Interview mit Volker Schlöndorff:"Ich war ein Kofferträger"

Für Ideologien sei er nie anfällig gewesen, sagt Volker Schlöndorff. Aber er habe Ungerechtigkeiten beseitigen und rebellischen Naturen helfen wollen. Er spricht über Gefängnisbesuche bei RAF-Mitgliedern, Böll und Merkel.

Willi Winkler

Volker Schlöndorff wohnt am südwestlichen Stadtrand von Berlin am märchenhaft berlinfernen Griebnitzsee. Es ist später Nachmittag, und wir haben Zeit, bis seine Frau und seine Tochter zurückkommen. Zwischendurch ruft die Regisseurin Margarethe von Trotta an, mit der Schlöndorff bis 1991 verheiratet war. "Ich bin in einem frauenlosen Haushalt aufgewachsen", sagt er, kocht ein Ad-hoc-Risotto mit Steinpilzen und Pfifferlingen und springt beim Umrühren munter zwischen dem Herbst 1977 und Kasachstan 2006 hin und her, wo er seinen jüngsten Film "Ulzhan" gedreht hat.

Interview mit Volker Schlöndorff: Volker Schlöndorff wurde häufig vorgeworfen, dass er sich für RAF-Gefangene einsetzte. "Nur weil man sich für bessere Haftbedingungen einsetzt, ist das noch kein Grund, jemanden zu diffamieren", sagt der 68-Jährige.

Volker Schlöndorff wurde häufig vorgeworfen, dass er sich für RAF-Gefangene einsetzte. "Nur weil man sich für bessere Haftbedingungen einsetzt, ist das noch kein Grund, jemanden zu diffamieren", sagt der 68-Jährige.

(Foto: Foto: dpa)

SZ: Herr Schlöndorff, was ist ein Sympathisant?

Volker Schlöndorff: Das Erste, was mir dazu einfällt, ist Heinrich Böll. Ich weiß gar nicht, ob das Wort nicht überhaupt mit ihm in den Sprachgebrauch eingeführt wurde. Er wurde nicht nur Sympathisant genannt, sondern "geistiger Vater der Gewalt".

SZ: Bei Ihnen war es ein Schimpfwort. Sie galten viele Jahre als "Sympathisant" des Terrors.

Schlöndorff: Ich war ein Kofferträger, allerdings nicht für die RAF, sondern viel früher für die algerische Befreiungsbewegung. Warum macht man so was? Das hat nichts mit politischem Bewusstsein zu tun. Zu meinem Charakterbild gehört nun mal, dass ich mich immer empört habe, wenn ich irgendwo eine Ungerechtigkeit gerochen habe. Ich betrachte es nicht unbedingt als einen angenehmen Charakterzug, denn erstens bringt einem das Ärger ein, und dann ist man oft aus "Mitleid" - was ja die wörtliche Übersetzung von Sympathie ist - unvernünftig. Zunächst aber ist da der Impuls, den Schwächeren zu helfen. Oder noch pubertärer ausgedrückt: dass man den Rebellischen helfen will.

SZ: Und es deshalb mit den reinen Helden hält.

Schlöndorff: Auch wenn sie in diesem Fall ziemlich unrein sind. Aber wie Friedrich Schiller sympathisiert man eher mit den "Räubern". Ich kam 1956, mit siebzehn, als Austauschschüler nach Paris. Da konnte ich sehen, wie paramilitärische Einheiten jeden Abend direkt hinter unserem Lyzeum mit Maschinenpistolen bewaffnet Razzien veranstalteten. Mitten in Paris, der Stadt der Liebe.

SZ: Richtig mit Maschinenpistolen?

Schlöndorff: Ja, die standen bei uns unter dem Schlafsaal an der Seine. Und wir wussten auch, wie da durchgegriffen wurde. Es gibt ja den berüchtigten Fall, als sechzehn Leichen in der Seine schwammen. Als Ausländer musste ich mich einmal im Jahr im Innenhof der Polizeipräfektur in einer dreihundert Meter langen Schlange anstellen, um meine Aufenthaltsgenehmigung verlängert zu bekommen. Da hatte man viel Zeit für Beobachtungen - und um die Gespräche der Marokkaner, Algerier und Tunesier zu verfolgen. Das war ganz schlicht Sympathie für die algerische Unabhängigkeitsbewegung. In der Schule habe ich dann das Buch "Die Folter" von Henri Alleg verkauft, das in Frankreich verboten war. Meinen ersten Kurzfilm habe ich über zwei Algerier in Frankfurt gedreht, auf die die Geheimorganisation "Rote Hand" Jagd macht.

SZ: Als Beate Klarsfeld 1968 den Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger ohrfeigte und ihn als "Nazi" beschimpfte, schickte ihr Heinrich Böll einen Strauß mit 50 roten Rosen und einem einzigen Wort: "Danke."

Schlöndorff: Toll.

SZ: Günter Grass fand das furchtbar.

Schlöndorff: Grass ist und wird immer politisch sein, Böll war es nie.

SZ: Worin bestand seine Sympathie? War das ein Herzenskommunismus oder die katholische Soziallehre?

Schlöndorff: Böll ging es nicht um Politik, dem ging es um Menschen. Er hat zwar selbst immer ironisch über die Werte des christlichen Abendlandes gesprochen, weil die überall ausverkauft wurden, in der Kirche, in der christlichen Partei, aber natürlich ging es ihm nur um diese Werte, und zwar im Sinne der Bergpredigt. Böll ist ein religiöser Mensch gewesen, und Grass ist ein zoon politikon. Böll war die Leitfigur der Sympathisanten, und man konnte gar nicht anders als Sympathie für ihn zu fühlen. So wie er Beate Klarsfeld Rosen geschickt hat, hätten wir ihm dauernd Rosen schicken müssen. Immer, wenn es eine verfahrene Situation gab, hat er einen Satz gesagt und damit die Lage entspannt. Böll war für uns alle ein Gewissen, aber er hat einem nicht vorgeschrieben, was man zu machen hatte, sondern empfohlen, was man besser lassen sollte.

SZ: Sie haben seine von Schiller inspirierte Novelle "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" verfilmt.

Schlöndorff: Bei der klar war, dass es um die verlorene Ehre des Heinrich Böll ging ...

SZ: ... der von den Springer-Zeitungen unablässig als angeblicher Terror-Sympathisant angegriffen wurde.

Schlöndorff: Zu der Zeit hat mich selber noch niemand in der Öffentlichkeit angegriffen, ich musste mich nicht verteidigen, mir ging es um ihn. Noch in der Schule in Wiesbaden, als wir Aufsätze über ihn schreiben mussten, fand ich ihn todlangweilig. Die französische Literatur, Sartre, Céline, das war viel aufregender. Und dann ist aus diesem betulichen Mann der zornigste geworden. Das hatte am Ende nichts Heiteres mehr; in den letzten Jahren war er wirklich sehr, sehr bitter. Ich erinnere mich, wie er eine Nacht in Mutlangen durchhielt, mit Baskenmütze und Zigarette, obwohl man ihm ein Bein schon amputiert hatte und er ein Klappstühlchen zum Sitzen brauchte, da war er nicht mehr gemütlich.

SZ: Woher kam das?

Schlöndorff: Aus der Kriegszeit. Böll hat jede Form von Uniform gehasst, seitdem er Landser sein musste, weil sie den Träger entmenschlicht und ihn zum Gehorsam zwingt. Das wollte er nie wieder haben. Ungehorsam gegen den Staat oder die Obrigkeit war für ihn keine Sünde. Er hätte sich im Zweiten Weltkrieg mehr Ungehorsam gewünscht. Die Pistole, mit der die Katharina Blum im Film auf den Springer-Journalisten schießt, stammte aus dem Zweiten Weltkrieg. Die Hetze der Bild-Zeitung hätte auch die Hetze des Propagandaministeriums sein können. Deshalb wird dieser Schuss quasi 1943 abgefeuert, findet sein Opfer aber erst 1975.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum Volker Schlöndorff Merkel besser als Schröder findet.

SZ: Springer gleich Goebbels?

Schlöndorff: Nein, wir wollten Springer keineswegs mit Goebbels gleichsetzen, aber unser Gedanke war, dass wir solche Zustände nicht zulassen könnten, ohne etwas zu tun. Zustände des Gehorsams, Zustände mit einem Meinungsdiktat.

SZ: Helmut Schmidt hat in der "Zeit" grade erklärt, dass er sich an den 5. September 1977, den Tag, an dem Hanns Martin Schleyer entführt wurde, gar nicht mehr erinnert. Wo waren Sie an jenem Tag?

Schlöndorff: Ich weiß nicht, wo ich war, aber erinnere mich an das Erschrecken. Es war umso größer, als ich mich zu dem Zeitpunkt schon für die Gefangenen eingesetzt habe und mit meiner damaligen Frau Margarethe von Trotta und dem Anwalt Klaus Croissant zusammen in die Knäste ging. Wenn du aber die toten Leibwächter siehst, sagst du dir: Und für die Leute, die so was machen, willst du dich weiter einsetzen?

SZ: Sie haben sich für die RAF-Gefangenen eingesetzt.

Schlöndorff: Das kam durch Fritz Teufel.

SZ: Wann war das?

Schlöndorff: Das muss 1972 gewesen sein, als er schon erste Knasterfahrungen hatte. Mindestens zwei Sommer war er mit uns in Italien, wo er das Kochgeschirr ruiniert hat, weil er nachts immer Schokoladenpudding kochte und das anbrennen ließ.

SZ: Das Zeug hat er auch gegessen?

Schlöndorff: Während wir versucht haben, ihm die feine italienische Küche nahezubringen. Fritz Teufel hatte am Siegestor in München einen Klapptisch mit einem kleinen Fähnchen der "Roten Hilfe" drauf. Es ging um Knastbesuche bei zum Teil ganz unpolitischen Häftlingen. Es waren auch Rolf Heißler und Margit Czenky dabei, die eine Bank überfallen hatten, um einen Kinderladen zu finanzieren. Das spielte sich noch auf der eher surrealistischen Ebene ab. Dem folgte, dass man sagte, man müsse sich auch um andere Gefangene kümmern. Dann kam das Schlagwort "Isolationshaft" auf, das eskalierte zur "Isolationsfolter". Das alles ist über Fritz Teufel gelaufen. Für ihn, das kann ich bestätigen, war das eine literarische Form des Widerstands. Seine Aufrufe waren immer wunderbar, da ging es niemals direkt um Gewalt. Bei anderen im Umfeld hat sich das schnell geändert.

SZ: Haben Sie damals geglaubt, dass die RAF-Gefangenen malträtiert wurden?

Schlöndorff: Körperlich nicht, das hat auch nie jemand behauptet. Aber die Isolation ging weit über das hinaus, was aus Sicherheitsbedürfnissen nötig gewesen wäre. Das war eindeutig darauf angelegt, die Leute fertigzumachen. Bei Ulrike Meinhof ist das gelungen, bei Holger Meins ist es auch gelungen. Bei denen in Stammheim hatte der Selbstmord ganz andere Gründe. Sie lebten auch unter sehr privilegierten Haftbedingungen.

SZ: Wussten Sie damals schon von diesen Privilegien?

Schlöndorff: Ich habe keinen von der RAF in Stammheim besucht. Aber wo immer es einen Knast gibt, wird er auch als Machtinstrument benutzt werden. Ich war überzeugt davon und bin es weiter, dass vieles darauf angelegt war, die fertigzumachen. Wie dem auch sei, nur weil man sich für bessere Haftbedingungen einsetzt - ob die jetzt human oder inhuman waren - , ist das noch kein Grund, jemanden zu diffamieren.

SZ: Wie es Ihnen passiert ist.

Schlöndorff: So war das Wort Sympathisant gemeint. Ich konnte mich damit abfinden, das ist auch nie so infam gewesen wie bei Heinrich Böll. Auf jeden Fall war das nicht gerade die feine Art.

SZ: Das ist jetzt aber gelassen gesprochen.

Schlöndorff: In meinem eigenen Fall kann ich mich nie empören. Das war eine absolute Fehlreaktion der Gesellschaft. Holger Meins musste deswegen sterben.

SZ: Er befand sich 1974 im Hungerstreik und war bereit zu sterben.

Schlöndorff: Es ist die Pflicht des Arztes, die Zwangsernährung durchzuführen, er hat es aber unterlassen. Der Arzt sagte: "Wenn er nicht will, dann lässt er's eben."

SZ: Der Arzt von Holger Meins?

Schlöndorff: Ja. Am Freitag war er nicht zu erreichen, am Samstag war er nicht zu erreichen, aber dann habe ich irgendwie die Privatnummer herausgefunden und zwei Stunden auf den eingeredet. Der Mann kam mir vor wie ein Kassenarzt, der am Wochenende nicht von seinen Patienten belästigt werden will. Die Situation war mir von zu Hause bekannt; ich stamme aus einem Arzthaushalt. Kurzum, am Montag war Holger Meins tot. Wir wollten dann in der "Katharina Blum" ein Foto von Holger Meins bringen. Hinter Mario Adorf war das aufgehängt, aber der WDR hat doch darauf bestanden, dass das rausgeschnitten wird. Was kümmert mich ein mir vollkommen unbekannter Filmstudent? Es geht allein um Sympathie. Wenn man weiß, da liegt jetzt einer, und den lassen die jetzt verhungern, kann man doch nicht anders. Das war keine politische Geste, das war nur Sympathie, der Impuls "Herrgott, Herr Doktor, machen Sie doch was!" Aber das war, wie man bei uns sagt (spricht es prononciert Hessisch:) "wie einem Ochs ins Horn gepetzt". Ich sehe das alles nicht so politisch.

SZ: War das auch damals unpolitisch?

Schlöndorff: Damals war's politisch, weil es immer gleich politische Konsequenzen hatte.

SZ: Für Sie, beruflich.

Schlöndorff: Politik besteht im weitesten Sinne darin, das Zusammenleben von Menschen zu organisieren und so zu gestalten, dass es menschlich bleibt. Dann ist es natürlich immer politisch. Aber es ging nicht um Parteien, oder darum, ein ideologisches Ziel durchzusetzen. Für Ideologien bin ich nie sehr anfällig gewesen.

SZ: Waren Sie nicht SPD-Mitglied?

Schlöndorff: Nein, nie. Das war doch der Witz, dass mich Herbert Wehner nach Bonn zitiert und mir vorgeworfen hat, ich fügte der Partei Schaden zu, weil ich der Abgesandte der SPD in der Filmkommission war. Damit war ich nicht mehr tragbar.

SZ: Hat sich die SPD je dafür entschuldigt?

Schlöndorff: Nein. Ich habe damals für Parteipolitik keinen Nerv gehabt und habe auch heute noch keinen. 2005 habe ich mich für Angela Merkel eingesetzt, ohne mich für die CDU einzusetzen. Es kommt immer auf die Person an.

SZ: Halten Sie ihr immer noch die Treue?

Schlöndorff: Im Augenblick ist es eher umgekehrt, sie ist viel zu beschäftigt, man kommt nicht mehr an sie ran. Aber ich finde, sie macht es sehr gut.

SZ: Besser als Schröder?

Schlöndorff: Vergleiche sind schwer, aber ich glaube, die blenden nicht so. Nicht nur sie, sondern ihr ganzes Team.

SZ: Wie lange haben Sie diese Gefangenen-Betreuung gemacht?

Schlöndorff: Das ging auch nach 1977, nach den Selbstmorden in Stammheim, noch weiter. Einmal bin ich von München mit dem Zug nach Lübeck gefahren, wo Irmgard Möller einsaß. Sie befand sich im Hungerstreik, und ich sollte auf sie einwirken, damit sie ihn abbrach. Der Gedanke war natürlich, dass sich der Fall von Holger Meins nicht wiederholen sollte. Als ich ankam, nach zwölf Stunden im Zug, wollte sie mich nicht sehen.

SZ: Kränkt einen das?

Schlöndorff: Für die meisten von denen habe ich nie eine persönliche Sympathie gespürt. Die übrigens auch nicht für mich. Für die war ich ein "Scheißliberaler".

SZ: Sie haben, als Liberaler, als Filmemacher, mit Alexander Kluge, Rainer Werner Fassbinder, mit Edgar Reitz und noch einigen anderen 1977 den Gruppenfilm "Deutschland im Herbst" gedreht.

Schlöndorff: Und später "Der Kandidat" und "Krieg und Frieden". Diese Gemeinschaftsfilme waren nicht unsere Idee, sondern eine Reaktion auf diesen berühmten Deutschen Herbst, als die Medien plötzlich freiwillig wie gleichgeschaltet waren. Kluge prägte dann das Wort von der "Gegenöffentlichkeit". Wenn aus Gründen der Ausgewogenheit von den Sendern überall nur noch langweilige Information betrieben wird, dann müssen wir unausgewogen berichten. Die Zeit hat uns das abverlangt, auch die Gesellschaft.

SZ: In "Deutschland im Herbst" herrscht Angst, ein Klima der permanenten Bedrohung. Hatten Sie in diesem Herbst 1977 das Gefühl, der Staat, an den man ja nicht besonders glaubte, er geht drauf?

Schlöndorff: Nein. Ich glaubte, dass der Staat sich selber verrät, weil er sich militarisiert. Ich habe, wie Böll, nie geglaubt, es handele sich um einen Krieg von 6 gegen 60 Millionen. Ich habe nie geglaubt, dass die RAF, dass überhaupt die ganze Linke, ob bewaffnet oder nicht, eine Gefahr für unsern Staat gewesen wäre. Das konnte ich schon deshalb nicht, weil ich in Frankreich erlebt hatte, wie in Paris Armeen aufmarschierten, als die Vierte Republik zu Ende ging. Das war wirklich fast Krieg. Aber von unserer Handvoll Terroristen ging doch keine Gefahr aus. Angst hatten wir nur vor der Eskalation, die wir bei jeder Grenzkontrolle, an jedem Flughafen erlebten.

SZ: Lange vorher, 1965, haben Sie in Mexiko als Assistent von Louis Malle an dem Film "Viva Maria" mitgearbeitet. Wussten Sie, dass Rudi Dutschke "Viva Maria" achtmal gesehen hat?

Schlöndorff: Das hat mich immer sehr überrascht. Fritz Teufel hat mir davon erzählt. Als wir den Film gedreht haben, haben Gregor von Rezzori und ich uns drüber lustig gemacht, wie unverbindlich und was für eine Operette das war. In Frankreich war "Viva Maria" kein Vorbild für den Mai 1968. Das war eine Berliner Spezialität, Brigitte Bardot mit einer kleinen Bombe muss den Studenten sehr exotisch vorgekommen sein.

SZ: Die Kombination war unschlagbar.

Schlöndorff: Das war die Spaßguerilla, nichts weiter.

SZ: So nannten sich ja Teufel und die Seinen. Dass aber ausgerechnet der protestantische Dutschke mit seinem Freund Bernd Rabehl eine politische Kampfgruppe namens "Viva Maria" gründete, ist schon sehr merkwürdig, oder?

Schlöndorff: Das wusste ich gar nicht. "Viva Maria" war ein Spiel mit Formen, mit Elementen des Surrealismus, zum Beispiel der Bischof, der seinen Kopf unterm Arm trägt. Im Surrealismus wurde auch mit Bomben gespielt, da gab es extremradikale Aufrufe, die nur dazu da waren, den Bürger aufzuschrecken, nicht als Handlungsanweisungen.

SZ: War 1968 ein surrealistisches Unternehmen?

Schlöndorff: Da dürfen Sie mich nicht fragen. Ich war '68 in der Tschechoslowakei und habe "Michael Kohlhaas" gedreht. Die RAF ging aus 1968 hervor - und bis zum Kaufhausbrand in Frankfurt kann ich ihr folgen.

SZ: Einschließlich oder ausschließlich?

Schlöndorff: Einschließlich, das möchte ich unterstreichen. Aber als das mit Sprengsätzen und Schüssen losging, erwies sich das als absoluter Irrweg, der ja auch alles, was es 1968 sonst noch gegeben hat, kaputtgemacht hat. Es ärgert mich heute noch, dass es bei jeder Diskussion um '68 immer um den Terrorismus, also letztlich um die RAF, geht und gar nicht um die Kulturrevolution, die '68 eigentlich gewesen ist und die unser Land zum Guten verändert hat. Wenn das nicht gewesen wäre, dann hätte man Grund gehabt, auszuwandern, aber nur, weil's einem hier zu langweilig geworden wäre. Stattdessen wird nur über Amnestie von irgendwelchen Leuten geredet. Die triumphieren doch, weil sie wieder auf den Titelseiten sind, weil sie wieder ihr Geltungsbedürfnis befriedigen können, weil sie immer noch die Agenda bestimmen. Ich hoffe, dass nach diesem dreißigsten Jahrestag von 1977 nie wieder über die RAF gesprochen wird.

Volker Schlöndorff, 1939 in Wiesbaden geboren, drehte neben vielen anderen Filmen 1978 mit Alexander Kluge und Rainer Werner Fassbinder "Deutschland im Herbst". Für seine Verfilmung der "Blechtrommel" von Günter Grass erhielt er 1980 den Oscar.

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