unterscheidet man den direkten und den indirekten Eingriff. Direkt heißt, dass ich ein Werk verändere. Indirekt heißt, dass ich das Werk in einen Kontext stelle, in dem es in den Augen des Urhebers nichts verloren hat. Die Springtoifel-Entscheidung ist ein gutes Beispiel.

Was ist das denn?

Die Band Springtoifel hat 1992 einen Prozess gegen ein Label geführt, das zwei ihrer Songs ohne ihr Wissen für einen Sampler benutzt hatte, auf dem auch neonazistische Bands vertreten waren. Das Oberlandesgericht Frankfurt urteilte, das sei ein indirekter Eingriff in das Werk der Band. Das wurde zur Musterentscheidung für entsprechende Fälle. Natürlich ist es nicht immer eindeutig, ob es ein schwerwiegender Eingriff ist, aber dass Niemann keine Handhabe hätte, stimmt so nicht, wenn's ihm ernst damit ist, könnte er es versuchen.

Die Band Wir sind Helden hat einen Prozess gegen die NPD gewonnen, die mit deren Titel "Gekommen um zu bleiben" geworben hatte.

Ja, und Thilo Sarrazin erwirkte eine einstweilige Verfügung gegen die NPD, als die mit einem Zitat aus seinem Buch auf Postkarten geworben hat. Da ging es nicht um das Urheberrecht, sondern um das allgemeine Persönlichkeitsrecht, aber er hat sich auch erfolgreich gegen politische Vereinnahmung gewehrt.

Und warum geht es bei einem zitierten Satz nicht um das Urheberrecht?

Der Satz war ganz kurz: "Ich möchte nicht, dass wir zu Fremden im eigenen Land werden." Die Aussage alleine ist sicherlich noch nicht urheberrechtlich geschützt. Aber sein Anwalt argumentierte, mit der Postkarte werde suggeriert, dass Sarrazin mit der NPD einverstanden sei. Er sei aber SPD-Mitglied und habe sich im Buch gegen Rechtsradikalismus ausgesprochen.

Als die CDU-Spitze nach dem Wahlsieg 2013 "An Tagen wie diesen" von den Toten Hosen anstimmte, verteidigte Volker Kauder dies mit dem Argument, man habe den Song nicht als Wahlkämpfer gesungen, sondern als Wahlsieger.

Ist vielleicht schlagfertig, aber vollkommen irrelevant. Sie haben ihn als Partei auf einer Veranstaltung benutzt.

Die Toten Hosen sagten damals, sie kämen sich vor wie Zeugen eines Autounfalls: nicht schön, aber man schaut trotzdem hin - und man kann im Nachhinein nichts dagegen tun. Hätte da nicht auch der Entstellungsvorwurf gegriffen?

Einerseits ja. Andererseits wird das bei einer Partei der politischen Mitte, die nicht verfassungsfeindlich ist, schwieriger. Die Begründung, dass dem Künstler Angela Merkel nicht passt, reicht alleine nicht. Es muss schon ein gravierend anderer Kontext sein, in dem das Lied gespielt wird.

In den USA untersagen bei jeder Wahl neue Popstars den Republikanern, ihre Songs zu benutzen. Berufen die sich auch auf das Entstellungsverbot?

Nein. Amerika hat ein sehr viel ökonomischeres Verständnis des Urheberrechts und sieht es mehr als Wirtschaftsgut. Die Urheberpersönlichkeitsrechte sind schwächer ausgeprägt. Dafür kann aber vereinfacht gesprochen der Musiker in den USA die Aufführung aufgrund seiner Verwertungsrechte verbieten lassen, während das in Deutschland aufgrund des Abschlusszwangs der Gema so nicht möglich ist.

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