Interview nach dem Spielberg-Deal mit EA:Das Abenteuer, Mensch zu sein

Steven Spielberg tut sich mit dem Computerspiel-Hersteller Electronic Arts zusammen: Er will gemeinsam mit dem Branchenriesen drei völlig neue Projekte verwirklichen. Wir fragten den Chefentwickler der in Kalifornien ansässigen Firma, Neil Young, was, bitte, man sich darunter vorzustellen habe. Es wurde zur Lehrstunde in Sachen Spiel- und Schauspieltheorie.

Bernd Graff

Der Regisseur und Oscar-Preisträger Steven Spielberg hat in der letzten Woche erklärt, dass er künftig ein Büro bei einem der führenden Produzenten von Computerspielen beziehen werde. Das Unternehmen "Electronic Arts" (EA) hat im letzten Fiskal-Jahr einen Umsatz von 3,1 Milliarden Dollar erwirtschaftet, und zwar ausschließlich mit Computerspielen. Spielberg plane eine längerfristige Kooperation, hieß es. Von zunächst drei Projekten ist die Rede. Wir fragten bei EA nach, wie es zu dieser Verbindung kam, und sprachen mit dem Chef-Entwickler des in Kalifornien ansässigen Unternehmens, einem Mann mit tadellosem britischen Akzent, der auf den erstaunlichen Namen Neil Young hört.

Interview nach dem Spielberg-Deal mit EA: "Mein Instinkt sagt mir, dass das Narrativ unseres Mediums viel mehr mit der Auffassung und dem Verständnis zu tun hat, die ein Schauspieler von der Konstitution seiner Rolle hat, als damit, wie diese Rolle vom Publikum aufgefasst und begriffen wird."Szene aus dem Spielberg-Film "A.I. - Artificial Intelligence" aus dem Jahr 2001

"Mein Instinkt sagt mir, dass das Narrativ unseres Mediums viel mehr mit der Auffassung und dem Verständnis zu tun hat, die ein Schauspieler von der Konstitution seiner Rolle hat, als damit, wie diese Rolle vom Publikum aufgefasst und begriffen wird."

Szene aus dem Spielberg-Film "A.I. - Artificial Intelligence" aus dem Jahr 2001

SZ: Wie kam es zu der Vereinbarung zwischen Ihnen und Steven Spielberg?

Neil Young: Das hat sich nicht kurzfristig ergeben, sondern über Jahre entwickelt. Spielberg ist ein leidenschaftlicher "Gamer". Er besaß sogar neben seiner Filmproduktionsfirma "DreamWorks"selbst einmal ein Spiele-Studio, "DreamWorks Interactive." Das haben wir vor einigen Jahren gekauft. Wir kennen uns also schon lange.

SZ: Wie müssen wir uns die Kooperation zwischen Ihnen vorstellen. Ist Steven Spielberg nun ein bezahlter Berater oder gar ein Angestellter Ihres Hauses?

Young: Wir unterhalten eine reguläre Geschäftsbeziehung zwischen gleichberechtigten Partnern.

SZ: Noch einmal: Welchen Status hat Steven Spielberg und wem werden die gemeinsam produzierten Spiele anschließend gehören: Spielberg oder EA?

Young: Man muss sich Steven in der Rolle des Produzenten vorstellen. Wie im Film. EA hält den intellektuellen Besitz, und Steven hat das Erstrecht, die gemeinsam erarbeiteten Produkte für Filme und TV-Serien zu verwerten.

SZ: Also wird Spielberg nicht lediglich seinen Namen hergeben für künftige "Spiele zum Film", sondern wird mit Ihnen an neuen Projekten arbeiten?

Young: Genau. Es werden völlig neue Spiele entstehen.

SZ: Spielberg steht für so unterschiedliche Filme wie "Jurassic Park", "Saving Private Ryan", "Artificial Intelligence" und "Schindlers Liste". Welchem Genre wird man die neuen Spiele zurechnen?

Young: Wir haben noch nicht alle drei Projekte besprochen, lediglich eines skizziert - und dazu werden wir noch nichts sagen. Nur so viel: Unser Ziel ist es, den Spieler nicht bloß durch Action zu fesseln, sondern ihn auch emotional in das Spiel einzubinden. Wir arbeiten also daran, ein überzeugendes Narrativ zu entwickeln, um dem Spieler Erfahrungen zu ermöglichen, die ihn berühren. Also an: Guten Spielen mit großen Geschichten.

SZ: Zur Zeit erleben wir, dass viele aktuelle Spiele sich an der Bildsprache des Kinos orientieren, etwa in Schnitten, Cut-Scenes und Close-Ups, um die Emotionen des Spielers zu wecken. Werden Sie in Zusammenarbeit mit Spielberg, dem berühmten Filmregisseur, also verstärkt auf diese Mittel setzen wollen?

Young: Nein, überhaupt nicht. Unser Medium verlangt nach seiner ganz eigenen Sprache. Natürlich übernimmt es Tricks und Techniken von anderen, längst etablierten Medien. Das ist auch normal. Das Spiel macht Anleihen beim Film, der Film beim Theater. Das Theater bei der Literatur. Trotzdem müssen wir uns jetzt auf die Besonderheit unseres Mediums konzentrieren. Wir müssen uns fragen: Wie muss man eine Story aufziehen, wenn sie erst in der Interaktion durch den Spieler entsteht? Es geht also um das Problem der Verbindung zwischen dem technischen Vollzug von Spielerhandlung und dem Fortgang der Geschichte. In der Lösung dieses Problems steckt so etwas wie der "Citizen Kane"-Augenblick unserer Branche: Wir warten auf den Meilenstein in der Entwicklung unseres Mediums. Hier wird unsere Arbeit mit Steven ansetzen. Unser Ziel wird es also nicht sein, Spiele den Filmen noch ähnlicher zu machen. Das lohnte die Mühe nicht.

Das Abenteuer, Mensch zu sein

SZ: Von diesem "Citizen Kane"-Moment sind die Spiele noch weit entfernt. Die Bilder sind zwar oft schon beeindruckend, aber man muss seinen Helden ja eben steuern. Und die Interaktion wirkt oft noch so, als ob man während des Geschlechtsverkehrs um eine Steuererklärung gebeten würde. Es fehlt der "human touch", wenn man die mutmaßliche Identifikationsfigur wie beim Auto-Scooter durchs Geschehen navigieren muss. Wie wollen Sie damit eine leidenschaftliche Szene aufbauen und durchhalten?

Interview nach dem Spielberg-Deal mit EA: Unser Gesprächspartner Neil Young von EA

Unser Gesprächspartner Neil Young von EA

Young: Sie verwechseln "Story" mit "Narrativ". Story ist so etwas wie ein Bild, das übermittelt wird und im Spielverlauf allmählich scharf wird. Narrativ dagegen ist allmähliche Progression, das Voranschreiten in plausiblen Schritten ohne ein solches Phantasma. Wenn Spiele sich zu stark auf die Story-Linie begeben, dann haben wir es mit Plot getriebenen Handlungsanweisungen zu tun, die uns überwältigen. Es entsteht dann keine Atmosphäre, die sich menschlich anfühlt. Natürlich muss man sich fragen, wie man eine perfekte Story erzählt. Aber "Realismus" und "Authentizität" entstehen anders. Sie verdanken sich der Darstellung und Performanz der Charaktere. Damit sind durchaus nicht nur die Charaktere gemeint, denen ein Spieler im Spiel begegnet. Nein, das meint vor allem den Charakter, den der Spieler selber darstellt. Also die eigene Rolle im Spiel. Mein Instinkt sagt mir, dass das Narrativ unseres Mediums viel mehr mit der Auffassung und dem Verständnis zu tun hat, die ein Schauspieler von der Konstitution seiner Rolle hat, als damit, wie diese Rolle vom Publikum aufgefasst und begriffen wird.

SZ: Glauben Sie tatsächlich, dass der Computerspieler dem Schauspieler näher ist als dem Zuschauer?

Young: Ja, das denke ich. Theater ist ein dynamisches Interagieren der Schauspieler auf einer Bühne. Das kann man so auch auf das Spiel übertragen. Spieler agieren auf einer Bühne. Denken Sie sich selbst als einen Schauspieler! Sie erleben ja denselben Typus von Unmittelbarkeit: Sie müssen im Vollzug des Spiels in einer künstlichen Umwelt plausibel auf ihre Mitspieler, reale oder künstliche, reagieren und eingehen.

SZ: Dann wäre Steven Spielberg als Spiele-Produzent ja so etwas wie unser aller Regisseur, jedenfalls, wenn wir seine Spiele spielen?

Young: Nein. Er teilt nur unsere Sehnsucht, endlich dieses Narrativ-Problem zu lösen. Er will das erste "große" Spiel sehen und glaubt, dass wir die erste Generation sein könnten, die es spielen wird.

SZ: Kommen Sie! In welcher Richtung suchen Sie denn jetzt nach diesem ersten "großen" Spiel?

Young: Es wird natürlich um das Narrativ gehen, also um die Konstituierung von authentischen Charakteren. Wenn uns das gelingt, haben wir das Genre des Abenteuer-Spiels neu erfunden.

SZ: Aber es gibt doch schon so viele Adventure Games.

Young: Sie meinen Action-Games. Doch denen fehlen Tempo und Timing eines echten Abenteuers. Ich spreche auch nicht von überwältigenden Effekten und atemloser Spannung. Ich meine das menschliche Abenteuer. Das Abenteuer, Mensch zu sein. Die Reise jenes Helden, den jeder von uns in sich fühlt. Denken Sie an Spielbergs Werk! Er hat uns solche menschlichen Abenteuer gezeigt, ganz gleich, ob sie ein Soldat, ein Alien oder eine künstliche Intelligenz erlebte. Bislang haben wir ihnen nur zugeschaut. Doch unser Medium erlaubt es, sich die Schuhe eines solchen Helden anzuziehen. Rechnen Sie damit!

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