Interview mit "Tatort"Kommissar Bär:"Mancher Marktwert macht mich fassungslos"

Der Schauspieler Dietmar Bär über moderne Kunst, übers Essen und über zehn Jahre als "Tatort"-Kommissar

Christopher Keil

SZ: Herr Bär, wäre es vermessen zu vermuten, dass Sie gerne essen?

Interview mit "Tatort"Kommissar Bär: Dietmar Bär in der Rolle des 'Tatort'-Kommissars Freddy Schenk.

Dietmar Bär in der Rolle des 'Tatort'-Kommissars Freddy Schenk.

(Foto: Foto: WDR/Kerstin Stelter/ddp)

Dietmar Bär: Nee, das ist ziemlich richtig. Mit zunehmendem Alter, wenn man seine Erfahrungschichten übereinanderlegt, wird man ja Nahrungsspezialist.

SZ: Dann sitzen wir nicht grundlos in einem Café dieser Straße.

Bär: Wieso?

SZ: In dieser Straße gibt es ein indisches, ein chinesisches, ein französisches Restaurant, eine Weinhandlung, einen österreichischen Spezialitätenladen, ein Reformhaus, einen Öko-Bäcker und einen deutschen Metzger. Sie wohnen hier.

Bär: Nee. Das hier ist Charlottenburg. Ich wohne inzwischen in Wilmersdorf, und Wilmersdorf ist, wie ich jetzt mitbekommen habe, ein Epizentrum von Kollegen. Mein Haus ist zum Beispiel ein Tatort-Haus. Als ich einzog, habe ich einen alten Schauspielschulkameraden wieder getroffen, der bald Kommissar wird und seit hundert Jahren in dem Haus wohnt. Drum herum wohnen Schaubühnen-Leute, Produzenten, Regisseure. Stefan Jürgens zog dann auch noch gegenüber ein. Aber warum erzähle ich das?

SZ: Essen?

Bär: Ach ja: Gegenüber haben wir den drittletzten Metzger im Kiez, eine Weinhandlung, einen kleinen Asia-Imbiss, einen Italiener, einen Inder, einen Griechen, und um die Ecke ist ein Bio-Café. Da wollte ich Sie erst hinlotsen. Sie haben sich Tee bestellt?

SZ: Ja.

Bär: Sind Sie auch Teetrinker?

SZ: Ja.

Bär: (Schaut auf die Uhr)

SZ: Mit Ihrer Agentin waren zwei Stunden vereinbart.

Bär: Ich gucke auf den Tee, wie lange er noch ziehen muss.

SZ: Oh.

Bär: Ich wäre mit Ihnen auch auf die Kunstmesse gegangen, wenn Sie Lust gehabt hätten. Hat Ihnen das meine Agentin nicht erzählt?

SZ: Nein.

Bär: Die Art Forum ist gerade in Berlin, nur noch diese Woche.

SZ: Sie interessieren sich für Kunst?

Bär: Ich war da gestern eine Stunde. Ich war in meinem Leben vorher nur einmal auf der Art Cologne. Man steht diesen Sachen gegenüber und denkt: Was ist das hier alles? Bin ich bescheuert, oder ist das Scheiße? Das ist so ein Erlebnis, das hatte ich in Köln, und das will ich jetzt nochmal haben.

SZ: Moderne Kunst.

Bär: Zeitgenössisch.

SZ: Sie sammeln?

Bär: Immer muss man gleich sammeln. Kaum hatte ich die Art Cologne betreten im Frühjahr, stand schon ein RTL-Team vor mir und fragte: "Sammeln Sie?" Nee, nur schauen.

SZ: Sammeln Sie?

Bär: Ich habe über Freunde Kontakt zu einer jungen Malerin, von der habe ich was gekauft. Wie sich das immer anhört. Ich muss meine falsche Scham ablegen. Das lerne ich auf den Messen.

SZ: Weil Kunst für Geschmack nur in Verbindung mit Wissen steht?

Bär: Damit man sich traut. "Das gefällt mir nicht, das verstehe ich nicht. Ist daaas schlimm. Was wollt ihr dafür haben? Seid ihr deppert?" Und dann sah ich auf dem Art Forum was Feines, was Schönes: "Ups. Sorry, ist schon verkauft, da haben wir vergessen, was dranzumachen." Da hat einer mit bunten Stiften so 'ne ganz kleine, lichtdurchflutete Waldlichtung gemalt, aber ausschauen tut's wie Adern. Das ist so 'ne Sache, die mein schlichter Geist begreift.

SZ: Was haben Sie bisher über Kunst gelernt?

Bär: Bei der Art Cologne war ich in einem superschicken Raum, da standen so Säulen. Da hätte mein Vater vor gestanden und gesagt: "Das können wir auch." Dann gibt's Sachen, die einen überzeugen, Sachen von Norbert Bisky, neuer deutscher Maler, Sohn von dem PDS-Bisky. Da sag ich: spannend, toll. Aber nicht überklebte Puppenbeine auf einem Stück Karton.

SZ: Ihr Vater war Metzger.

Bär: Na ja, ich habe Abitur gemacht, das ist schon okay. Ich habe auch einen tollen Kunstlehrer gehabt, ich bin ein Bildungsbürger. Man denkt trotzdem oft: Irgendetwas hat nicht stattgefunden. Oder ich bin zu blöd. Und im nächsten Moment überlegst du dir: Ist es vielleicht doch nur eine Riesenscharlatanerie? Sind das auch alles nur Blender, die irgendwann auffliegen wie man selbst? Über Kunst habe ich jedenfalls gelernt: Ich verstehe da was von, wenn ich mich wie beim Essen und beim Trinken auf meinen Geschmack verlasse.

"Mancher Marktwert macht mich fassungslos"

SZ: Irgendwie sind Kunst- und Kochmarkt derzeit überhitzt.

Bär: Beim Thema Marktwert kann ich als Schauspieler ein bisschen mitphilosophieren beziehungsweise stehe ich fassungslos vor manchem Marktwert manches Kollegen oder mancher Kollegin. Aber da muss ich dann durch.

SZ: Das ist ja fast Nestbeschmutzung.

Bär: Au, da habe ich was in der Kunstszene erlebt. Vergangenes Jahr habe ich total aufgehorcht bei einem Interview mit Gerhard Richter. Der hat da mal kurz losgelassen, dass sich die SPD einen Zombie eingestellt hat vom Fetting.

SZ: Sie sprechen von der Willy-Brandt-Statue in der SPD-Zentrale, die der Künstler Rainer Fetting, eine Art Neuexpressionist, gefertigt hat?

Bär: Davon spreche ich. Ich dachte: Schau mal an, unter Künstlern gibt es das auch. Die finden sich auch mal zum Kotzen.

SZ: Zombie geht doch noch.

Bär: Neulich habe ich von einem Bengel gehört, der sagte: "Theaterschauspielschulen? Ahh, das geht gar nicht mehr. Es gibt ja heute Filmschauspielschulen, auf denen man mit der Kamera arbeitet. Theater, den Quatsch braucht keiner mehr." Man trifft Jungs, die sind um die 20, haben es irgendwie geschafft und sagen: "Ich habe keine Zeit für eine Ausbildung." Es gibt andere, die nehmen sich die Zeit. Aber Deutschland sucht den Weiß-ich-nicht-was suggeriert allen: "Das kannst du auch!"

SZ: Was nicht stimmt.

Bär: Natürlich nicht. Und auf keiner Schauspielschule wird so würdelos verfahren wie bei den Jury-Sitzungen dieser Superstars.

SZ: Sie haben einen Kölner Jubiläums-Tatort gedreht mit Ihrem Kollegen Klaus J. Behrendt. Deshalb trinken wir jetzt Tee. In diesem Film singt am Ende die Schauspielerin Anna Loos. Singt sie?

Bär: Ja, sie hat eine Musicalausbildung. Sie singt auch in einer alten DDR-Band, Silly. Mit Silly tourt sie und singt die Lieder von Tamara Danz, der verstorbenen-Silly-Sängerin.

SZ: Ist es künstlerisch sehr gefährlich, zehn Jahre lang dieselbe Rolle einer Reihe zu spielen? Man stellt sich so eine Aufgabe als Tatort-Kommissar einerseits wie eine Lebensversicherung vor, andererseits macht sie vielleicht bequem, auf jeden Fall legt sie einen fachlich fest.

Bär: Das ist jetzt ziemlich komplex gefragt. Aber es ist komplex. Also: Als Lebensversicherung sehe ich es nicht. Da schützt mich mein körperbezogener eigener Fatalismus. Ich kann ja morgen schon tot sein. Und im Showgeschäft kann sowieso alles sehr schnell vorbei sein. Bequem ist bei mir auch nicht. Als Typ hab ich eh Existenzängste, mich beruhigt allerdings, dass mir Kollegen erklärten, ihnen gehe es ähnlich. Für mich ist die Rolle ein Privileg, das ich anfange zu genießen.

SZ: Wie genießen Sie?

Bär: Auch, indem ich in den Pausen zwischen den drei, vier Tatorten, die wir jährlich drehen, nicht ständig denken muss: Ich brauch, um über die Runden zu kommen, noch unbedingt 20 Drehtage. Sondern ich kann endlich mal meine Platzreife machen.

SZ: Sie golfen?

Bär: Ha. Ein kleiner Köder an den Haken, schon geht der Schwimmer unter Wasser. Ja, ich golfe. Ich hab Spaß, ich muss mich konzentrieren, das ist gut. Schlimm ist nur das Gewese drumherum.

SZ: Noch mal zum Tatort: Am Ende des aktuellen Falles wird Hauptkommissar Ballauf (Behrendt) von Hauptkommissar Schenk (Bär) in einen dunklen Raum gelockt, das Licht geht an, Anna Loos singt zu Ehren des zehnten Dienstjubiläums von Ballauf. Hätte die Fiktion nicht ein bisschen mehr Abstand zur Wirklichkeit verdient?

Bär: Mich stört das nicht. Sie kennen die von uns abgewendete Schluss-Idee nicht.

SZ: Die war?

Bär: Wir sollten singen: "Dra di net um . . ."

SZ: . . . "der Kommissar geht um"?

Bär: Falco.

SZ: Wow.

Bär: Ich nehme noch einen Earl Grey.

SZ: Was ich überhaupt fragen wollte: Schauen Sie sich Kochsendungen an?

Bär: Klar. Besonders gerne Kerner.

SZ: Sicher wegen Johannes B. Kerner.

Bär: Wegen der vielen Köche, wegen der Folklore, die da im Zusammenspiel entsteht. Den Lafer habe ich sehr schätzen gelernt, und über allen steht Schubeck.

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