Interview mit Übersetzer:"Popeye hält sich an keine Regeln"

In diesem Herbst erscheinen erstmals Popeyes Comic-Abenteuer in deutscher Sprache. Der Hamburger Ebi Naumann hat eine eigene Kunstsprache für den ruppigen Seemann kreiert. Ein Gespräch über das Übersetzen, Popeyes Chancen im Süden der Republik und dessen große Beliebtheit im Amerika der 1930er Jahre.

Matthias Kolb

sueddeutsche.de: Was wussten Sie über Popeye, als Sie angefangen haben, die Abenteuer des Matrosen ins Deutsche zu übertragen?

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So kennt man ihn: Popeye und die Spinatdose auf der Fassade einer Fabrik in Kalifornien

(Foto: Foto: AP)

Naumann: Ich kannte Popeye aus den Zeichentrickfilmen und ich mochte ihn. Ich wusste ge-nauso viel wie 99 Prozent der Leser - die typischen Assoziationen wie Seemann, Spinat und Olivia. Popeye ist sehr bekannt, doch eigentlich weiß man wenig über ihn.

sueddeutsche.de: Was sind denn die Unterschiede zwischen dem Ur-Popeye in den Comics und den Zeichentrickfilmen?

Naumann: Die große Bedeutung des Spinats, den heute alle mit Popeye verbinden, ist eine Film-Erfindung. Bei Segars Strips taucht das nur ein paar Mal auf. Auch der Dauerwidersacher Bluto, der in den Zeichentrickfilmen immer auftritt, kommt bei Segar nur in der Geschichte "Das achte Weltmeer" vor.

Es geht in den Filmen stets um die Gunst Olivias und immer bringt der Spinat die Wende. Das war aus Sicht der Fleischer Brothers, die ab 1933 diese Adaptionen produzierten, genial. Aber sie haben aus dem vielschichtigen Popeye eine einfachere Figur gemacht.

sueddeutsche.de: Wie sind Sie bei der Übersetzung vorgegangen, um den Popeye-Sound zu finden?

Naumann: Ich habe mit der ersten Story angefangen und die Figur ebenso kennen gelernt wie der Zeichner E.C. Segar seinen Helden erst entwickelt hat. In den ersten Strips sieht Popeye viel älter aus, seine Unterarme sind noch nicht so schön keulenförmig wie später und einiges mehr. Segar hat seine Figur erst finden müssen und so ging es mir als Übersetzer auch. Nach etwa sechs Monaten hatte ich dann Popeyes Ton gefunden...

sueddeutsche.de: ... und gleich wieder von vorne begonnen?

Naumann: Nicht ganz, aber ich habe die ersten Geschichten wieder abgeglichen. Wir wollten einen einheitlichen Ton und nicht - wie es für Comicwissenschaftler vielleicht wünschenswert gewesen wäre - zeigen, wie sich seine Sprache entwickelt. Das Buch richtet sich an ein breites Publikum.

sueddeutsche.de: Am Anfang des Buches gibt es eine Popeye-Lesehilfe, doch im Buch selbst tauchen immer wieder andere Schreibweisen auf.

Naumann: Popeye hält sich auch im Original nicht an Regeln. Das Besondere an ihm ist ja auch, dass er bereit ist, etwas beim zehnten Mal anders zu machen als er es die ersten neun Mal gemacht hat. Das fällt uns heute sehr schwer, doch Popeye tut das und das finde ich sehr sympathisch an ihm.

sueddeutsche.de: Sind bei der Übersetzung eigentlich Schwierigkeiten aufgetaucht, mit denen Sie vorher nicht gerechnet hatten?

Naumann: Ein Problem lag darin, dass bei Übersetzungen aus dem Englischen ins Deutsche etwa 30 Prozent mehr Platz gebraucht wird. Bei einem Roman ist das nicht so schlimm, denn dann druckt man einfach mehr Seiten, doch bei Comics ist man an die Sprechblasen gebunden.

Man kann nicht einfach sagen: "Das drucken wir einfach kleiner", denn das ist erstens nicht gut für die Leserlichkeit und zweitens werden in Comics Gefühle durch die Größe der Schrift ausgedrückt. Außerdem würde die Komposition zerstört, wenn man die Größe beliebig verändert. Wenn ich von diesen Problemen vorher gewusst hätte, hätte ich vielleicht noch zwei Sekunden mehr gezögert, bevor ich "Ja" gesagt habe.

sueddeutsche.de: Wie ist man beim Verlag eigentlich auf Sie als Übersetzer gekommen?

Naumann: Naja, ich kenne den Mare-Verleger Nikolaus Hansen seit Jahren, und er wusste, dass ich gerade Zeit hatte. Außerdem habe ich in den letzten Jahren viele Gedichte und Verse ins Deutsche übertragen und mich ein wenig zum Experten für die kurze Form entwickelt.

sueddeutsche.de: Aus welchen Bestandteilen besteht Popeyes Sprache?

Naumann: Als ich das Popeye-Idiom angerührt habe, nahm ich einen Teil Seemannsdeutsch, wie lütt Maat sich das vorstellt, einen Teil Marinedeutsch, so wie es in den Dreißiger Jahren tatsächlich existiert hat, zwei Spritzer Hamburger Nachtjargon sowie einen gehörigen Schuss kreativer Freiheit und einen Hauch Wahnsinn.

sueddeutsche.de: Und wie klingt Popeye?

Naumann: Man solle sich vorstellen, wie Hans Albers sein "La Paloma - Ohé" singt. Dies ist zu mischen mit der Erinnerung an den Film "Werner Beinhart!" und der Stimme des Klempnerlehrlings Werner, wie er diesen Schlager singen würde. Dazu kommt noch ein wenig von Kuttel Daddeldu - so hört sich Popeye in meinem Kopf an. Aber letztlich wird jeder Leser selbst die Stimme des Seemanns entdecken.

sueddeutsche.de: Die Kunstsprache orientiert sich ja klar am Norddeutschen. Werden denn die Menschen in Süddeutschland Popeye auch lieben?

Naumann: Ich glaube fest daran. Natürlich liegt die Basis im Norddeutschen, aber das ist nicht die Sprache, die man in einer Hamburger Kneipe hört. Ich werde bald auch in Bayern und Süddeutschland lesen und habe vor kurzem mal versucht, dieses neue Idiom mit einem bayerischen Grundton zu bringen, und das klappt sehr gut. Daran arbeite ich weiter, und ich bin sehr gespannt, wie das dann angenommen wird.

sueddeutsche.de: Wussten Sie eigentlich von Beginn, dass Sie eine neue Sprache schaffen müssen?

Naumann: Das hat sich aus der Beschäftigung mit dem Stoff entwickelt. Im Original spricht Popeye ja auch keinen Dialekt: Man kann nicht sagen, dass er aus Texas oder Maine stammt. Das ist sehr individuell zusammengeschustert, und Grammatik ist auch nicht seins. Aber er ist kein blöder Typ, der meschugge ist, sondern jemand, der unbeeindruckt drauf los redet.

"Popeye hält sich an keine Regeln"

sueddeutsche.de: In den 1930er Jahren war Popeye ja beliebter als Micky Mouse. Haben Sie dafür eine Erklärung?

Interview mit Übersetzer: Ein Matrose als Philosoph: Popeye spricht nun auch deutsch

Ein Matrose als Philosoph: Popeye spricht nun auch deutsch

(Foto: Foto: © 2004 by King Features Syndicate, inc./Distr. Bulls; © 2006 by marebuchverlag)

Naumann: Ich glaube, Popeye hatte etwas sehr Menschliches, ohne ein Mensch zu sein. Er ist ja eine Kunstfigur, und das ist seine Stärke. Wenn man sich anguckt, wie Popeye die Zeit des Börsencrashs im Herbst 1929 verarbeitet - er macht diese Spekulation gar nicht mit, im Gegensatz zu Olivias Bruder übrigens - dann sieht man das sehr genau. Der Zeichner E.C. Segar hat selbst einmal gesagt: "Popeye ist für mich mehr als eine Comicfigur, er ist mein Alter Ego". Er konnte seine Wut und Enttäuschung über die Situation mit Popeyes Hilfe ausleben...

sueddeutsche.de: und das jeden Tag aufs Neue...

Naumann: ... genau, Segar hat mitunter sehr schnell auf Entwicklungen und Stimmungen reagiert. Ich denke, Popeye handelte so, wie viele Amerikaner in der schwierigen Phase in den 1930er Jahren es gerne getan hätten. So erklärt sich seine enorme Popularität. Allein die Tat-sache, dass der Jeep im Zweiten Weltkrieg nach einem von Segars Fabelwesen und auch eine Fast-Food-Kette nach dem Hamburger liebenden Popeye-Kollegen "Wimpy" benannt worden ist, zeigt, wie verbreitet die Popeye-Geschichten damals waren.

Eberhard "Ebi" Naumann, 1949 in Kiel geboren, arbeitete in seinem Leben als Pantomime in Paris, machte Straßentheater in Berlin-Kreuzberg und arbeitete im Verlagswesen. Danach stieg der studierte Jurist als Produzent ins TV-Geschäft ein und ist seit einigen Jahren als Übersetzer und Autor tätig. Naumann lebt abwechselnd in Hamburg und der Dordogne.

Das 446 Seiten starke Buch "Popeye" von E.C. Segar ist im Mare Buchverlag erschienen und kostet 29,80 Euro.

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